Schuldenfalle Hartz IV
Mit der Einführung des Arbeitslosengeld II zum Januar 2005, dem umgangssprachlich als Hartz IV Gesetz bezeichneten Regelwerk, beschwor die Schröder-Regierung eine zielgerichteten Welle der Verelendung weiter Teile der Bevölkerung in Deutschland herauf. Das erklärte Ziel Schröders war die Installation eines breiten Niedriglohnsektors zur Begünstigung der wirtschaftlichen Profite.
In direkter Folge stieg die Kinderarmut in Deutschland überproportional an. Die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten geht zurück. Diese politisch gesteuerte Unterversorgung wurde caritativen Einrichtungen und ehrenamtlichen Helfern aufgebürdet. Die Tafelbewegung, Sozialkaufhäuser, Suppenküchen und Kleiderkammern markieren die Lobbypolitik der letzten Jahre. Auffällig dabei ist, dass die Vermögensverschiebungen in Deutschland von arm zu reich immer gravierender werden.
Mit zeitlicher Verzögerung zeigen sich die verheerenden Wirkungen der Verelendungspolitik endlich auch bei den Rentnern. Mehr und mehr Menschen müssen erleben, dass ihnen ihre Lebensarbeitszeit nicht einmal mehr eine ehrliche Rente über dem Hartz IV-Satz sichert. Aus Scham verschweigen viele Rentner ihre Armut und nehmen nicht einmal die Möglichkeiten aufstockender Grundsicherung in Anspruch. Diese Grauzone wird stetig größer.
Und die Zeitarbeit mit den zumeist niedrigen Löhnen und zeitlich ungesicherten Jobs macht den Erwerb von Rentenansprüchen für viele Arbeitnehmer geradezu unmöglich. Während eine Vielzahl von Politikern einfältig genug ist, Hartz IV - aus der persönlichen Distanz heraus - zu verteidigen, ein „Lohnabstandsgebot“ anzumahnen, und den neuen Mindestlohn als große Errungenschaft zu lobhudeln, zeigt sich bei Anwendung der Grundrechenarten der fünften Klasse, dass der Mindestlohn von 8,50 € meistens nur auf ein Leben auf Hartz IV-Niveau hinausläuft. Mehr nicht.
Und auch das angeblich schützenswerte Lohnabstandsgebot wird ad absurdum geführt, bei der großen Zahl von mehr als 1,3 Millionen Voll- und Teilzeit-Beschäftigten, die Ihren kargen Lohn mit Hartz IV aufstocken müssen. Lohnabstandsgebot in einer und dergleichen Person – also Mindestlohn und Hartz IV-Leistungen?
Das soziokulturelle Existenzminimum
„Die Sozialgerichte haben den Begriff des soziokulturellen Existenzminimumsgeprägt. Er umfasst den Bedarf, der notwendig ist, um bei sparsamem Wirtschaften am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.
[…]
An den statistisch ermittelten Werten werden teilweise erhebliche Abschläge vorgenommen, um zwischen Erwerbstätigen und Beziehern der Grundsicherungsleistung einen deutlichen Abstand zu schaffen (das sogenannte Lohnabstandsgebot[1]). Kritiker bemängeln, dass infolge von sachlich nicht gerechtfertigten Abschlägen das (real erforderliche) soziokulturelle Existenzminimum erheblich unterschritten werde.“
Das Bundesverfassungsgericht als zahnloser Tiger
Als das Bundesverfassungsgericht am 09.02.2010 in der ersten Regelsatzentscheidung das Urteil verlas, war das eine schallende Ohrfeige für die Regierungen Schröder und Merkel.
Der damals Vorsitzende Richter am Bundesverfassungsgericht, Präsident Prof. Dr. Dres.h.c. Hans-Jürgen Papier stellte fest: Az.: 1 BvL 1/09
"Die Regelleistungen sowohl des Arbeitslosengeldes II für Erwachsene als auch des Sozialgeldes für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres genügen dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht.
Die einschlägigen Regelungen des so genannten "Hartz IV-Gesetzes" sind daher verfassungswidrig."
Korrigiert wurde zunächst nichts. In den nächsten Jahren wurden die Bemessungsgrundlagen weiter zusammengestrichen. Jede Regelsatzerhöhung bedeutete rein rechnerisch weiteren Kaufkraftverlust.
In einem weiteren Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juli 2014 (BvL 10/12; BvL 12/12; BvR 1691/13) räumte das Gericht der Regierung das Recht weiterer Kürzungen ein. Der Schutz des Existenzminimums blieb weiter unzureichend bestimmt.
1. Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG) dürfen die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, im Ergebnis nicht verfehlt werden und muss die Höhe existenzsichernder Leistungen insgesamt tragfähig begründbar sein.
2. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, aus der grundsätzlich zulässigen statistischen Berechnung der Höhe existenzsichernder Leistungen nachträglich in Orientierung am Warenkorbmodell einzelne Positionen herauszunehmen. Der existenzsichernde Regelbedarf muss jedoch entweder insgesamt so bemessen sein, dass Unterdeckungen intern ausgeglichen oder durch Ansparen gedeckt werden können, oder ist durch zusätzliche Leistungsansprüche zu sichern.“
Unterversorgung Regelleistung
Wer sich mit der Berechnungsgrundlage des Existenzminimums in Deutschland beschäftigt, wird schnell erfahren, dass die Zahlen vorsätzlich verfälscht wurden. Sozialverbände haben nachgewiesen, dass die Regelsätze auf der Grundlage der neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) vom Juli 2013 zu einer Anhebung der Regelsätze um 87,00 € auf 491,00 € ab 2016 hätten führen müssen.
„Der Regelsatz wurde bei seiner letzten Berechnung 2011 durch die damalige Arbeitsministerin von der Leyen willkürlich manipuliert und trickreich kleingerechnet“, erläutert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Was dabei herauskam, hat mit dem Existenzminimum nicht mehr ernsthaft etwas zu tun, sondern drückt Hartz IV Bezieher unter die Armutsgrenze. Seitdem wird diese Praxis jedes Jahr einfach fortgeschrieben. Es ist schon mehr als enttäuschend, dass auch Frau Nahles diese Tricksereien übernimmt, gehörte sie doch vor ihrer Berufung zur Arbeitsministerin zu den Hauptkritikerinnen der Methoden ihrer Vorgängerin.“
Wohnkosten – Umzugskosten – Kaution - Obdachlose
Obwohl die Wohnkosten grundsätzlich zu den Sozialleistungen gehören, ist wohl die Mehrzahl der sozialrechtlichen Verfahren diesem Thema zugehörig. Sobald erwachsene Kinder ausziehen, oder Partner durch Trennung oder Tod aus der Bedarfsgemeinschaft ausscheiden, werden die angemessenen Mietkosten pro Person neu geprüft. Das Bundessozialgericht hatte Vorgaben für sogenannte „schlüssige Konzepte“ aufgestellt, um angemessenen Wohnraum für Leistungsbezieher zu definieren. Allerdings hält eine Vielzahl solcher kommunaler Konzepte einer sozialrechtlichen Überprüfung nicht stand und damit müssen höhere Kosten übernommen werden. Allerdings betrifft dies stets nur wehrhafte Leistungsberechtigte, die vor Widerspruchs- und Klageverfahren nicht zurückschrecken.
Die Saarbrücker Zeitung berichtete am 10.12.2015: „Hartz-IV-Empfänger zahlen bei Miete mit - 620 Millionen Euro für Unterbringung nicht von Jobcentern gedeckt
Wohnungsschulden resultieren aber nicht nur aus „überteuerten“ Wohnungen wegen des Eigenbedarfes, sondern auch aus den Folgekosten, wenn die Sozialleistungsträger sich weigern Nachzahlungen aus Nebenkosten- und Heizkostenabrechnungen zu übernehmen.
Und selbst wenn Betroffene zum Umzug gezwungen sind gibt es regelmäßig Rechtsstreite um Umzugskosten, Erstrenovierungen und Leistungen zur Erstausstattung, die durch die neue Wohnung erst entstehen.
Stromsperren
Bereits am 15.11.2005 hatte das Sozialgericht Köln festgestellt:
"Die Nichtversorgung mit Energie stellt eine der Obdachlosigkeit vergleichbare Notlage dar."
Bereits ein kurzer Blick auf die Entwicklung der stetig steigenden Strompreise und der Vergleich mit dem gewährten Stromanteil in der Regelleistung zeigt ein deutliches Missverhältnis auf.
"Hilfebedürftigen standen somit monatlich lediglich 47,49 kWh Strom zur Verfügung. Zu Sozialhilfe-Zeiten waren es noch 148 kWh."
Rüdiger Böker, Mitglied des Deutschen Sozialgerichtstag e.V. in seiner „Stellungnahme zu den Ausführungen der Bundesregierung zur Ermittlung der Höhe von SGB XII-Regelsatz“, 2009
„Eine aktuelle Analyse von CHECK24 bestätigt: Hartz IV reicht nicht für die Deckung der Stromkosten. Obwohl das Arbeitslosengeld II zum Jahresbeginn etwas erhöht wurde, reicht der Regelsatz in keinem Bundesland aus, um die Stromrechnung zu begleichen.“
Weiter stellt CHECK24 fest, dass Leistungsbeziehern aufgrund der geringen Bonität ein Anbieterwechsel vom in der Regel deutlich teureren örtlichen Grundversorger zu einem günstigeren Anbieter oft gar nicht möglich ist. So kommt zu der ohnehin nachgewiesenen Unterdeckung im Regelsatz von ca. 10,00 €/Monat noch die soziale Ausgrenzung beim Anbieterwechsel, die eine durchschnittliche jährliche Einsparung von 94,00 € ausmachen könnte.
Die Folge sind nicht selten Energiesperren mit z.T. Lebensbedrohlichen Folgen.
Die Kinderarmut in Deutschland wächst
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Kinderarmut in Deutschland erschreckend zugenommen hat.
Kindergeld wird bei Leistungsberechtigten als Teil des Existenzminimums in voller Höhe angerechnet. Der monatliche Anteil für Bildung am Regelsatz für Kinder liegt unter 2,00 €. Die Schulkosten werden in zwei unrealistisch abgebildeten Pauschalen von 30,00 € und 70,00 € zum Beginn des neuen Schuljahres „gefördert“. Das sogenannte Bildungspaket ist weitgehend stigmatisierend, und in einigen Bereichen realitätsfremd, dass viele Eltern aus Scham darauf verzichten.
Auf diese Weise erleben viele Kinder aus sozialschwachen Familien die staatlich geförderte Ausgrenzung von Anfang an.
Sanktionen
Auch durch die Sanktionspraxis der Jobcenter werden ungezählte Menschen in die Schuldenfalle getrieben. Die Auswirkungen solcher „Verfolgungsbetreuung“ hat bereits etliche, besonders unter-25Jährige, in die Wohnungslosigkeit, Depression und Beschaffungskriminalität getrieben.
Vielleicht erinnern einige Sanktions-Auslöser dabei manchmal an Wilhelm Tell und seine strikte Weigerung einen Hut auf einer Stange zu grüßen, oder auch an das Fähnchen-grüßen im Dritten Reich. Asterix würde wohl festgestellt haben: „Die spinnen, die Deutschen!“ Aber im Jobcenter reicht das aus: „Er gehorcht uns nicht, er muss bestraft werden! Und wenn es ihn Wohnung und Gesundheit kostet!“
Viele Sanktionen sind bereits nach dem SGB II rechtswidrig wie das Beispiel zeigt: 100%-Sanktion, keine Miete, keine Krankenversicherung und keine Hilfe in Sicht. Und nur durch anwaltliche Hilfe gab es nach 3 Jahren Geld zurück.
Zahlungsverzug beim Jobcenter
Vermeidbare Überziehungszinsen, Rückbuchungs- und Mahngebühren resultieren nicht selten durch verzögerte Zahlung von Sozialleistungen. Schnell werden mal Leistungen eingestellt, Mieten und Heizkosten nicht absprachegemäß angewiesen, Nachzahlungen aus verlorenen Rechtsstreiten werden oft erst nach mehrfacher Erinnerung nachgezahlt und manchmal, wenn der Betroffene nicht nachhält auch gar nicht.
Die Erstattung von Bewerbungskosten, Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen und Praktika werden ebenfalls nicht zeitnah ausgekehrt. Aber Leistungsbezieher haben verständlicherweise keine Reserven und keinen Dispokredit auf den sie zurückgreifen können. Jeder Euro zählt. Auch das Busgeld für die Anfahrt zum Jobcentertermin muss vom Jobcenter bezahlt werden. Aber auch darüber werden die Leistungsberechtigten nicht aufgeklärt.
GEZ – „öffentlich rechtliche Schutzgelderpresser“
Aber auch wer keinen Vertrag unterschreibt und nichts bestellt, wird zu Kasse gebeten. Ja, wer Leistungen vom Jobcenter oder der Grundsicherung bezieht ist aufgrund seiner Armut und Unterversorgung von GEZ-Gebühren grundsätzlich befreit.
Aber nur wenn . . . , wenn er einem Vertrag schriftlich widerspricht, den er nie abgeschlossen hat.
Und ganz in der Tradition krimineller Banden von Schutzgelderpressern fordern die „öffentlich rechtlichen“ Zwangsgelder von den Ärmsten der Armen ein, wohl wissend, dass der Anspruch eigentlich nicht besteht, weil der Regelsatz dafür nicht ausgelegt ist.
Darlehen für Notfälle
Aber auch das reicht noch immer nicht, wenn man die Verschuldungssituation mit und durch Hartz IV beschreiben will.
Hunderttausende von Leistungsbeziehern leben Monat für Monat unter dem Existenzminimum, weil Jobcenter und Grundsicherung Rückzahlungen aus Darlehen einbehalten.
Dabei kann es sich um Stromdarlehen handeln, oder weil dringend eine defekte Waschmaschine ersetzt werden musste. Beerdigungen von nahen Angehörigen verursachen außergewöhnliche Bedarfe aber auch Krankenhausaufenthalte und Arzneikosten. All diese Posten finden im Regelsatz keine Berücksichtigung.
Allein Darlehen für Mietkautionen können über mehrere Jahre das Existenzminimum um volle 10% unterschreiten.
Autor:Ulrich Wockelmann aus Iserlohn |
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