Rekord bei Sanktionen: Noch nie wurden so viele Hartz-IV-Empfänger bestraft

Im September kürzte die Bundesagentur für Arbeit mehr als 91.000 Menschen die Bezüge.
Einen so hohen Anstieg gab es laut “Bild” seit der Einführung von Hartz IV noch nie. Über den genauen Grund des Anstiegs konnte die Behörde auf Anfrage der HuffPost am Mittwochmorgen keine Auskunft geben.

Die Statistikerhebung der Bundesagentur für Arbeit

Die Bundesagentur sammelt seit Jahren Daten über Sanktionen in mehreren Statistiken, z.B.: „Sanktionen - Deutschland, West/Ost, Länder und Jobcenter (Monatszahlen) - September 2017“

Die Erfassung der Sanktionen erfolgt bereits bei der Bescheid-Erteilung, also durch Eingabe juristisch meist nur unzureichend qualifizierter Sachbearbeiter in die Software der Jobcenter. Eine Korrektur der BA-Statistik bei Rücknahmen nach Sachklärung oder auch erfolgreichen Widersprüchen und Klagen erfolgen nicht, somit auch keine ehrliche Statistikbereinigung. Das kann nicht überraschen.

Am 08.04.2016 berichtete die Süddeutsche: „Jeder dritte Widerspruch gegen Hartz IV-Sanktionen ist erfolgreich“. Von den verbleibenden 2/3 gehen etliche ins Klageverfahren und die Erfolgsquote dort liegt bei weiteren 40-50 %. Diese Zahlen belegen wie schlecht es um die Qualitätssicherung in Jobcenter-Bescheiden bestellt ist.

Sanktionen im Märkischen Kreis

Im Berichtsmonat September 2017 wurde demnach im Jobcenter Märkischer Kreis ein Bestand an 497 Sanktionierten erfasst, davon 142 unter 25jährige Personen. Das ohnehin erheblich gefakte Existenzminimum wurde bei den Geschundenen um weitere 21,6 % + 26,2 % gekürzt. Die Sanktionsgründe erweisen sich in der Beratungspraxis oft als erbärmlich fadenscheinig und verzweifelt konstruiert. Rational vorwerfbares Verhalten liegt selten vor. Dubiose Bildungsmaßnahmen sind überwiegend nutzlos, Ein-Euro-Jobs häufig rechtswidrig und Terminvorladungen zumeist nur Zeitverschwendung. Einer kritischen Überprüfung auf sinnstiftende Aktivitäten halten die meisten Sanktionsbegründungen nicht stand.

Der Gesamt-Bestand an Klagen im Jobcenter Märkischer Kreis im Dezember 2017 wird mit 1658 ausgewiesen, davon waren allein 77 Klagen zum Thema Sanktionen anhängig.
Widersprüche und Klagen SGB II - Deutschland, West/Ost, Länder und Jobcenter (Zeitreihe Monatszahlen)

Die Aushebelung der Gewaltenteilung in Deutschland

Aber was bedeutet das für das Rechtsstaatsprinzip? - Juristisch völlig unbedarfte Anlernkräfte mutieren zu Existenzvernichtern durch die gedankenlose Anwendung von verfassungsrechtlich höchst bedenklichen und rechtsanhängigen Paragrafen des SGB II. Jobcentermitarbeiter mit zweifelhafter Sozialkompetenz und multiplen Defiziten mutierten unkontrolliert oder aufgewiegelt zu Vollstreckern gegen ihre Mitmenschen.

Zu Recht hatte Heiner Geissler bereits 2009 mehrmals mit mahnenden Worten darauf aufmerksam gemacht.
„Anlässlich einer Pressekonferenz zur Buchvorstellung „Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt“ von Dr. Wolfgang Gern und Dr. Franz Segbers beim Diakonischen Werk Hessen Nassau bezeichnete heute der frühere Sozial- und Gesundheitsminister Heiner Geißler (CDU) das Hartz-IV-Gesetz als grundgesetzwidrig. Die Regelungen des Arbeitslosengeldes II und die Praxis der Jobcenter verstießen gegen den ersten Artikel des Grundgesetzes, wonach die Menschenwürde unantastbar sei. Hartz IV ermögliche kein menschenwürdiges Leben, sagte Geißler heute in Frankfurt am Main.

Die Jobcenter legten die Gesetze grundsätzlich zum Nachteil der Betroffenen aus, sagte Geißler weiter. Wer sich ihren Anordnungen widersetze, dem werde der Regelsatz, für einen volljährigen Haushaltsvorstand 359 Euro im Monat, gekürzt. Die Kürzung einer Leistung unter die Höhe des Existenzminimums sei eine derart schwere Strafe, wie sie in einem Strafprozess kaum verhängt werde. Eine Strafe dürfe nämlich die Existenzgrundlage nicht entziehen.“

Und Alexander Sell schrieb am 20.06.2015:
„Strafrecht unterliegt der Richterhoheit.
Die H.IV-Sanktionen verhängt ein einfacher Sachbearbeiter mit befristeter Anstellung für einfachen Ungehorsam.
Das ist ein derart massiver Bruch der Rechtsstaatlichkeit, dass das Gewaltmonopol keine Grundlage mehr besitzt..!“

Unqualifizierte Eingliederunsvereinbarungen scheinen die Regel zu sein

Wie RA Lars Schulte-Bräucker mitteilte, hat das Sozialgericht Dortmund in einer aktuellen Entscheidung vom 10.01.2018 (Az.: S 27 AS 6836/17 ER) die Verwaltungspraxis des Jobcenter Märkischer Kreis in der Anwendung von Eingliederungsvereinbarungen als rechtswidrig zurückgewiesen. Hintergrund ist, dass die Jobcenter dazu übergehen Eingliederungsvereinbarungen ohne feste Laufzeit zu erlassen, was im offenen Widerspruch zu den gesetzlichen Regelungen steht. Das Sozialgericht Dortmund folgte damit einer aktuellen Entscheidung des LSG Bayern vom 08.06.2017, L 16 AS 291/17 B.
ER,

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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