Mehr Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger
„Sie versäumten, sich zu melden oder kamen ihren Pflichten nicht nach: Gegen Hartz-IV Empfänger wurden 2010 deutlich mehr Sanktionen verhängt als im Jahr zuvor. Ihre Bezüge wurden laut Bundesregierung vorübergehend um durchschnittlich 124 Euro gekürzt.“
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,784126,00.html
In seiner Berichterstattung zitiert der Spiegel aus der Antwort der Bundesregierung vom 19. August 2011. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/068/1706833.pdf
Allerdings hätten Zitate aus den Fragen womöglich viel mehr Klarheit über dieses Thema gebracht.
Das Kernanliegen der kleinen Anfrage der SPD war präzise formuliert: „Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für Sanktionen . . .“
Die obersten Verfassungsschützer hatten in ihrer Entscheidung 1 BvL 1/09 vom 09.02.2010 betont:
„1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.
2. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.“
http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html
Vor diesem Hintergrund klingt z.B. die Frage Nr. 11 erschreckend nüchtern:
„Wie wird das nach dem oben genannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu gewährende Existenzminimum bei Leistungseinschränkungen (SGB XII) oder Sanktionen (SGB II) sichergestellt, insbesondere auch bei Leistungskürzungen auf null einschließlich der Kürzung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung?“
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/065/1706519.pdf
Die Antwort der Bundesregierung ist ausweichend, naiv und lebensfremd und wird in der Beratungspraxis regelmäßig Lügen gestraft.
(z.B. http://www.diekritiker.com/story/rekordzahl-von-sanktionen-gegen-hartz-iv-empfaenger )
Auf der Seite http://www.beispielklagen.de sind inzwischen fünf 100%-Sanktionen dokumentiert, mit denen das Jobcenter Märkischer Kreis Erwerbslose in Existenznot gebracht hat. Allen diesen Klagen ist gemeinsam, dass sie inhaltlich geprüft und vom Sozialgericht als rechtwidrig ausgeurteilt wurden.
„Das Prinzip des Förderns und Forderns besage, dass eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, mithelfen muss, ihre Situation zu verbessern. Das Existenzminimum bleibe aber stets gewahrt.“ (Spiegel )
Das Zitat ist korrekt wiedergegeben. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus.
„Im Jahr 2008 haben die Betroffenen gegen 10% der Sanktionen Widerspruch eingelegt. 37% der Widersprüche wurde voll, weiteren 4% teilweise stattgegeben. In 1% der Sanktionen kam es im Jahr 2008 zur Klage. Von den im Jahr 2008 erledigten Klagen wurden 51% ohne Gerichtsurteil dadurch abgeschlossen, dass das Job-Center die Rechtmäßigkeit der Klage anerkannte. In 14% wurde der Klage durch Gerichtsentscheidung ganz oder teilweise Recht gegeben, in 12% wurde sie abgewiesen.
Diese hohen Anteile erfolgreicher Einsprüche könnten darauf zurückzuführen sein, dass vor allem dort Widerspruch eingelegt wird, wo er von Anfang an erfolgversprechend ist. Möglich ist aber auch, dass im Allgemeinen viele Sanktionen im Sinne des Gesetzes die Falschen treffen.“
http://www.sanktionsmoratorium.de/pdfs/sanktionen_wiwa_0609.PDF
Autor:Ulrich Wockelmann aus Iserlohn |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.