Falsche Verdächtigung ist ein Straftatbestand
Jobcenter Märkischer Kreis: Strafanzeige wegen Sozialleistungsbetrug beschädigt die Staatsanwaltschaft Hagen

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Am Montag, 24.09.2018 fand vor dem AG Iserlohn unter Vorsitz von Richter Hans-Jochen Uetermeier ein Strafverfahren (Geschäftsnummer 17 Cs-261 Js 950/18-411/18) gegen eine 48jährige Frau statt.

Das Jobcenter Märkischer Kreis hatte die Aufstockerin wegen Sozialleistungsbetrug bei der Staatsanwaltschaft Hagen angezeigt und der Frau Vorsatz unterstellt. Ohne nähere Prüfung der schwerwiegenden Vorwürfe erhob die Staatsanwaltschaft ihrerseits Anklage gegen die unbescholtene Frau beim Amtsgericht Iserlohn.

Mit dem Ladungsschreiben des Amtsgericht Iserlohn zur Verhandlung erschien die Frau am 11.09.2018 erstmals in der Sprechstunde bei aufRECHT e.V. Ihre Schilderung der Vorgänge erschien glaubwürdig und in den vorgelegten Bescheiden des Jobcenters fanden sich hinreichend Indizien für ihre Unschuld.

Vor dem Strafrichter

Nach der Aufnahme der Personalien und der Zeugenbelehrung der Jobcentermitarbeiterin Melanie P. sowie der Tochter der Angeklagten wurde der Staatsanwältin das Wort erteilt.

„Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Sie, in der Zeit vom 22.08.2017 bis 31.01.2018 in Iserlohn in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt zu haben, dass Sie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregten.

Ihnen wird Folgendes zur Last gelegt:
Sie bezogen in der Zeit vom 01.09.2017 bis 31.01.2018 zu Unrecht Unterstützung in Höhe von 1.890,35 Euro, weil Sie es pflichtwidrig und vorsätzlich unterließen, dem Jobcenter in Iserlohn Ihre Arbeitsaufnahme am 22.08.2017 anzuzeigen.“

Der Angeklagten wurde Raum zur Verteidigung eingeräumt. Sie widersprach der Anschuldigung ausdrücklich und behauptete fest, sowohl die Arbeitsaufnahme zeitnah mitgeteilt zu haben, als auch Arbeitsvertrag und sämtliche Lohnabrechnungen abgegeben zu haben. Im August habe sie als Aushilfe 160,00 € erhalten, im September 450,00 € und ab Oktober habe sie einen Vollzeitvertrag in der mobilen Altenpflege unterschrieben.

Auf Rückfrage des vorsitzenden Richters, wo sie die Unterlagen eingereicht habe, nannte sie die Empfangstheke des Jobcenter Iserlohn und benannte zudem ihre Tochter als Zeugin.

Bereits zu diesem Zeitpunkt regte Richter Uetermeier an das Verfahren nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit einzustellen.

Die Zeugin wird angehört

Die Staatsanwältin wollte nicht auf die Zeugenaussage der Jobcentermitarbeiterin Melanie P. verzichten und forderte sie auf ihre Aussage zu machen.

Die Zeugin P. behauptete erst im April 2018 durch einen Datenabgleich mit der Rentenversicherung Kenntnis von der Tätigkeitsaufnahme der Angeklagten erhalten zu haben. Sie unterstellte der Angeklagten drei Anforderungen ihres Kollegen von Lohnabrechnungen nicht nachgekommen zu sein und erst durch Anfragen beim Arbeitgeber der Angeklagten diese erhalten zu haben. Ferner belastete sie die Angeklagte durch die Behauptung die Arbeitsvermittlung habe von Nichts gewusst.

Dann überraschte sie mit der Aussage, Unterlagen würden regelmäßig am Empfang entgegen genommen, registriert und an den Sachbearbeiter weitergeleitet. Eine Prüfung der Aussage der Beklagten wurde offensichtlich nicht vorgenommen.

Spätestens mit der Einführung der E-Akte dürfte diese Aussage falsch sein, da entgegengenommene Unterlagen zur Digitalisierung zunächst an ein Scancenter außerhalb von Iserlohn weitergeleitet werden und erst als Datei den Sachbearbeiter erreichen.

Auch der behauptete Datenabgleich war völlig überflüssig und stellt möglicherweise sogar eine massive Datenschutzverletzung dar, weil die Kenntnis von der Arbeitsaufnahme bereits in mehreren früheren Bescheiden des Jobcenters berücksichtigt wurde. Anfragen bei der Rentenversicherung und beim Arbeitgeber waren somit völlig überflüssig. Die weiteren Überzahlungen wären vermeidbar gewesen.

Langsam wurde auch die Staatsanwältin unruhig: „Das kann doch jetzt nicht Frau B. angelastet werden, wenn die Behörde weiterleistet . . .“

§ 160 StPO Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung

Die Staatsanwaltschaft hat versagt, weil die verantwortliche Staatsanwältin dem Jobcenter Märkischer Kreis naiv geglaubt hat und der Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Sachverhaltsaufklärung nicht nachgekommen ist.

(1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.
(2) Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.
(3) Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen sich auch auf die Umstände erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu kann sie sich der Gerichtshilfe bedienen.

Ein herber Rüffel für das Jobcenter Märkischer Kreis

„Falsche Verdächtigung ist ein Straftatbestand.“ Möglicherweise waren die Prozessbeobachter diesmal lästig. Die Staatsanwältin war vom Jobcenter vorgeführt worden und blamiert. 
Falsche Verdächtigung ist ein Straftatbestand.“ – „Nehmen Sie das mit in ihre Dienststelle!“
Melanie P. reagierte farblos: „Ich hab auch nur die Briefe geschrieben.“

Na, dann ist ja alles geklärt.

Folgerichtig stellte Richter Uetermeier das Verfahren gemäß § 153 StPO ein.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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