Von Scharfmachern und Hampelmännern (und -frauen)
Autoritätsmissbrauch in Jobcentern

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Vermutlich müssen sich Verfassungsrichter kompliziert ausdrücken, um Autorität abzubilden. Mit Urteil vom 09. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09 stellten die Richter sicher, dass in Deutschland jedem Hilfebedürftigen ein Existenzminimum zur Verfügung zu stellen ist. – Soweit die Theorie.

„Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu. "

Dieser Urteilstext muss jeden Analphabeten zutiefst beeindrucken. - Die Bundesregierung hat die Verfassungsrichter in der Frage des Existenzminimums allerdings weitere 9 Jahre ignoriert und damit faktisch zu Requisiten im Rechtsstaat degradiert.

Sag es treffender

Das Bundesverfassungsgericht hat als Hüter des Grundgesetzes u.a. die Aufgabe sicherzustellen, dass höherwertiges Recht nicht durch minderwertiges Recht ausgehebelt wird, wie dies in der Sanktionspraxis seit 2005 praktiziert wird.

Persönlich Betroffene reden anders:
„Was für ein perverses Schwein sanktioniert Hilfesuchende um 10%, 30%, 60% oder 100% vom angeblich doch „unverfügbaren Existenzminimum“?“
So in etwa stellt sich die Frage nach den Sanktionsregeln in der Gossensprache.

Was sind das also für Menschen, die sich dazu hergeben ihnen völlig ausgelieferte, fremde Menschen dermaßen zu drangsalieren und gefügig machen wollen?

Zieht man ernst zu nehmende Wissenschaftler hinzu, so gebietet sich selbstredend eine andere Formulierung der gleichen Frage:
„Uns interessiert die Fähigkeit zum absoluten Gehorsam.“

Menschen wie Du und ich?

Der Versuch des vom Psychologen Stanley Milgram berühmt-berüchtigten Milgram-Experiment wurde erstmals 1961 in New Haven durchgeführt, um die Auswirkungen kritikloser Unterwerfung unter den Willen vermeintlicher Obrigkeit zu untersuchen.

„Es gibt eine Theorie, die bedeutende Psychologen entwickelt haben, die besagt, dass jedes Lernfähige Individuum umso wirksamer lernt, je mehr es fürchten muss, für etwaige Fehler bestraft wird“, lautete die These mit der die Peiniger beruhigt werden sollten. Willig bestraften sie dann völlig unbekannte Personen für „falsche Antworten“ mit Elektroschocks bis zu einer Lebensbedrohlichen Dosis, ähnlich wie die Bestrafungen durch Kürzungen der Existenzsichernden Leistungen im Hartz IV-System.

Larken Rose: Die Ergebnisse des Experiments schockierten selbst Dr. Milgram: Eine deutliche Mehrheit von fast zwei Dritteln der Probanden steigerte die Stärke der Elektroschocks bis zum maximal möglichen Wert. Obwohl sie davon ausgehen mussten, diesen ihnen vollkommen unbekannten Menschen unerträgliche Schmerzen zuzufügen und ihnen möglicherweise tödliche Stromschläge zu verabreichen. Trotz der Schmerzensschreie, trotz der Rufe um Gnade, trotz der vorgespielten Bewusstlosigkeit oder dem vermutlichen Tod der Opfer.  Dr. Milgram fasste die Ergebnisse wie folgt zusammen:

„Mit betäubender Regelmäßigkeit unterwarfen sich gute Menschen der Autorität und führten Handlungen aus, die gefühllos und hart waren... Ein beträchtlicher Anteil der Menschen tut, was ihnen gesagt wird. Unabhängig vom Inhalt und ohne Gewissensbisse, so lange die Anordnungen von einer rechtmäßigen Autorität kommen.“
02:55
Menschliche Bestien - die Milgram Experimente

„Uns interessiert die Fähigkeit zum absoluten Gehorsam"

"Unsere weißen Kittel sind die Symbole dieser Autorität. Wir haben ihm befohlen einen Menschen zu bestrafen, der ihm nicht getan hat nach einem bestimmten Ritus zu bestrafen. Wie weit wird er diesen schwachsinnigen Befehl ausführen? Und wann wird er sich gegen die auflehnen, die ihm diesen schwachsinnigen Befehl gegeben haben? Das ist das Problem. Und nur das."
06:54-07:23
youtube

Sanktionsvollstrecker als Systemsklaven

Es sind die immer gleichen Grundmuster der Manipulation von Untergebenen. 
Da ist das Vorgaukeln von Autorität, bevorzugt mit Bezug auf interne Vorschriften oder zweifelhafte Gesetze. Dazu kommt die "Absolution vom eigenen Gewissen" durch vermeintliche Verlagerung der Verantwortung auf "die Verantwortlichen". Und nicht zuletzt muss der Mitarbeiter überzeugt werden, dass er strafen, muss, weil der Kunde ohne Druck nicht mitarbeitet.
"Die Bundesagentur für Arbeit (BA) macht Jobcentern Druck, konsequenter Sanktionen gegen unwillige Hartz IV-Empfänger zu verhängen."
Bericht: BA will Jobcenter zu mehr Sanktionen zwingen

Viele Jobcentermitarbeiter sind mit der ehrlichen Motivation angetreten, Menschen wirklich helfen zu wollen. Viele leiden mit der Zeit unter Gewissensbissen und bezweifeln selbst den Nutzen ihrer Angebotspalette. Aber nur wenige haben den Mut Missstände öffentlich gemacht.  

Als die wohl bekannteste Kritikerin intern kein Gehör fand, ging sie an die Öffentlichkeit. Aufgeschreckt reagierten die Verantwortlichen und sie lieferten die gleichen Muster, die die Milgram Experimente gezeigt hatten in der  Presse Info 035 vom 14.06.2013 "Inge Hannemann gefährdet tausende Mitarbeiter der Jobcenter. " 

Inge Hannemann übte wohl begründete Kritik an den Verantwortlichen und wollte damit die Arbeitsverhältnisse ihrer Kollegen nachhaltig entlasten und die Arbeitsqualität verbessern. In der wenig durchdachten Presseerklärung der Bundesagentur verstecken sich die offen Kritisierten nunmehr hinter dem „Schutz der vielen tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“.

Dann wird ein Frontalangriff eingeleitet, der direkt am gesunden Menschenverstand vorbei auf die Emotionen der Leser abzielt: Die Behauptungen von Frau Hannemann sind falsch und führen die Öffentlichkeit in die Irre.  Die BA setzt auf den Autoritätsbonus, denn der geäußerten Kritik hat sie bis heute nichts entgegenzustellen:
„Inge Hannemann: „Insbesondere kritisieren sie meine Aussagen darüber, dass Hartz IV die Erwerbslosen krank mache, dass Sanktionen ein Verstoß gegen das Grundgesetz darstelle, Hartz IV die Demokratie gefährde, die Arbeitsgelegenheiten Billiglohnausbeute seien, die Rechtsbeugung in unserer Demokratie als erstes durch das Ziel renne und ein Jobcentermitarbeiter nicht denken dürfe.“
heise.de

Die BA bedient sich der gleichen Mittel, die sie Frau Hannemann allerdings zu Unrecht unterstellt:
„Die Behauptungen von Frau Hannemann sind falsch und führen die Öffentlichkeit in die Irre.
Weder widerspricht die Grundsicherung („Hartz IV“) dem Grundgesetz, noch verletzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter durch ihre tägliche engagierte Arbeit die Würde der Kunden. Weder gibt es eine Anweisung oder eine Zielvorgabe, über Sanktionen Geld einzusparen, noch gibt es „tausende von Selbstmorden“ unter Kunden der Grundsicherung. Und in den Jobcentern arbeiten auch keine seelenlosen Maschinen, die nur Zielvorgaben, nicht aber die Menschen im Blick haben. "

Die Pressemeldung ist gespickt mit Fake-News: Frau Hannemann hatte bei Stern TV am 12.04.2013 nicht von „tausenden von Selbstmorden“ gesprochen:
"Ich weiß um die vielen Suizide durch Hartz IV. Ich weiß, um die vielen, vielen Erkrankungen durch Hartz IV. Wo ich sage, es stimmt nicht mehr im Rechtssystem. Es kann nicht sein, dass das Sozialgesetzbuch mehr Gewicht hat als unsere Verfassung.“

Wer Wind sät, wird Sturm ernten

Mit der Wandlung des deutschen Sozialsystems zur sanktionslastigen Verfolgungsbetreuung, wurden erstmals (?) Sicherheitskräfte geordert, um Mitarbeiter zu schützen, die regelmäßig von den Geschäftsführungen missbraucht werden, Kunden zu drangsalieren und zu desinformieren. 
Polizeieinsätze im Jobcenter.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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