Jobcenter-Versteher
Auch Behördensprache braucht ein Minimum an Sachverstand
Jobcenterbescheide zu verstehen ist nicht leicht. Viele tausend Gespräche mit Leistungsberechtigten zeigen an dieser Stelle eine große Übereinstimmung: "Wer soll dieses Geschreibsel verstehen?"
Die sprachliche Verwirrung beginnt schon mit Begriffen wie "Bedarfsgemeinschaft" für eine Einzelperson.
"Gemeinschaft bezeichnet in der Soziologie und der Ethnologie eine überschaubare soziale Gruppe, deren Mitglieder durch ein starkes „Wir-Gefühl“ eng miteinander verbunden sind – oftmals über Generationen. Die Gemeinschaft gilt als ursprünglichste Form des Zusammenlebens und als Grundelement einer Gesellschaft."
Auch "Rechtsbehelfsstelle" ist eine Vokabel die suggerieren kann, dass eine unabhängige Bescheid-Prüfung der Rechtskonformität durch unabhängige Fachleute durchgeführt werden.
"Jeder Einspruch wird zunächst von der Stelle, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, nochmals überprüft. Kann dem Einspruch nicht abgeholfen werden und wird er auch nicht zurückgenommen, übernimmt die Rechtsbehelfsstelle die weitere Bearbeitung und Entscheidung."
Wenn aber lohnabhängige Mitarbeiter hausinternen Vorgaben folgen und gesetzliche Vorgaben ignorieren, ist Misstrauen zwingend geboten.
Widerspruchsbescheid, á la Jobcenter Märkischer Kreis
Aus eigenen Recherchen in Hunderten von Bescheiden kann ich nachweisen, dass die Widerspruchstelle/Qualitätssicherung des Jobcenters für Vermögensschädigungen in vielen tausend Euro verantwortlich ist.
Ein konkretes Beispiel gesetzwidriger Leistungskürzungen bei den Kosten der Unterkunft wird in klage155 fortlaufend dokumentiert. Von Oktober 2018 bis Juni 2021 hatte das Jobcenter Märkischer Kreis einen Leistungsberechtigten belogen und falsche Mietobergrenzen als rechtskonform behauptet.
Das Dortmunder Sozialgericht hat dem Täuschungsversuch bisher bei nur diesem Kläger in drei Verfahren widersprochen und Nachzahlungen ausgeurteilt. Aber noch ist nicht der gesamte Zeitraum abgedeckt. Da geht noch was.
Die von Amtswegen zu erbringende Verzinsung gem. § 44 SGB I werden vom Jobcenter immer "vergessen". Dieser Kläger wehrte sich, er klagte ein, was von Gesetzeswegen ausgezahlt werden muss.
In einem weiteren Widerspruchsbescheid heißt es nun:
"Die angefochtene Entscheidung wurde mit Bescheid vom 07.09.2023 dahingehend abgeändert, dass insgesamt Zinsen in Höhe von 40,50 € bewilligt wurden. Dieser Bescheid, auf dessen Inhalt ebenfalls Bezug genommen wird, ist nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.
Der Widerspruch ist zulässig, jedoch nach Erlass des Änderungsbescheides nicht mehr begründet. Die nunmehr getroffene Entscheidung ist demnach nicht zu beanstanden."
- 28.04.2023 fehlerhafter Bescheid
- 16.05.2023 Widerspruch
- 07.09.2023 Änderungsbescheid (Fehlerkorrektur versucht, erfolglos)
- 13.09.2023 ablehnender Widerspruchsbescheid (erneut fehlerhaft)
- 06.10.2023 noch eine Klage . . .
Die deutschsprachige, langjährige Mitarbeiterin der Widerspruchstelle hat offensichtlich Probleme mit der Erfassung zeitlicher Abläufe. Die Beachtung der Daten könnte Abhilfe schaffen.
Gegen einen fehlerhaften Bescheid (1) wurde fristgerecht Widerspruch eingelegt (2). Nach mehreren Monate wurde aufgrund des Widerspruchs eine Nachbesserung versucht (3). Möglicherweise ungeprüft wurde danach ein ablehnender Widerspruchsbescheid (4) abgeschickt. Da noch immer nicht alle Fehler korrigiert wurden, musste eine weitere Klage (5) erhoben werden.
Für Jobcenter-Versteher heißt solche Vorgehensweise sinngemäß:
"Einbrecher gelten nach 1. Überführung und 2. Sicherstellung der Beute nicht mehr als Einbrecher."
Ohne Klagen geht es hier nicht
Das Sozial-Gesetz gibt es seit 1972, Jobcenter seit 2005. Wie die Berechnung von Schadensersatz-Zinsen korrekt erfolgen muss, wissen einige Mitarbeiter der Widerspruchstelle bis heute scheinbar nicht.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch
"Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist ein staatshaftungsrechtlicher Anspruch des Bürgers gegen einen Sozialleistungsträger, den die Rechtsprechung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelt hat.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist darauf gerichtet, Pflichtverletzungen eines sozialen Leistungsträgers insbesondere aus dessen Verpflichtung zur Aufklärung (§ 13 SGB I), zur Beratung (§ 14 SGB I) und zur Erteilung von Auskünften (§ 15 SGB I) auszugleichen. Erwächst dem Bürger ein Nachteil, weil er von einer Sozialbehörde falsch oder unvollständig beraten worden ist, so kann er unter den Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn die Behörde sich rechtmäßig verhalten hätte. Die Sozialleistungsträger haben bei ihrer Tätigkeit sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 HS. 2 SGB I)." Wikipedia
Wie viel mehr Geld hätten die Leistungsberechtigten des Jobcenter Märkischer Kreis im Portemonie, wenn alle zustehenden Leistungen gesetzeskonform zur Auszahlung gebracht worden wären?
- ich behaupte mal, viele tausend Euro mehr.
Autor:Ulrich Wockelmann aus Iserlohn |
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