"Musst Du 'grun' machen!"
Was manchmal an die Nieren geht (Andreas Rau)
Musst Du “grun” machen!
Warum meine Arbeit manchmal einfach an die Nieren geht. – Musst Du „grun“ machen!
(von Andreas Rau)
Eigentlich sitze ich im Büro und soll eine Stellungnahme für ein Asylverfahren zu einer lesbischen Klientin schreiben. Mir fehlt so ein wenig der Anfang und die Motivation, da mir diese Geschichten doch recht schnell nahe gehen.
Ich habe lange überlegt, ob ich das einfach mal aufschreibe. Ich habe es mir immer verkniffen. Viele Menschen in der Öffentlichkeit quittieren mir dann immer Naivität oder einfach blauäugig zu sein, einen Gerechtigkeitsfimmel zu haben usw. Aber ich bin nicht dazu berufen, immer alles wegzulächeln oder den Mund zu halten, denn mein Herz liegt mir auf der Zunge und wenn es schlägt, dann kann ich das nicht einfach verschweigen und es unterdrücken. Dann muss ich versuchen, was ich erlebe irgendwie in Worte zu fassen.
Ich versuche jetzt einfach mal so nüchtern einfach Fakten zu erzählen und nicht „irgendwie auf die Tränendrüse“ zu drücken. Einfach nur der Reihe nach.
Es geht um unsere „Queerfugees“. Der Name ist eine Zusammensetzung des Wortes „Queer (LGBTTI*Q) oder einfacher gesagt Lesben, Schwule, Transmenschen… und dem Wort „Refugees“ – Geflüchtete. Und schon bei der Namensgebung taucht als erstes die Frage auf, wie lange man eigentlich Geflüchteter (Refugee) ist. Manche leben seit 2015 und länger bei uns, sind sie nicht irgendwann mal angekommen und nicht mehr auf der Flucht?
Queers of Color - Queerfugees Hagen
Die Queerfugees sind eine Gruppe bei uns. Eigentlich ist es aber gar keine Gruppe, sondern es sind einzelne Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Ländern dieser Erde, die in ihren Herkunftsländern nicht leben konnten oder durften. “Geflüchtete” sagen wir für gewöhnlich – aufgrund von „Verfolgung“. Was auch immer das sein mag und welcher Art auch immer. Manche sagen auch verniedlichend Flüchtlinge, oder eher abwertend "Asylanten". Ich nenne sie (wenn keiner zuhört) manchmal liebevoll „meine Asylis“. Wohlwissend, dass das eigentlich ein ziemlich blödes Wort ist und nicht annähernd trifft, welchen Menschen ich hier begegne.
Ihre richtigen Namen möchte ich aber hier nicht nennen, aus Respekt vor ihrer Angst vor Outing und aus Gründen des Datenschutzes.
Ich will trotzdem versuchen, Euch den einen oder die andere hier vorzustellen und ihre Erlebnisse für das, was wir so belanglos „Verfolgung“ nennen zu erzählen. Manches davon wird Euch unglaubwürdig erscheinen. Nicht, weil es gelogen oder ausgeschmückt ist, sondern, weil wir uns vielleicht manches – aus unserer eigenen Biografie gar nicht vorstellen können oder wollen, weil es zu sehr an „Abenteuerroman“ oder nach Verschwörungstheorie klingt. Ein zusätzliches Problem für die Betroffenen, denn so, wie es dem einen oder anderen von Euch ergeht, so erleben es auch Richter und Interviewer bei den Ausländerbehörden bei der Entscheidung im Asylverfahren.
Lange Rede kurzer Sinn. Ich möchte Euch erst einmal Hamid vorstellen (den Namen habe ich mir gerade ausgedacht, weil er irgendwie orientalisch klingt – wieder so ein Klischee!) Es ist keine Geschichte für 1000 und eine Nacht.
Hamid ist mittlerweile 24 Jahre alt. Er tauchte hier 2015 mit 19 Jahren, mit einem "Ubersetzer" auf und einem Stapel von Briefen von Rechtsanwälten, Behörden, Rechnungen. Er saß eingeschüchtert in dem Raum mit dem pinkfarbenen Buffet in einem Sessel und der erste der ihm begegnet ist, ein leicht gereizter alter (damals noch sehr übergewichtiger Mann), der mürrisch über seinen Brillenrand blickt und eben noch mit seiner Praktikantin gezankt hat und weil von einer Renovierungsaktion in jedem Zimmer Chaos herrschte.
Eingeschüchtert saßen der „Dolmetscher“ und Hamid in den Sesseln und trauten sich gar nicht auch nur ein Glas Wasser zu nehmen oder zu fragen, wo denn in all dem Chaos die Toilette wäre. Ich muss zugeben, dass ich über diesen spontanen Besuch alles andere als erfreut war und sicher nicht der gastlichste Mitarbeiter des Monats. Und wenn ich eines weiß: ein Stapel Briefe und zwei „arabischstämmige Jungs“ (ja, sie waren beide noch sehr kindlich) bedeuten keinen frühzeitigen Feierabend und vor allem ein anstrengendes Gespräch bei dem ich gefühlte einhundert mal nachfragen muss und selbst dem “Dolmetscher” manchmal die Vokabeln fehlen. Zumal ich oftmals auch einfach den Übersetzer versuche auszublenden, denn um ihn geht es ja nicht. Also radebrechen wir vor uns in einer Mischung aus Deutsch und englisch vorwärts. Bringt aber alles nicht wirklich viel. Die Fragen, die ich habe, kann letztlich nur der Rechtsanwalt beantworten, der aber bisher nur Zeit hatte, zwei Rechnungen zu schreiben, die er im Voraus kassieren wollte und der bis dahin faktisch noch keinen Handschlag getan hatte, außer Hamid zu uns zu schicken. ICH KANN SO NICHT ARBEITEN. So, das musste jetzt mal raus.
Na ja, jetzt war ich angefixt. Ich tat, was ich tun muss. Als Erstes schickte ich den Übersetzer weg, der mir wirklich keine Hilfe war und dem zudem in der AIDS-Hilfe sehr unbehaglich war, weil er scheinbar überall Viren sah, die nur darauf warteten ausgerechnet ihn anzuspringen und unwiederbringlich in die Hölle zu führen. Hamid bat ich, einfach zu warten. Das war aber wohl nicht sein Ding, er folgte mir überall hin. Ich ging in das Nachbarbüro und tat, was man in so einer Situation halt tut, schüttete mir einen Kaffee ein, steckte mir eine Kippe an und überlegte (In Wahrheit war ich nur sauer und brauchte Abstand). Dann bereitete ich mich auf die fünf Telefonate vor, die nun vor mir lagen und teilte der Praktikantin ein paar Aufgaben zu, mit der sie mich und meine Kollegin etwas entlasten sollte. Sie verschwand also im anderen Nebenraum und wollte eigentlich aufräumen. Was dann geschah, hat selbst mich verblüfft. Ich hörte aus dem Nebenraum ein „Andreaaaaaas“ und ging nachschauen. Ich sah diesen Raum und musste nun aufpassen, nicht zu brüllen und damit sowohl eine Praktikantin zu vergraulen als auch einen „kleinen“ geflüchteten Jungen nicht vollends zu vergraulen und in Angst und Schrecken zu versetzen. Hamid folgte mir. Er sah den Raum, sah mich an, sah die Praktikantin an, schüttelte den Kopf, zog seinen Pulli aus und stand mit nacktem Oberkörper da und meinte nur mit einem Blick auf den umgekippten Eimer Farbe: „Musst Du grun machen“. Eigentlich sagte er es nicht, sondern befahl, grinste an diesem Morgen das erste Mal und es waren die ersten deutschen Worte, die ich von ihm hörte. Na ja, auf jeden Fall griff er nach der Folie, den Pinseln und der Farbrolle riss sich seine Jeans auch noch vom Leib und... Ja was wohl? Streifte sich eine Latzhose vom Bügel, die ich noch aus meiner Ökozeit dort - genau für solche Zwecke - hängen hatte. Er zeigte der Praktikantin in einer etwas schroffen Art, wie man eine weiße Wand und ein chaotisches Büro recht schnell wieder auf Vordermann bringen kann und auch in einer viel zu großen Latzhose würdevoll aussehen kann.
Ok, die beiden waren nun beschäftigt.
Ich klärte mit dem Rechtsanwalt, um was es eigentlich genau ging und erfuhr, dass Hamid eben erfahren hatte, dass sein Asylverfahren abgelehnt war, weil ihm keiner glaubte, dass er wirklich schwul war und vor allem über nichts sprechen konnte, weil „Dolmetscher“ ihm immer davon abrieten, dass er als Moslem Schande über seine Familie und seine Religion brächte. Oh, man. Zudem musste er schleunigst aus seinem Camp raus, wo ihn Mitbewohner "inflagranti" mit einem anderen schwulen erwischt hatten und ihm das Leben dort nicht wirklich einfacher machten.
Ein Widerspruch musste geschrieben und begründet werden, der Rechtsanwalt musste beschimpft werden, weil er auch nicht an die Homosexualität seines Mandanten glauben wollte und eigentlich gar nicht bereit war, Hamid weiter zu unterstützen. Afghanistan sei ein tolles Land, dort herrsche jetzt Frieden und Schwule gäbe es da nicht. „Die sagen das nur, damit sie hier ein gutes Leben haben, sie müssen nicht alles glauben, was „die“ einem erzählen…“ und abgesehen davon solle ich ihm nicht erklären, wie er seine Arbeit zu machen habe. (Zugegeben, ich war recht autoritär). Er hätte Hamid eigentlich zu uns geschickt, damit wir als blauäugige Gutmenschen die Rechnung für ihn übernehmen sollten…
Eigentlich wollte ich Euch ja mehr über Hamids Schicksal vor der Flucht und den ersten Tagen danach erzählen. Da ich Euch aber nicht noch mehr Sätze – für heute zumuten will – nur so viel.
Das Büro haben wir in der Zwischenzeit „Grun gemacht“. „Grun“ ist die Farbe der Hoffnung. Sogar in Afghanistan. Und Hoffnung hatten wir. Mit Recht. Hamid lebt nun seit 2015 hier und ist anerkannt. Er arbeitet (am liebsten immer noch mit nacktem Oberkörper), spricht verhältnismäßig gut Deutsch und – wie es seine Art ist, fangen Sätze, mit denen er mir helfen will immer mit „Musst Du" an“. Und wenn ich Widerworte gebe, folgen meistens ein Augenrollen und ein: „Warum machst Du nicht, bist Du doch verruckt?“
So. Und da ich jetzt wieder gute Laune habe, Ihr Lieben, gebe ich Euch mit auf den Weg:
Wenn Dir mal die Hoffnung fehlt, dann „Musst Du Grun machen“
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