Hagener Studie: Ausschreitungen beim Fußball
Warum rasten Spieler aus?
Aus dem Polizeibericht im März diesen Jahres: „Nach einer roten Karte für einen Spieler in einer Partie zwischen einem Iserlohner und einem Hagener Verein kam zu einer körperlichen Auseinandersetzung.“
Ein 23- und ein 24-jährige Hohenlimburger sollen einen 19-jährigen Fußballer beleidigt und bedroht haben. Daraufhin kam es am Spielfeldrand zu einer Schlägerei.
Solche Meldungen sind im Fußball leider keine Seltenheit. Ist „FairPlay“ nur ein Wort?
Mit dieser Frage beschäftigte sich Dr. Hendrik Sonnabend von der FernUniversität in Hagen und veröffentlichte jetzt eine Studie über Gründe für Ausraster auf dem Fußballplatz.
„Das klassische Foul ist meist eine bewusste Handlung. Ein Akt der Sabotage, oft im Interesse des unterlegenen Teams, weil ein Foul den Spielfluss unterbricht und den Vorteil des Überlegenen minimiert“, meint der Hagener Forscher.
Spucken, Schimpfen, Schubsen
Anders sei es beim Schubsen, Spucken oder Schimpfen: In diesen Fällen kochen Emotionen hoch, Spieler hätten sich nicht im Griff, reagierten aggressiv oder gewalttätig.
Dafür gibt es ebenfalls die gelbe oder rote Karte, auch wenn es sich um eine ganz andere Art des Vergehens handelt. „Dieses Fehlverhaltens ist von Fouls abzugrenzen, weil es aus einem Verlust der Selbstbeherrschung resultiert und dem Team absolut keinen Vorteil bringt. Man könnte auch von Selbstsabotage sprechen.“ Der Wissenschaftler von der FernUniversität und sein Kollege Dr. Mario Lackner von der Johannes Kepler Universität Linz haben diese Form unsportlichen Verhaltens untersucht und wollten herausfinden, welche Attribute die Neigung zu individuellem Fehlverhalten auf dem Platz begünstigen.
730 Fälle von Selbstsabotage
Ihre überraschenden Ergebnisse stützen die beiden Forscher auf Spiele der 1. Fußballbundesliga.
Sie konnten für ihre Analyse auf einen Datensatz zurückgreifen, der alle Spiele der Saisons von 2014/15 bis 2018/19 umfasst. „Das sind ungefähr 40.000 Spieler-Spiel-Beobachtungen, die wir auf Selbstsabotage hin untersuchen durften.“
Gesammelt hat die Daten Stephan Lang, der an der FernUni studiert hat und sich in seiner Abschlussarbeit ebenfalls mit unsportlichem Verhalten in Wettkämpfen beschäftigt hat. Unter allen 40.000 Beobachtungen haben Sonnabend und Lackner dann 730 Fälle von Selbstsabotage gefunden.
Da diese Fälle nicht verfälscht werden sollten, mussten die beiden Wissenschaftler zunächst besondere Umstände identifizieren und „herausrechnen“. Ein besonders hitziges Derby wäre so ein Fall, oder Schiris, bei denen die Strafkarten besonders locker sitzen. Schließlich blieben zwei Faktoren übrig, die das Schubsen anderer Spieler oder das Pöbeln auf dem Platz erheblich begünstigten: das Alter der Spieler und ihr Talent – oder zusammengefasst: ihr Status. Allerdings ganz anders, als die Forscher vermutet hatten.
Überflieger nehmen sich mehr raus
„Wir haben gedacht, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich jemand falsch verhält, mit dem Alter abnimmt.“ Doch genau das Gegenteil ist der Fall. „Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass der emotionale Kontrollverlust mit zunehmendem Alter größer wird.“
Besonders anschaulich ist der Zusammenhang im Zehnjahresvergleich. „Man könnte sagen: Bei 30-jährigen Spielern ist die Wahrscheinlichkeit, auf dem Platz auszurasten, um 30 Prozent höher als bei 20-Jährigen. Die Annahme ‚Je älter, desto weiser‘ können wir also keineswegs bestätigen“, fasst Sonnabend die Ergebnisse zusammen.
Neben dem starken Einfluss des Alters sehen die Forscher emotionalen Kontrollverlust vor allem bei besonders talentierten Spielern. Weil sie in ihrer Untersuchung das Talent über den Marktwert abbilden, können sie Unterschiede sehr präzise bis hinunter in einstellige Prozentbereiche messen. Dabei kam heraus: „Wenn der Marktwert eines Spielers nur um einen Prozentpunkt steigt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass er auf dem Platz ausrastet – und zwar um vier Prozent.“
Extrem ist der Effekt daher bei den Überfliegern, den Profispielern mit Marktwerten in Millionenhöhe. „Bei Top-Spielern wie Erling Haaland oder Jude Bellingham liegt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie ausrasten im Vergleich zu weniger talentierten unserer Untersuchung zufolge bei über 50 Prozent.“
Hier gehts zur Studie
Autor:Anja Jungvogel aus Unna |
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