Pilgern auf dem Jakobsweg
Erfahrung, die unter die Haut geht: Erste wissenschaftliche Untersuchung zu Pilger-Tattoos
„Ich bin dann mal weg.“ Spätestens seit dem Bestseller von Film- und Fernsehstar Hape Kerkeling hat das Pilgern auf den Jakobswegen in beeindruckender Weise an Popularität gewonnen. 2017 wurden zum ersten Mal mehr als 300.000 Pilger in Santiago de Compostela registriert. Für die kommenden Jahre wird eine Steigerung der Pilgerzahlen von rund acht Prozent pro Jahr erwartet.
Dr. Christian Kurrat und Dr. Patrick Heiser, beide Sozialwissenschaftler an der FernUniversität in Hagen, sind selbst den Camino de Santiago gelaufen. Sie erforschen das Pilgern aus biographischer und religionssoziologischer Perspektive. Aktuell steht die Nachhaltigkeit des Pilgerns in zwei Projekten im Fokus. In der laufenden Saison auf dem Camino de Santiago führen sie die erste wissenschaftliche Untersuchung zu Pilger-Tattoos durch.
Eingebettet ist diese in einen kulturhistorischen Kontext. „Tattoos von Pilgern stammen ursprünglich aus Jerusalem, wo man sich im Mittelalter als Zeichen der vollbrachten Pilgerschaft tätowieren ließ. Das scheint nun auch nach Compostela überzugehen“, erklärt Kurrat. „Vor zehn Jahren gab es nur ein Studio. Inzwischen sind es annähernd zehn. Das Pilgern wird so zu einer Erfahrung, die unter die Haut geht.“ Und Heiser ergänzt: „Allein diese Beobachtung ist ein Hinweis auf eine Nachhaltigkeit der Pilgerschaft. Offenbar haben die Menschen das Bedürfnis, etwas Dauerhaftes und fest in den Körper Eingebranntes zu behalten.“
Um die Nachhaltigkeit des Pilgerns geht es auch in der Längsschnittstudie von Christian Kurrat. „Hier stellt sich die Frage, wie sich biographische Prozessverläufe nach dem Pilgern entwickeln“, so der Wissenschaftler. „Wir wollen herausfinden, wie es eineinhalb bis zwei Jahre nach dem Pilgern im Leben der Befragten weitergegangen ist“, so Kurrat. „Das wird sicherlich ein breites Spektrum sein. Von keinen bis hin zu kleinen und großen Veränderungen.“
Für Christian Kurrat und Patrick Heiser ist das Pilgern ein Lebensthema geworden. Schwerpunkt ihrer Forschung sind die biografischen Auslöser und die Rolle der Religion. Demnach pilgern Menschen in typischen biographischen Situationen, um Krisen zu bewältigen, biografische Übergänge zu gestalten, einen Neustart zu wagen und ihr Leben zu reflektieren oder bilanzieren. Dabei greifen Pilgernde auch in der heutigen Zeit, also in der späten Moderne, auf eine religiöse Praktik zurück. Diese wird jedoch nur noch mittelbar von der katholischen Kirche beeinflusst. „Das Pilgern bewegt sich zwischen individueller Gestaltung und religiöser Tradition“, erläutert Heiser. „Beides ist wichtig, um die Popularität zu erklären.“
Seit fast zehn Jahren konzentriert sich die deutsche Pilgerforschung an der FernUniversität in Hagen. Parallel zu ihrer Forschung integrieren Kurrat und Heiser das Thema „Pilgern“ seit vielen Jahren in die FernUni-Lehre. Aktuell arbeiten sie an einem Wissenschaftsfilm zum Pilgern. Für die Zukunft können sich die Wissenschaftler eine Institutionalisierung der Pilgerforschung vorstellen.
Autor:Lokalkompass Hagen aus Hagen |
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