Enzephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose)
Enzephalomyelitis disseminata: Symptome, Diagnostik und Therapie

Multiple Sklerose
Die Multiple Sklerose (MS) ist - einschließlich ihrer seltenen Variante Neuromyelitis Optica Spektrum Erkrankungen (NMOSD) und den MOG-IgG-assoziierte Erkrankungen - mit mehr als 250.000 Erkrankten in Deutschland die häufigste chronische ZNS-Erkrankung junger Menschen.

Definition und Epidemiologie
Die Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste autoimmun vermittelte Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Sie führt zu multifokalen ZNS-Läsionen, die sich klinisch als Defizite in allen neurologischen Funktionssystemen äußern können, episodisch („Schübe“) auftreten oder sich progredient entwickeln. In der schubförmigen Phase der Erkrankung scheint dem peripheren Immunkompartiment - insbesondere den Lymphozyten - eine entscheidende Bedeutung zuzukommen. In der progredienten Form wird das Voranschreiten der Erkrankung maßgeblich von Prozessen innerhalb des ZNS beeinflusst. Das periphere Immunkompartiment ist in dieser Phase für das Fortschreiten der Erkrankung nur noch von nachgeordneter Bedeutung (Hemmer et al. 2015).
In der Regel beginnt die Erkrankung zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr; die Altersspanne reicht jedoch von der Kindheit bis in das höhere Erwachsenenalter. Frauen sind in der häufigsten Verlaufsform (schubförmig-remittierende MS (RRMS)) zwei- bis dreimal häufiger als Männer betroffen.
Weltweit sind mehr als 2 Millionen Menschen an einer MS erkrankt (Browne et al. 2014). Gemäß aktuellen epidemiologischen Daten aus der vertragsärztlichen Versorgung litten in Deutschland 2015 ca. 220.000 bis 230.000 Menschen an MS, und jedes Jahr wird die Erkrankung bei 16 bis 18 pro 100.000 Versicherten neu diagnostiziert (Daltrozzo et al. 2018; Holstiege et al. 2017). Dabei war in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme der Krankheitsprävalenz zu beobachten - für das Jahr 1997 wurde diese noch auf etwa 120.000 Betroffene in Deutschland geschätzt (Hein et al. 2000). Eine aktuelle Untersuchung an Versorgungsdaten aus Bayern prognostiziert auch für die kommenden Jahrzehnte weiter steigende Prävalenzen (Daltrozzo et al. 2018). Inwieweit diesem Anstieg eine tatsächliche Zunahme der Erkrankungen zugrunde liegt oder neue diagnostische Kriterien, die eine frühere Diagnose erlauben, ist unklar.

Diagnose
Für die Diagnose einer MS sind klinische Symptome und der Nachweis einer zeitlichen (DIS) und räumlichen Dissemination (DIT) von Läsionen im ZNS notwendig. Voraussetzung für die Diagnose einer MS ist das Fehlen einer besseren Erklärung für die Symptome bzw. paraklinischen Befunde.
Seit 2001 wird die Diagnose der MS nach den sogenannten McDonald-Kriterien (siehe Abbildung 1) gestellt, die es erlauben, die Diagnose einer MS nicht nur rein klinisch, sondern auch mit Hilfe paraklinischer Befunde ausreichend sicher stellen zu können. Dabei stehen MRT-Kriterien im Vordergrund, die geeignet sind, bereits nach einem ersten klinischen Ereignis sowohl die räumliche als auch die zeitliche Dissemination feststellen zu können. Diese MRT-Kriterien sind mehrfach überarbeitet und vereinfacht worden. Seit der letzten Überarbeitung der McDonald Kriterien 2017 (Thompson et al. 2018) kann der Nachweis von liquorspezifischen oligoklonalen Banden den kernspintomographischen Nachweis der zeitlichen Dissemination ersetzen.
Verlaufsformen
Traditionell werden die folgenden Verlaufsformen der MS unterschieden (Lublin et al. 1996):
- Schubförmig-remittierende MS („relapsing-remitting MS“, RRMS): häufigste initiale Verlaufsform; charakterisiert durch Schübe mit kompletten oder auch inkompletten Remissionen der Symptome.
- Sekundär progrediente MS („secondary-progressive MS“, SPMS): entwickelt sich aus einer RRMS; charakterisiert durch Behinderungsprogression mit oder ohne aufgesetzte Schübe. Für die Dauer der Progression existiert keine einheitliche Definition; oft wird eine schubunabhängige Progressionsdauer von mindestens sechs bis zwölf Monaten gefordert (Plantone et al. 2016).
- Primär progrediente MS („primary-progressive MS“, PPMS): von Beginn an Behinderungsprogression; keine Schübe.
Eine weitere Kategorie, die durch die McDonald Kriterien eingeführt wurde, ist das
Klinisch isolierte Syndrom (KIS): mutmaßlich erste klinische Manifestation einer MS; charakterisiert durch einen Schub mit einem neurologischen Defizit, das mit einer MS vereinbar ist, die Diagnose einer MS aber noch nicht gestellt werden kann, da das Kriterium der zeitlichen Dissemination nicht erfüllt ist (Lublin et al. 2014).
Zur Diagnose eines KIS muss aber die räumliche Dissemination von ZNS-Läsionen nachgewiesen sein. Eine isolierte Optikusneuritis oder eine isolierte Myelitis sind daher kein KIS, sofern die Kriterien der räumlichen Dissemination im MRT nicht erfüllt sind.
Nachdem in der aktuellen Version der McDonald-Kriterien von 2017 (Thompson et al. 2018) der Nachweis der zeitlichen Dissemination deutlich einfacher und damit die Diagnose der RRMS früher als zuvor zu stellen ist, hat das KIS als Diagnose anteilig deutlich abgenommen.
Die Einteilung der MS-Verlaufsformen wurde zuletzt 2013 überarbeitet (Lublin et al. 2014). Die bis dahin noch bestehende, wegen einer unscharfen Definition jedoch kaum oder nur missverständlich gebräuchliche Kategorie einer sogenannten progredient schubförmigen MS (PRMS) (Lublin et al. 2016) wurde abgeschafft gestrichen und auch die übrigen Verlaufsformen durch die Beschreibung von „Aktivität“ und „Progression“ weiter differenziert. Daraus ergeben sich neben dem klinisch isolierten Syndrom (KIS) die folgenden Verlaufstypen:
- Schubförmig-remittierende MS (RRMS): aktiv / nicht aktiv
- Sekundär progrediente MS (SPMS): aktiv und progredient / aktiv und nicht progredient / nicht aktiv und progredient / nicht aktiv und nicht progredient.
- Primär progrediente MS (PPMS): aktiv und progredient / aktiv und nicht progredient / nicht aktiv und progredient / nicht aktiv und nicht progredient.
Dabei wird unter „Aktivität“ das Auftreten von Schüben und/oder MRT-Aktivität (KM-aufnehmende Läsionen oder neue oder sich vergrößernde T2-Läsionen) verstanden, unter „Progression“ eine schubunabhängige objektivierte Zunahme der Behinderung, jeweils bezogen auf einen definierten Zeitraum wie z. B. das vorausgehende letzte Jahr (Lublin et al. 2014).
Für den Gebrauch dieser Leitlinie schlägt die Kommission zusätzlich eine Definition für eine wahrscheinlich hochaktive Verlaufsform der MS bei therapienaiven Patienten mit schubförmiger MS vor. Eine weitere Kategorie ist das radiologisch-isolierte Syndrom (RIS), bei dem es sich per definitionem nicht um eine Form der MS handelt. Es ist charakterisiert durch inzidentelle MRT-Befunde, die mit einer MS vereinbar sind, ohne dass klinisch oder anamnestisch MS typische Symptome vorliegen. Nach Okuda (Okuda et al. 2009) werden zur Diagnose ovaläre, scharf umschriebene homogene T2-hyperintense Läsionen mit einem Durchmesser von mindestens 3 mm, die mindestens drei von vier Barkhof-Kriterien (≥ 1 KM-aufnehmende Läsion oder ≥ 9 T2-hyperintense Läsionen; ≥ 1 infratentorielle Läsion; ≥ 1 juxtakortikale Läsion; ≥ 3 periventrikuläre Läsionen) erfüllen, gefordert (siehe Empfehlung A1).
Differentialdiagnosen
Die aktuellen McDonald Kriterien (Thompson et al. 2018) erlauben es, die Diagnose einer MS früh zu stellen. Die zugrundeliegenden MRT-Befunde sind aber nicht krankheitsspezifisch, und mit der zunehmenden Vereinfachung der geforderten MRT-Befunde ist eine ansteigende Zahl falsch positiver Diagnosen zu erwarten. Eine Standardisierung der MRT-Bildgebung kann hier Abhilfe schaffen (Lukas et al. 2015; Rovira et al. 2015). Um die Spezifität der Diagnose zu gewährleisten, müssen außerdem mögliche Differentialdiagnosen der MS entweder klinisch per se ausreichend unwahrscheinlich sein oder konsequent ausgeschlossen werden (Solomon et al. 2016) (Miller et al. 2008). Eine sorgfältige Anamnese und neurologische Untersuchung ist daher die Basis der diagnostischen Aufarbeitung - und die Liquoruntersuchung (Tumani et al. 2019) neben der MRT-Diagnostik ein wichtiger paraklinischer Befund.
Es soll – sowohl mit Blick auf die Diagnose als auch die Differenzialdiagnostik – bei jedem Patienten mit Verdacht auf MS die folgende Diagnostik durchgeführt werden:
- Kraniale MRT (Sequenzen: FLAIR axial und sagittal oder 3D isotrop, T2-gewichtet axial oder 3D isotrop, T1-gewichtet vor und nach Kontrastmittel. Schichtdicke maximal 3 mm; in-plane Auflösung maximal 1x 1 mm). •
- Spinale MRT (Sequenzen: T2-gewichtet sagittal und axial über das gesamte Myelon, T1-gewichtet sagittal vor und nach Kontrastmittel. Schichtdicke maximal 3 mm sagittal bzw. 5mm axial; in-plane Auflösung sagittal maximal 0,75 x 0,75 mm, axial maximal 0,5 x 0,5 mm)
- Liquoruntersuchung (Zellzahl und Differenzialzellbild, Lactat, Albumin- und IgG-Quotient nach Reiber, Untersuchung auf liquorspezifische oligoklonale Banden (OKB)). •
- Borrelien- und Lues-Serologie (im Serum, bei positivem Befund auch im Liquor).
- Außerdem kann die Bestimmung des Liquor-Serum Index für IgA und IgM nach Reiber und die Untersuchung auf eine intrathekale Bildung von Antikörpern gegen Masern-, Röteln- und Varizella Zoster Viren (MRZ-Reaktion) erwogen werden. •
- Elektrophysiologische Untersuchungsmethoden (insbes. Visuell evozierte Potentiale (VEP)) können vor allem für die Differenzialdiagnostik erwogen werden.
- Eine ergänzende laborchemische oder zusatzdiagnostische Abklärung soll aber immer dann durchgeführt werden, wenn es Hinweise auf mögliche Differentialdiagnosen gibt, z. B.:
- Auffälligkeiten in der Liquordiagnostik: keine oligoklonalen Banden im Liquor; Pleozytose > 50 / μl, ausgeprägte Schrankenstörung, intrathekale IgA-Synthese: DD u. a. virale oder bakterielle Infektionen; andere (systemische) Autoimmunerkrankungen (siehe auch NMOSD Kapitel); vaskuläre Genese.
- Auffälligkeiten in der MRT: raumfordernde Läsionen, konfluierende Marklagerläsionen bei Erstmanifestation, fokale Atrophien (Balken, Kleinhirn), Basalganglien-Läsionen, meningeales Enhancement, transverse Myelitis, Hinterstrangläsionen: DD u. a. andere demyelinisierende oder granulomatöse Erkrankungen, virale Enzephalitiden, leukodystrophe/neurogenetische Erkrankungen, degenerative ZNS-Erkrankungen, nutritiv-toxische Erkrankungen, Meningeosis.
Definition eines MS-Schubs
Ein MS-Schub ist definiert als das Auftreten neuer oder eine Reaktivierung bereits zuvor aufgetretener neurologischer Defizite, die subjektiv berichtet oder durch die Untersuchung objektiviert werden können und die
1. mindestens 24 Stunden anhalten und
2. mit einem Intervall von > 30 Tagen zum Beginn vorausgegangener Schübe auftreten und
3. nicht durch Änderungen der Körpertemperatur (Uhthoff-Phänomen) oder im Rahmen von z. B. Infektionen oder nicht durch eine anderweitige physische oder organische Ursache hervorgerufen sind.
4. Dazu können auch atypische Präsentationen wie neuropsychiatrische Symptome gehören, isolierte schwere Fatigue, epileptische Anfälle, Kopfschmerzen etc. Einzelne, wenige Sekunden oder Minuten andauernde paroxysmale Episoden (wie z. B. tonische Spasmen, Trigeminusneuralgie) werden definitionsgemäß nicht als Schub eingeordnet. Multiple Episoden dieser Art über eine Dauer von mehr als 24 Stunden können jedoch als Schub angesehen werden.

Therapien
Therapie mit Glukokortikosteroiden
Die Behandlung des MS-Schubs mit Methylprednisolon (MP) gilt als etablierter Therapiestandard (Grauer et al. 2001; Wiendl et al. 2008), auch wenn hierfür nur wenige aussagekräftige Studien vorliegen. In einem Cochrane-Review wurden randomisierte und doppelblinde kontrollierte Studien mit Glukokortikosteroiden (GKS) oder ACTH gegen Plazebo bei akuten MS-Schüben, die bis 2013 publiziert wurden, verglichen (Citerro et al. 2013). Sechs Studien zwischen 1961 und 1998 erfüllten diese Kriterien. Insgesamt wurden 377 Patienten (199 Verum, 178 Plazebo) randomisiert. In 4 Studien wurde Methylprednisolon (MP) (140 Patienten) und in 2 Studien ACTH (237 Patienten) untersucht. MP und ACTH wirkten sich günstig auf eine Besserung von Schüben innerhalb der ersten fünf Behandlungswochen aus.
Nicht belegt werden konnte, dass neue Schübe oder eine Zunahme der Langzeitbehinderung verhindert werden. Eine GKS-Therapie sollte möglichst bald nach Beginn der klinischen Symptomatik mit Methylprednisolon (MP) in einer Dosis von 500 -1000 mg/Tag über 3-5 Tage begonnen werden.
Plasmapherese/Immunadsorption
Als Therapieeskalation einer auf GKS nicht ausreichend ansprechenden Schubsymptomatik hat sich die Apherese-Therapie mittels Plasmapherese (PE) bzw. Immunadsorption (IA) etabliert.

Immuntherapie:
Die zur Verfügung stehenden Immuntherapeutika können die multiple Sklerose nicht heilen, aber ihren Verlauf modifizieren. Die Indikationsstellung zur Therapie und die Wahl des Therapeutikums unterliegen daher immer einer Abwägung zwischen mutmaßlich resultierendem Nutzen (unter Berücksichtigung der aus (Zulassungs-)Studien bekannten Wirksamkeitsdaten) und Risiken (kurz- und langfristigen Verträglichkeit und Sicherheit) bzw. Belastungen.
Ziele der Immuntherapie:
Die Verhinderung bzw. Reduktion von klinischer Krankheitsaktivität (Schübe und Krankheitsprogression) und Erhalt der Lebensqualität sein. Ein weiteres Ziel sollte die Reduktion der per Kernspintomographie messbaren subklinischen Krankheitsaktivität sein. Vor Beginn einer Therapie sollen mit dem Patienten realistische Therapieziele vereinbart werden.
Bei Patienten mit radiologisch isoliertem Syndrom, bei denen OKBs im Liquor nachweisbar sind, und in MRT-Verlaufsuntersuchungen wiederholt MS-typische neue Läsionen nachweisbar sind, kann jedoch eine off-label Immuntherapie erwogen werden. Der Patient soll vor Beginn einer solchen Immuntherapie darüber aufgeklärt werden, dass keine Evidenz und keine Zulassung für den Einsatz von Immuntherapeutika beim RIS vorliegen.
Einteilung der Immuntherapeutika:
Anhand ihrer relativen Reduktion der entzündlichen Aktivität (Schubrate, MRT-Aktivität, schubbedingte Progression) lassen sich die Immuntherapeutika in drei Wirksamkeitskategorien unterscheiden:
- Wirksamkeitskategorie 1 (relative Reduktion der Schubrate im Vergleich zu Plazebo von 30-50%): Beta-Interferone einschl. Peg-Interferon, Dimethylfumarat (kombinierte Analyse der Zulassungsstudien), Glatirameroide, Teriflunomid. •
- Wirksamkeitskategorie 2 (relative Reduktion der Schubrate im Vergleich zu Plazebo von 50-60%): Cladribin, Fingolimod, Ozanimod.
- Wirksamkeitskategorie 3 (Reduktion der Schubrate um > 60% im Vergleich zu Plazebo oder > 40% im Vergleich zu Substanzen der Kategorie 1): Alemtuzumab, CD20 Antikörper (Ocrelizumab, Rituximab*), Natalizumab.
- Mitoxantron soll wegen seiner schlechten Studienlage und der hohen Toxizität nur als Reservemedikament für Ausnahmefälle eingesetzt werden. Azathioprin, das in seiner Wirksamkeit allenfalls der Wirksamkeitskategorie 1 zuzuordnen ist, sollte ebenfalls wegen der schlechten Studienlage nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, z. B. bei Patienten mit einer Zweiterkrankung, die mit dem Medikament gut behandelbar ist (z. B. Morbus Crohn, Myasthenia Gravis).
- Intravenöse Immunglobuline sollen bei Patienten nicht mehr angewendet werden

Therapieentscheidungen bei schubförmiger MS:
- Die Immuntherapie der RRMS sollte sich nach der Aktivität der Erkrankung (unter Berücksichtigung von Schubfrequenz, Schubschwere, Ansprechen auf Schubtherapie, Krankheitsprogression und MRT-Befunden) richten.
- Wegen der geringeren Langzeitsicherheitsrisiken, insbesondere für Beta-Interferone und Glatirameroide, sollten zu Beginn in der Regel Substanzen der Wirksamkeitskategorie 1 eingesetzt werden, sofern kein wahrscheinlich hochaktiver Verlauf vorliegt.
- Teriflunomid sollte wegen seines teratogenen Potentials und ausreichend sicherer Alternativen zurückhaltend bei Patientinnen eingesetzt werden, bei denen noch ein Kinderwunsch besteht.
- In Einzelfällen kann der Beginn einer Immuntherapie mit Substanzen der Wirksamkeitskategorie 2 (Fingolimod, Cladribin, Ozanimod) und 3 (Natalizumab, CD20 Antikörper) auch bei therapienaiven Patienten erwogen werden, wenn ein wahrscheinlich hochaktiver Verlauf vorliegt.
Bei unbehandelten, neu diagnostizierten Patienten mit RMS sollte nach 6 Monaten und dann alle 12 Monate eine klinische und MRT gestützte Verlaufskontrolle zur Beurteilung der Krankheitsaktivität erfolgen. Bei MRT-Verlaufskontrollen kann auf die Gabe von Gadolinium verzichtet werden.
Bei Patienten, die unter einer Therapie mit Substanzen der Wirksamkeitskategorie 1 einen entzündlich aktiven Verlauf haben, soll, je nach Ausmaß der Krankheitsaktivität, ein Wechsel auf eine Substanz der Wirksamkeitskategorie 2 oder 3 erfolgen. Wie auch bei Substanzen der Wirksamkeitskategorie 1 sollen bei den Wirksamkeitskategorien 2 und 3 patientenspezifische individuelle Aspekte (u. a. Nebenwirkungen, Art der Applikation, Monitoring, Wirkdauer, Komorbiditäten) bei der Wahl des Medikaments berücksichtigt werden. Ein Wechsel innerhalb der Substanzen der Kategorie 1 oder auf ein höher dosiertes Beta-Interferon sollte nur erwogen werden, wenn patientenindividuelle Gründe gegen einen Wechsel in die Kategorie 2 / 3 sprechen.
In der Wirksamkeitskategorie 2 sollte primär Fingolimod (unter Berücksichtigung der Steuerbarkeit und der Langzeitdaten) das Mittel der ersten Wahl sein.
Bei JCV-Antikörper-negativen Patienten sollte Natalizumab unter Berücksichtigung der Steuerbarkeit und der Langzeitdaten in der Wirksamkeitskategorie 3 das Mittel der ersten Wahl sein.
Nach JCV-Serokonversion (Index ≥ 0,9) soll eine zeitnahe Umstellung auf eine andere Substanz erfolgen. Bei einer Therapiedauer von unter 24 Monaten soll dies spätestens nach 24 Monaten Gesamttherapiedauer erfolgen. Bei JCV Serokonversion mit einem Index von < 0,9 kann eine Weiterführung der Natalizumab Therapie auch über eine Gesamtdauer von mehr als 24 Monaten unter engmaschiger Kontrolle des JCV Antikörperindex erwogen werden, solange der Index unter 0,9 bleibt. Wenn die Behandlung nach mehr als 24 Monaten trotz positivem Anti-JCV-Antikörper-Test und Abwägung von Behandlungsalternativen fortgeführt wird, sollen die cerebralen MRT-Kontrollen mindestens halbjährlich erfolgen.
Als Mittel der zweiten Wahl sollten bei JCV-Antikörper-seronegativen Patienten in der Wirksamkeitskategorie 3 die CD20-Antikörper Ocrelizumab und Rituximab (off-label) eingesetzt werden.
Bei JCV- Antikörper-seropositiven Patienten, unabhängig von der Index-Höhe, sollten CD20-Antikörper (Ocrelizumab, Rituximab (off- label)) in der Wirksamkeitskategorie 3 die Therapie der ersten Wahl sein.
Bei JCV-Antikörper-positiven Patienten (Index  1,5) soll Natalizumab nur in Ausnahmefällen und max. 24 Monate lang verabreicht werden Bei JCV-Antikörper-positiven Patienten (Index  0,9, < 1,5) sollte Natalizumab nur in Ausnahmefällen und max. 24 Monate lang verabreicht werden. Bei JCV Antikörper positiven Patienten mit einem Index von < 0,9 kann eine Therapie mit Natalizumab über mehr als 24 Monate erwogen werden, wenn der Einsatz von CD20 Antikörper nicht möglich ist.
In der Wirksamkeitskategorie 3 sollte Alemtuzumab nur noch zum Einsatz kommen, wenn eine Therapie mit Natalizumab oder CD20 -Antikörpern nicht möglich ist oder diese Therapien wegen Nebenwirkungen oder Therapieversagen beendet werden müssen.
Alemtuzumab soll wegen der hohen Nebenwirkungsrate und den damit verbundenen Anforderungen an das Langzeit-Monitoring nur in Zentren eingesetzt werden, die über Erfahrung mit dem Medikament verfügen, die Möglichkeit der intensivmedizinischen Behandlung haben und das Langzeit-Monitoring sicherstellen können.

Therapieoptionen bei primär progredienter MS:
- Zur Behandlung der primär progredienten MS sollen nach der aktuellen Studienlage nur CD20-Antikörper (Ocrelizumab, Rituximab (off-label)) eingesetzt werden.
- Bei Patienten jenseits des 50. Lebensjahrs - insbesondere beim Fehlen von entzündlicher MRT Aktivität - sollte die Indikation für Ocrelizumab bei PPMS sehr streng gestellt werden.
- Im individuellen Falle kann jedoch bei Patienten jenseits des 50. Lebensjahrs, da Therapiealternativen fehlen, bei rascher Zunahme von Behinderung mit drohendem Verlust von Selbstständigkeit ein Therapieversuch, zunächst begrenzt auf zwei Jahre und unter klarer Vereinbarung der Therapieziele, erwogen werden.
- Andere Substanzen (insb. Mitoxantron, wiederholte Methylprednisolon- Pulstherapie, Beta-Interferone, Glatirameroide, intrathekale Steroidtherapie) sollten bei PPMS nicht mehr zum Einsatz kommen, da die Evidenz für eine Wirksamkeit fehlt und die Therapien mit relevanten Nebenwirkungen und Einschränkung der Lebensqualität verbunden sind.
Therapien bei sekundär progredienter MS:
- Für die SPMS liegen bisher nur für Beta-Interferone, Siponimod und - mit Einschränkungen - für Mitoxantron ausreichend große randomisierte und kontrollierte Studien vor.
- Interferon-beta 1a und 1b s.c. sind für die Behandlung der SPMS zugelassen, solange diese mit Schüben einhergeht.
- Für Therapieentscheidungen bei der SPMS soll eine Klassifizierung in aktive und nicht aktive SPMS erfolgen.
- Nach der aktuellen Studienlage stehen nur für die aktive SPMS, definiert durch den Nachweis von Schubaktivität oder neue Läsionen in der MRT, wirksame Immuntherapeutika zur Verfügung.
- Bei nicht therapierten Patienten mit aktiver SPMS in Form von Schüben kann der Einsatz von Siponimod, Beta-Interferonen, Cladribin und CD20-Antikörpern erwogen werden. Junges Lebensalter, kurze Krankheitsdauer, geringer Behinderungsgrad, überlagerte Schübe oder rasche Zunahme der Behinderung und der Nachweis von entzündlicher Aktivität in der MRT stellen Argumente für eine Immuntherapie dar.
- Ein Einsatz von Mitoxantron bei aktiver SPMS sollte nur noch in Ausnahmefällen (nachweisbare entzündliche Aktivität, nach Ausschöpfen anderer Therapiemöglichkeiten) erfolgen, da die Therapie mit dieser Substanz mit erheblichen Nebenwirkungen einhergeht. Ein Einsatz bei nicht aktiver SPMS sollte nicht erfolgen.
- Bei nicht behandelten Patienten mit nicht aktiver SPMS sollte keine Immuntherapie eingeleitet werden. Im individuellen Falle kann jedoch, da Therapiealternativen fehlen, bei Patienten mit rascher Zunahme von Behinderung mit drohendem Verlust von Selbstständigkeit ein Therapieversuch, zunächst begrenzt auf zwei Jahre, mit einem CD20- Antikörper analog zur PPMS erwogen werden (off-label)
- Bei Patienten, die vor Einleiten der Immuntherapie eine geringe Krankheitsaktivität aufwiesen und unter der bisherigen Therapie mit einem Medikament der Wirksamkeitskategorie 1 keine Krankheitsaktivität zeigen, kann bei entsprechendem Patientenwunsch nach einem Zeitraum von fünf Jahren eine Therapiepause erwogen werden.
- Gegenwärtig kann keine allgemeine Empfehlung zur „Deeskalation“ der Therapie mit Natalizumab (bei fortgesetzt JCV-AK negativen Patienten), S1P-Modulatoren oder CD20-Antikörpern gegeben werden, selbst wenn Patienten unter der Therapie über z. B. fünf Jahre keine Krankheitsaktivität zeigten.
Neurologische Rehabilitation bei MS:
Indikation für eine Rehabilitation:
- Die stationäre Aufnahme, die in der Regel längstens für drei Wochen gewährt wird, ist aus medizinischen Gründen zur Wiederherstellung oder zum Erhalt Deiner Erwerbstätigkeit (Rehabilitationsziele) erforderlich. Dies ist der Fall, wenn die MS-Erkrankung den Betroffenen körperlich, geistig oder seelisch so einschränkt, dass er/sie nicht mehr arbeiten kann oder aber die Gefahr besteht, dass er/sie krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten kannst.
- Die Minderung der Erwerbsfähigkeit kann aller Voraussicht nach abgewendet werden, die Erwerbsfähigkeit kann gebessert oder wiederhergestellt werden oder der Arbeitsplatz kann erhalten werden.
- Eine ambulante Reha-Maßnahme reicht nicht aus, um das Rehabilitationsziel zu erreichen.
- Seit der letzten Reha-Maßnahme sind vier Jahre verstrichen. Es sei denn, eine erneute Reha ist aus medizinischen Gründen vorher schon dringend erforderlich.

Außerdem sollten für das Anrecht auf Reha bei MS eine oder mehrere der folgenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen:
- Der Betroffene hat in den letzten zwei Jahren vor Antragstellung mindestens sechs Monate Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung eingezahlt.
- Die Wartezeit von 15 Jahren (180 Beitragsmonate) erfüllt ist erfüllt.
Du hast innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung einer Ausbildung eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit aufgenommen und bis zur Antragstellung ausgeübt oder bist nach einer solchen Beschäftigung oder Tätigkeit bis zur Antragstellung arbeitsunfähig oder arbeitslos gewesen.
Du bist vermindert erwerbsfähig oder bei Dir ist Dir eine Erwerbsminderung in absehbarer Zeit zu erwarten, wenn Du die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hast.
Du beziehst eine Erwerbsminderungsrente.
Du beziehst eine große Witwen-/Witwerrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Du bist nicht verbeamtet, denn Beamte haben keinen Anspruch auf medizinische Reha-Leistungen durch die Deutsche Rentenversicherung.
Du beziehst keine Altersrente oder betriebliche Vorsorgeleistung bis zum Rentenalter.

Therapieziele in der Rehabilitation:
„Rehabilitation ist immer noch der einzige Weg, um Funktionen bei Multipler Sklerose zu verbessern.“ (Kraft, Lancet, 1999)
Die Therapie in der Rehabilitation richtet sich nach der vorliegenden Symptomatik und den sich daraus ergebenden Störungen der Fähigkeiten. Diese werden im Bezug auf die Bewältigung des Alltags sowie den sich wiederum daraus ergebenden sozialen Folgen beurteilt. Die Therapieziele sind für jeden einzelnen Patienten individuell zu ermitteln. Hierzu können beispielsweise gehören.-
- Selbständigkeit bei den Aktivitäten des täglichen Lebens
- Wiederherstellung oder Besserung grundlegender Funktionen, wie z.B. sensomotorische und koordinative Funktionen, Kommunikation, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen
- Klärung des Rehabilitationspotentials und der Langzeitprognose
- Planung und Einleitung der weiteren Versorgung
- Planung und Einleitung der beruflichen Reintegration
Im interdisziplinären Team aus Ärzten, Pflegefachkräften, Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden, Neuropsychologen und Sozialarbeitern wird für jeden Patienten gemeinsam die Gestaltung der Rehabilitationsmaßnahme festgelegt.

Die Therapieziele werden zusammen erarbeitet und mit dem Erkrankten abgestimmt. In wöchentlich stattfindenden Besprechungen werden im Verlauf die Therapieziele angepasst, die fachbezogenen Informationen über den Patienten ausgetauscht und sich daraus ergebende Konsequenzen festgelegt.

Mg. Dr. med. Mimoun Azizi, M.A.
Chefarzt Neurologie

Autor:

Mimoun Azizi aus Düsseldorf

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