Koalitionsvertrag – Die Abhängigkeit von Wirtschaftsinteressen
Hagen, 2. Dezember 2013 Permanenter Kostendruck und abgespeckte Leistungen sind Folge des Wettbewerbs in den Bereichen Gesundheitswesen, Energiepolitik, Grundrenten und Grundsicherung für Kinder, Bildung und Ausbildung, Mindestlöhne, Infrastruktur, Strukturreformen, Bundeswehrreform, Familien- und Sozialpolitik. Das Wohl der Bürger steht weniger im Mittelpunkt als Wirtschaftlichkeit. Politiker geraten in einen Interessenkonflikt zwischen Bürger und Unternehmen. Die Unternehmen drücken mit ihrer Macht auf die Politik, sie repräsentieren 5.5 Billionen Umsatz und sind straff organisiert.
Die Politik hat den 80 Millionen Bürgern 2.150 Milliarden Euro Schulden auf die Schultern geladen (26.850 Euro pro Kopf), die ihrerseits noch mit 780 Mrd. Euro privat verschuldet sind (9.750 Euro). Reduziert man die Gesamtbelastung von 36.600 Euro um 20 Millionen Kinder, betragen die Schulden pro Erwachsenen 48.600 Euro. Die Politik ist für das Gemeinwohl im Staat verantwortlich, für Gerechtigkeit – soziale Gerechtigkeit. Wie sollen die Bürger ihre Schulden jemals zurückzahlen wollen und können, zumal sich die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter öffnet?
Mit der Wahl einer Partei drücken Wähler ihre Hoffnung aus, dass sie in die Lage versetzt werden mit dem Ertrag aus ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt finanzieren und sich angemessen am öffentlichen Leben beteiligen können. Dabei rechnen die Beschäftigten auf die Unterstützung ihrer Lobbyisten, den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften müssen sich fragen lassen, warum die Beschäftigten bei den Lohnzuwächsen in Europa abgeschlagen im unteren Drittel liegen. Ihre Einkommen leiden unter Niedrig- und Dumpinglöhnen, Minijobs, Leiharbeit und Werkverträgen (bei denen Unternehmen keine Sozialabgaben zahlen).
In Krisenjahren haben sie auf das 13. Gehalt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu Gunsten der Unternehmen verzichtet. Frauen erhalten für die gleiche Arbeit, die ihre männlichen Kollegen leisten, 23 Prozent weniger. Die Gewerkschaften haben das Motto „Nur niedrige Löhne erhalten uns im Wettbewerb“ geprägt, oder wenigstens gemeinsam mit Unternehmern getragen. Die Interessen der Mehrheit der Deutsche, mit ihnen die gesamte Opposition, Gewerkschaften, Sozialverbände und Kirchen formulierten vor der Wahl folgende Ansprüche: Gesetzlich festgelegte Mindestlöhne, eine Erhöhung der Steuern auf Einkommen ab 250.000 Euro und Erhöhung der Reichensteuer.
Sie stimmten für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Erhöhung der Erbschaftssteuer, Grundrenten und Grundsicherung für Kinder, Abschaffung des Betreuungsgeldes, sowie die Rücknahme des jährlichen Steuergeschenks von einer Milliarde Euro an Hoteliers. Etwas mehr als ein Drittel der Niedriglohnarbeiter arbeiten in Kleinbetrieben. Besonders hoch sind die Quoten im Hotelgewerbe, den so reich Beschenkten, Gaststättengewerbe und Handel. Deutschland hat den zweitgrößten Niedriglohn-Sektor Europas. Nur in Litauen erhalten mehr Menschen Niedriglohn.
Seit 1990 hat die Lohnungleichheit in Deutschland, begünstigt durch die Hartz-IV-Reformen, zugenommen. Deutschland, sagen wir Unternehmen, profitiert derzeit von einem weitgehend flexibilisierten Arbeitsmarkt. In Deutschland muss fast jeder Vierte (24,1 %) von einem Niedriglohn leben. Es sind vor allem Teilzeitbeschäftigte (40,1 %) besonders häufig betroffen. Im europäischen Vergleich arbeiten in Deutschland die „meisten“ Frauen im so genannten Niedriglohnbereich. Mit 11,1 % sind Minijobber so stark vertreten wie in keinem anderen Land.
Bei den Koalitionsverhandlungen sind höhere Steuern und die daraus resultierenden Staatseinnahmen auf der Stecke geblieben. Der Koalitions-vertrag umfasst 185 Seiten, beinhaltet 132 Prüfaufträge und steht unter erheblichen Finanzierungsvorbehalten. Das Hauptrisiko bei der Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen liegt für Unternehmensverbände in einer Dämpfung der Wirtschaftsdynamik. Sie befürchten einen Totalangriff auf ihre Niedriglohn-Politik (Werkverträge: Niedrigstlohnpolitik). Sie haben Billigtarife, zeitversetzte, abgespeckte Mindestlöhne und einen Aufschub auf 2015 erreicht und sind doch unzufrieden. Ihnen wurde ein Cocktail aus 10 % Arbeitgeber-partei, 20 % christlich/sozialen Inhaltstoffen und 70 % Unternehmerinteressen präsentiert, der ihnen die Stimmung verdirbt.
Anders sieht es bei Papst Franziskus aus. Er ist beliebt, ehrlich, weltoffen und fröhlich und wird wie ein Popstar gefeiert. Er predigt neue Bescheidenheit und geißelt das, was Union und SPD in ihrem Vertrag vermissen lassen, Gerechtigkeit - soziale Gerechtigkeit und die fehlende Bereitschaft des Finanzadels sich angemessen an den Kosten des Staates zu beteiligen.
Die Initiative Agenda 2011 -2012 stellt dem Thema: „Spannungsfeld zwischen fehlenden Staatseinnahmen und höheren Steuern“ ein Sanierungsprogramm entgegen. Es steht mit einem jährlichen Volumen von über 275 Milliarden Euro für ausgeglichene Haushalte und Rückführung der Staatsschulden. Ein Cocktail der schmackhafter kaum sein kann.
Dieter Neumann
Autor:Dieter Neumann aus Hagen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.