das Leben als schwuler Teenager im Iran
Hamid Teil 3 - Die Flucht – „Ich habe so schämt“

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Ich erzählte ja schon, dass Hamid im Iran sein Schwulsein entdeckte und er feststellte, dass er sich einfach nicht für Mädchen interessierte. Um schwul leben zu können, nahm er bereits in der Pubertät einiges in Kauf. Heimlichkeiten vor der eigenen Familie, seinen Freunden – besonders vor seinem älteren Bruder, der mittlerweile mit knapp 15 eine erste eigene Familie gegründet hatte und nun mehr nicht mehr zur Versorgung seiner Mutter und den Geschwistern zur Verfügung stand.

Es war nun an Hamid, sich weiter um den Familienunterhalt für seine Mutter und die restlichen Geschwister zu kümmern. Um das zu schaffen, arbeitete er in Autowerkstätten oder auch auf dem Bau, als Fliesenleger, als Klempner – stets für einen Hungerlohn. Als Geflüchteter aus Afghanistan hatten er und seine Familie nur einen Duldungsstatus im Iran. Als Afghane durfte er im Iran nur die Arbeiten machen, für die keine Iraner zur Verfügung standen. Soweit so normal. Das funktionierte im Iran aber auch nur so gut, wie die ohnehin schwache Wirtschaft des Landes nicht durch Sanktionen aus dem Ausland noch mehr geschwächt wurde. Sanktionen treffen immer zuerst die Armen.

So landete er letztlich an dem Ort, den wir hier in Deutschland als Arbeitsstrich bezeichnen würden und stand – anstatt eine Schule zu besuchen – regelmäßig morgens da und wartete auf Arbeit. Oder er begleitete seinen Bruder zu seinen Arbeitsplätzen und half dem, wofür dieser dann sein Gehalt mit ihm teilte. „Das war ok, denn immerhin konnten wir essen und Kleider kaufen, hatten ein Dach über dem Kopf." Ein wenig blitzt Stolz aus seinen Augen, als er das erzählt.
Für einen Teenager eine bemerkenswerte Haltung, wenn wir nach unseren Wohlstandmaßstäben messen und ich an manche Empörung denke, die ich auslöse, wenn ich die Meinung vertrete, dass sich auch Jugendliche hier in Deutschland mit einem kleinen Obolus an den Unterhaltskosten der Familie beteiligen sollen. „Kostgeld“. Für Jugendliche wie Hamid eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit.

Sehnsucht nach Liebe

Trotz dieser Haltung trieb ihn die Sehnsucht nach Jugend, nach Liebe, Zärtlichkeit und auch Sexualität immer wieder auch dazu, gegen Konventionen zu verstoßen. Partys zu besuchen, die nicht erlaubt waren, Gleichaltrige zu treffen und einfach Spaß zu haben und an etwas anderes zu denken, als immer nur Arbeit, Jungen zu treffen, mit denen man kuscheln konnte, küssen, Händchen halten, erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Wie absolut banal in seinem Alter und wie gefährlich gleichermaßen für ihn und seine Familie, die ja eh „nur geduldet“ war. Weglaufen vor der Revolutionsgarde, um den Stockhieben oder Nächten im Gefängnis zu entkommen, sich nicht erwischen lassen, wenn er sich mit anderen Jungs auf stillen Plätzen oder in Nischen traf und das tat, worüber wir jetzt einfach mal den diskreten Mantel des Schweigens hüllen. Sexuelle Handlungen mit Gleichaltrigen können im Iran – auch wenn es viele nicht glauben können – mit dem Kopf in der Schlinge enden, mit gesellschaftlicher Ächtung der Familien, Berufsverboten.


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Soviel Angst aber auch Verantwortung für einen Teenager. Seine Mutter, davon geht er aus, wusste um seine sexuelle Identität, auch wenn sie diese Worte nie aussprachen, und wollte ihn schützen und deckte die Heimlichkeiten so lange es irgendwie möglich war, ohne das bisschen Sicherheit für die Familie zu gefährden. Hamid wurde älter und langsam begannen auch die Geschwister, Nachbarn und Kollegen Fragen zu stellen, ob er denn nicht langsam zu alt wäre, bei seiner Mutter zu leben und ob es nicht langsam an der Zeit wäre zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen? Der Druck auf Hamid und seine Mutter wuchs täglich. Einige Zeit konnte sich Hamid herausreden und begründete mit der Armut und der Sorge um Eltern und Geschwister seine Eheunwillgkeit. Einige Zeit konnte das sicher klappen. Doch dann irgendwann, als es zwischen man ihm mittlerweile ein Mädchen aus der Nachbarschaft als künftige Braut vorstellen wollte, ließ er sich das Versprechen abringen, noch ein Jahr zu warten, aber 2016 dann spätestens zu heiraten – aber eben nicht jene, die ihm vorgestellt wurde. Lange grübelte er nach, wie er das anstellen sollte und wie er vor allem den Beweis seiner Heterosexualität erbringen sollte, obwohl er bei Mädchen nichts empfand. Keine romantischen Gefühle, keine Lust … Und obendrein waren eigene Kinder, die man ernähren muss – und denen man ein besseres Leben wünscht, als es für einen selbst offenbar vorgesehen war – für ihn ein Alptraum. Also investierte er von nun an nicht mehr in Partys, die ohnehin gefährlich und verboten waren, nicht mehr in eine schicke Hose oder Treffen mit anderen Jungs, sondern in Pläne, die ihn fortbringen sollten von hier. Sein Geld lieferte er weiter zu Hause ab. Sogar mehr als früher, damit seine Mutter etwas ansparen konnte, dass die Familie über Wasser halten konnte. Er erklärte dies mit der anstehenden Feier und der Gründung des eigenen Hausstandes. Während er nach außen hin alles gab, um nicht aufzufallen und jemanden zu gefährden, schmiedete er heimlich Fluchtpläne. Europa, so wusste er von verbotenen Internetseiten, war liberal und freiheitlich. Schwule sollten sogar heiraten dürfen und diverse Politiker – das wusste man im Iran selbstverständlich – lebten sogar offen schwul.

Dass er eine Familie ggf. mit seiner eigenen Hände Arbeit finanzieren konnte, davon war er überzeugt. Fleißige Menschen, die sich integrieren können, werden ja überall gesucht. Und getreu dem Motto der Bremer Stadtmusikanten „etwas Besseres als den Tod findest Du allemal“, machte er sich im Herbst 2015 zu Fuß auf in Richtung Europa. Anders als im Märchen jedoch, gab es hier keine wildromantischen Abenteuer zu bestehen, sondern stets nur die Suche nach einem Versteck, unbewachten Grenzübergängen. Nächte im Wald oder leerstehende Ruinen, steinige Wege, Diebe, die ihm das einzige Hab und Gut wegnahmen. Anders als andere hatte er kein Geld für irgendwelche Schlepper, sondern nur eine Menge Gottvertrauen, eine gehörige Portion Glück – und schnelle Beine. Und da er nicht besonders groß war, war es auch leichter, sich zu verstecken.

Die „Balkanroute“, die andere mit einem Flugzeug in wenigen Stunden überwinden, um frisch geduscht und satt am Ziel anzukommen, bedeutete für ihn einen Fußweg von mehreren Wochen. Für ihn war nicht der Fußweg die Herausforderung. Für ihn war es wichtiger, sich nicht in die Hände von Schleppern zu begeben oder per Anhalter zu fahren. Er hatte von anderen gehört, dass Menschen in Lastautos erstickt sind oder von freundlich erscheinenden Autofahrern vergewaltigt oder im Schlaf bestohlen wurden. Und er hatte doch nur sein Smartphone, das er mit etwas Glück auf dem Weg irgendwo mal aufladen konnte, wenn er Strom fand.

"Ich habe so schämt"

Das zweite Problem war für ihn die Hygiene. Er aß schon extra immer wenig, um nicht in Verlegenheit zu kommen. Doch jeder Mensch muss mal zu Toilette. Er spricht nicht gerne drüber außer den einen Satz: „Ich habe so schämt“. Ich war so schmutzig. Meine Kleider stanken und waren kaputt. Ab und an fand er irgendwo im Freien eine Gelegenheit, sich zu waschen und auch mal irgendwie seine Wäsche zu reinigen. Manchmal gab es auch freundliche Menschen auf dem Weg. Aber sich von denen sehen zu lassen, das kostete viel Überwindung, sie auch noch anzusprechen, das war dann noch einmal um vieles schwerer.
Es war eine lange und gefährliche Reise, bei der er oft zwar hinter anderen Flüchtlingsgruppen herlief, ihnen aber möglichst nicht zu nahe kam. Wer weiß, wer ihn da kannte.
Letztlich kam er in Deutschland nach fast vier Wochen Fußweg an. Mit kaputter und schmutziger Kleidung, ohne Geld aber dafür mit einem diffusen Gefühl von Zuversicht und Vertrauen.
Wie lange dieses Glück anhielt, davon ein anderes Mal.

öffentliche Hinrichtung zweier Schwuler im Iran | Foto: https://www.churchmilitant.com/
Autor:

Queerfugees Hagen, Reza und Andreas aus Hagen

Körnerstraße 82 c, 58095 Hagen
+49 2331 7875400
team@aidshilfe-hagen.de
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