Vor 75 Jahren: Die Briten übernehmen das Kommando
Major Alexander„regiert“ Hagen
Vor 75 Jahren – in den ersten Maitagen des Jahres 1945 – konnten die alliierten Streitkräfte sämtliche Teile Deutschlands erobern. Adolf Hitler und andere wichtige Mitglieder der nationalsozialistischen Führungselite begingen am 30. April und an den darauffolgenden Tagen Selbstmord.
Von Michael Eckhoff
Bereits rund zwei Wochen zuvor, also Mitte/Ende April, war es den Alliierten gelungen, das Ruhrgebiet zu erobern, selbstverständlich auch Hagen und Hohenlimburg. Während sich der Hagener Oberbürgermeister Vetter noch rechtzeitig vor dem Einmarsch der Amerikaner in Halver verstecken konnte, verübte der Nazi-Bürgermeister von Hohenlimburg, Friedrich Pott, im Verlauf schwerer Kämpfe zwischen Wehrmacht und US-Army am 14./15. April im Lennetal ebenfalls Selbstmord.
Fritz Steinhoff
Die Amerikaner begaben sich nach ihrem Einmarsch in der Hagener Innenstadt am 14./15 April umgehend auf die Suche nach einer möglichst unbescholtenen Person, um sie zum Oberbürgermeister zu ernennen. Ein Rathaus-Hausmeister empfahl, den SPD-Politiker Fritz Steinhoff in dieses Amt zu berufen, doch der war nicht auffindbar. Der am 23. November 1897 in (Dortmund-)Wickede geborene Sozialdemokrat war ursprünglich Bergmann. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg trat er der SPD bei und besuchte wenig später die Akademie der Arbeit in Frankfurt und die Hochschule für Politik in Berlin, wo er unter anderem Vorlesungen des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss hörte.
Seine eigentliche politische Karriere startete 1927, als er SPD-Parteisekretär in Hagen wurde. Bei den Kommunalwahlen 1929 erreichte die SPD die Mehrheit in der Volmestadt, Steinhoff fungierte als ehrenamtlicher Magistrat für Sportjugendpflege und Stadtgärtnerei. Am 12. Oktober 1938 verurteilten ihn die Nazis zu drei Jahren Zuchthaus, weil er 1934 Hefte einer sozialdemokratischen Zeitung nach Deutschland geschmuggelt habe, so lautete jedenfalls der Vorwurf. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Steinhoff erneut verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht.
Als SS-Einheiten am 21. April 1945 das Konzentrationslager räumten, trieben sie 33.000 Häftlinge auf einen Todesmarsch. Steinhoff überlebte und wurde von US-Truppen befreit. Nach Kriegsende kehrte er umgehend heim und kam zunächst nach Iserlohn.
Weil also Steinhoff vorerst nicht in Hagen zugegen war, ließ ein mit der örtlichen Befehlsgewalt ausgestatteter US-Colonel den „korrekten Beamten“ Dr. Dönneweg ins Rathaus holen, um den Juristen als vollverantwortlichen kommissarischen Bürgermeister einzusetzen.
Gespaltene Gesellschaft
„Der Nationalsozialismus“, schreibt Hagens Archivchef Dr. Ralf Blank in seinem schon 2008 erschienenen grundlegenden Buch „Hagen im Zweiten Weltkrieg“ auf Seite 322, „hatte Ruinen, Trümmer und Tote hinterlassen, aber auch eine zerrissene und gespaltene Gesellschaft.“
Vielen bisherigen Nazis gelang es nach 1945 auffallend schnell, in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Dazu gehörten städtische Mediziner ebenso wie andere Beamte. Auch etliche Juristen, Handwerker, Industrielle oder Vereinsfunktionäre (etwa im Sport und in der Heimatforschung) vermochten rasch den Eindruck zu erwecken, nur „Mitläufer“ gewesen zu sein. Ihnen gegenüber standen Menschen wie Fritz Steinhoff, die Jahre ihres Lebens in Zuchthäusern oder Konzentrationslagern hatten verbringen müssen. Dazu kam das unendliche Leid, das den Menschen durch das Kriegsgeschehen zugefügt worden war, das mit dem völkerrechtswidrigen Angriff deutscher Sturzkampfbomber in der kleinen polnischen Stadt Wielun am 1. September 1939 begonnen hatte.
Historiker schätzen, dass der Zweite Weltkrieg weltweit insgesamt etwa 80 Millionen Menschenleben kostete. In Deutschland selbst waren viele Städte völlig zerstört, auch, wie schon erwähnt, unsere Volmestadt. In den ersten Tagen nach dem US-Einmarsch herrschte das völlige Chaos an Lenne, Volme und Ennepe. Plünderungen und Gewalttaten waren an der Tagesordnung, vorgenommen von bisherigen Kriegsgefangenen ebenso wie von Deutschen.
Alexander und Sasse
Wie sollten die vielen obdachlosen Menschen in Hagen eine Wohnung finden? Wie sollte die Versorgung wieder in Gang gesetzt werden? Benötigt wurde hierfür natürlich auch so etwas wie eine verantwortliche Stadtverwaltung. Mit Dr. Dönneweg hatte man zunächst einen nationalsozialistisch geprägten Juristen kommissarisch in das Amt des Verwaltungschefs berufen. Dagegen scheint es bald vehemente Proteste gegeben zu haben.
Als die Briten mit Major Peter Alexander am 20. April 1945 die Kontrolle in Hagen übernahmen, beschlagnahmten sie in Haspe an der Berliner Straße zunächst mehrere intakte Villen, darunter die Villa der Familie Eversbusch, Berliner Straße 88, um hier ihre Befehlsstellen aufzubauen. Am 17. Mai setzte Major Alexander den kommissarischen OB Dönneweg ab und berief stattdessen mit Ewald Sasse einen Mann zum Nachfolger, der als aufrechte, tatkräftige Persönlichkeit galt und der als früheres Zentrumsmitglied der NSDAP wohl eher distanziert gegenüber gestanden hatte. Als städtischer Beamter stand Sasse zuletzt dem Ernährungs- und Wirtschaftsamt vor.
Die Briten entschieden sich wenige Monate später dazu, die Leitung der Stadtverwaltung vom höchsten politischen Amt zu trennen. Das hatte zur Folge, dass Sasse fortan als Oberstadtdirektor fungierte, während Steinhoff in das Amt des (ehrenamtlichen) Oberbürgermeisters gewählt wurde.
Darüber mehr am kommenden Mittwoch. Als die Briten am 20. April 1945 die Kontrolle in Hagen übernahmen, beschlagnahmten sie an der Berliner Straße unter anderem die Villa der Familie Eversbusch, Berliner Straße 88, um hier ihre Kommandantur einzurichten. Foto: Michael Eckhoff Am 17. Mai berief der britische Major Peter Alexander einen neuen kommissarischen Oberbürgermeister: Ewald Sasse. Er galt als aufrechte, tatkräftige Persönlichkeit.
Foto: Sammlung Eckhoff
Autor:Lokalkompass Hagen aus Hagen |
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