Auch in Hagen konnten sich viele kein Pferd leisten:
Als Hunde noch richtige Arbeitstiere waren

Ambulante Marktfrau in Berlin mit Hundegespann und Kartoffeln sowie Messina-Apfelsinen auf dem Wagen; Aufnahme um 1911.Fotos: privat
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  • Ambulante Marktfrau in Berlin mit Hundegespann und Kartoffeln sowie Messina-Apfelsinen auf dem Wagen; Aufnahme um 1911.Fotos: privat
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Gerhard E. Sollbach

Auch in Hagen sind noch in den 1920er Jahre Hunde zum Ziehen von zwei- oder vierrädrigen Karren benutzt worden. Diese Ziehhunde waren die Zugtiere für alle, die sich für den Transport kein Pferd leisten konnten. Viele ambulante Gewerbe und vor allem Metzger benutzten damals Hundegespanne zur Beförderung ihrer Waren. Allerdings wurden die Karrenhunde insbesondere durch unsachgemäßes Geschirr und allzu schwere Lasten oft regelrecht gequält. Um ihr Los zu verbessern, erließ die Bezirksregierung in Arnsberg am 27. April 1889 eine Regierungs-Polizeiverordnung „betreffend die Benutzung von Hunden als Zugtiere“.

Die Verordnung trat zum 1. Januar 1890 im ganzen Regierungsbezirk und damit auch in der Stadt Hagen in Kraft. Ihr Paragraph 1 bestimmte, dass für die Benutzung eines Zughundes ein immer nur für ein Jahr gültiger Erlaubnisschein erforderlich war. Der durfte aber nur ausgestellt werden, wenn amtlich festgestellt war, dass der betreffende Hund zum Ziehen geeignet, das Geschirr passend und der Wagen nicht zu schwer war. So durfte der von einem Hund gezogene Karren leer nicht schwerer als 50 Kilogramm sein und das Leergewicht eines zweispännigen Wagens durfte höchstens 70 Kilogramm betragen. Weiterhin mussten von dem Besitzer u. a. ein Trinkgefäß sowie eine Unterlage und eine Wolldecke zum Überwerfen für den Hund mitgeführt werden. Die beiden letzteren Gegenstände waren bei einer mehr als zehn Minuten dauernden Rast zu verwenden.

Straftat

Die Polizeiverordnung war ein konkretes Resultat des Tierschutzgedankens, der sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland ausgebreitet hatte. 1837 wurde der erste deutsche Tierschutzverein mit dem Namen „Vaterländischer Verein zur Verhütung von Tierquälerei“ gegründet. 1881 schlossen sich die inzwischen entstandenen Tierschutzvereine in Deutschland zu dem heute noch bestehenden „Deutschen Tierschutzbund“ zusammen. Bereits 1871 war in das am 15. Mai des Jahres in Kraft getretenen Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich der Straftatbestand der Tierquälerei aufgenommen worden.

Anträge

Doch nicht alle Besitzer von Zughunden waren von der neuen Polizeiverordnung begeistert. Zu ihnen gehörten in Hagen der Metzgermeister Wilhelm Abendroth, Wehringhauser Straße 4, und der Metzgermeister Friedrich Plate, Elberfelder Straße 62. Beide hatten das Problem, dass ihre Hundekarren sogar erheblich mehr wogen als nach der Polizeiverordnung zulässig war. Am 8. Dezember 1889 richteten sie daher ein gemeinsames Gesuch an den Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde mit der Bitte, ihnen die Benutzung ihrer Hundekarren weiter zu gestatten. Sie begründeten dies damit, dass die Wagen gefedert seien, die Hunde eine „außergewöhnlich hohe Zugfähigkeit“ wie auch das passende Geschirr besäßen und überhaupt nur ein paar Mal in der Woche den „sehr kurzen“ Weg zum und vom Schlachthof zurücklegen müssten. Wegen der auf ihrem Gewerbe lastenden hohen Steuern und ihres „geringen Geschäftsbetriebes“ könnten sie sich aber kein Pferd leisten.

Erneuter Versuch

Der von der Ortspolizeibehörde zur gutachterlichen Stellungnahme aufgeforderte Schlachthof Inspektor Koch hielt die weitere Benutzung der ihm bekannten beiden Hundekarren unter der Bedingung, dass die Ladung um das Übergewicht des Wagens gekürzt werde und weil beide Wagen sehr leicht rollten für zulässig. Doch darauf wollte sich die Polizeibehörde nicht einlassen und lehnte den Antrag der beiden Metzgermeister mit dem Hinweis darauf ab, dass das Leergewicht des Hundewagens von Abendroth mit 200 Kilogramm und desjenigen von Plate mit 180 Kilogramm fast das Dreifache des nach der Polizeiverordnung zulässigen Höchstgewichts betrage. Beide Antragsteller erklärten sich daraufhin bereit, ihre Hundewagen entsprechend umzuändern. Ihren Worten ließen sie aber dann doch keine Taten folgen und richteten stattdessen am 15. März ein neuerliches Gesuch wegen Weiterbenutzung ihre Hundewagen an die Polizeibehörde. Der erneut um ein Gutachten gebetene Schlachthofinspektor kam jetzt – aus welchem Grund auch immer – zu dem Ergebnis, dass die von den Antragstellern nachgesuchte Erlaubnis wegen des hohen und unzulässigen Gewichts ihrer Hundewagen zu versagen sei. Zudem müsse beim Passieren der Wehringhauser Eisenbahnunterführung auch noch jeweils eine nicht geringe Steigung bewältigt werden. Dem Gutachten des Schlachthofinspektors dürfte die Polizeiverwaltung gefolgt sein.

Hundewohl

Die städtischen Polizeibeamten hatten Anweisung, auf die Einhaltung der Polizeiverordnung vom 27. April 1889 streng zu achten. Am Vormittag des 19. Oktober 1908 hielten daher zwei Polizeibeamte den Milchhändler Otto Hirzbruch, Milchenbach 1 b bei Delstern, auf der Iserlohner Straße (heute Märkischer Ring/Remberg Straße) an, weil ihnen die Last des Hundekarrens für den davor gespannten Hund zu schwer erschien. Wie sich herausstellte, überschritt der leere Wagen das zulässige Leergewicht um mehr als Doppelte. Außerdem befand sich auf dem Wagen noch eine Milchladung von ca. 50 Kilogramm. Aber auch sonst hatte die Polizei vor Ort ein Auge auf das Wohl der Zughunde. Als der Metzger Carl Böing, Eckeseyer Straße 7, am 21. Februar 1911 seinen Hund als Ziehhund anmelden wollte, lehnt das die Polizeibehörde mit der Begründung ab, dass ein erst vier Monate alter Hund als Ziehhund nicht eingesetzt werden dürfe. Der 1908 eingezogene Erlaubnisschein des Milchhändlers Otto Hirzbruch.

Ambulante Marktfrau in Berlin mit Hundegespann und Kartoffeln sowie Messina-Apfelsinen auf dem Wagen; Aufnahme um 1911.Fotos: privat
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