Was hat eigentlich die AIDS-Hilfe mit dem Heiligen Nikolaus zu schaffen?

zu Besuch bei Hagener Kindern in der Seilerstraße
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Eine Frage, die uns in den letzten Tagen immer mal wieder gestellt wurde. Zumal ja die AIDS-Hilfe mit ihren “Queer-Themen” eher religionskritisch eingestellt ist und sich oft mit realen Bischöfen und Klerikern schwer tut.

Unter dem Eindruck meiner letzten Nikolauseinsätze in Hagener Schulen, Kleiderkammern und bei Familien versuche ich trotzdem einmal eine Erklärung, was der Nikolausbrauch für uns in der AIDS-Hilfe bedeutet.

Einer verbreiteten Geschichte zufolge wurde Nikolaus von seinem Onkel, Bischof Nikolaus von Myra – dem heutigen Demre - im Alter von 19 Jahren zum Priester geweiht und als Abt im Kloster von Sion nahe seiner Heimatstadt eingesetzt. Als seine Eltern an der Pest starben, erbte Nikolaus ihr Vermögen. Bis dahin die Geschichte eines möglicherweise privilegierten jungen Mannes, wie es sie zuhauf gibt und die wir auch heute noch kennen. Nichts Ungewöhnliches also.

Allerdings wird es spannend, wenn man hinschaut, was dann passiert sein soll.

Nikolaus verteilte nämlich sein Vermögen an Arme.
So bewahrte er junge Frauen aus seiner Nachbarschaft in Patara - heute Ruinen bei Kalkan- vor dem Zwang zur Prostitution, indem er für eine ausreichende Mitgift sorgte - ob es drei Schwestern waren oder vier - wie eine Fassung der Legende will, ist ungewiss - vielleicht auch nur zwei, wie eine sehr alte Fassung der Legende weiß, die zudem behauptet, er habe das Geld seinen Eltern gestohlen, was an eine spätere Legende von Franziskus von Asisi erinnert.

Historisch erwiesen ist wohl, dass damals wie heute, die Armut Menschen zu schlimmen Sachen zwingen kann. Sei es nun, dass Menschen zu Dieben werden und klauen, dass sie sich selbst aufgeben und nicht mehr um ihre eigene Gesundheit und Wohlergehen kümmern – sie sich gehen lassen, oder wie im Fall der eben erwähnten Legende sogar zur Prostitution gezwungen werden, damit sie den Lebensunterhalt für ihre Familien erwirtschaften können. Sie werden oft ihrer Würde beraubt, von der unser Grundgesetz sagt, sie sei unantastbar. Und oft sind es besonders Kinder und auch Frauen, die von den Folgen der Armut am bittersten betroffen sind. Sie erdulden Scham, Verachtung, Demütigung, nur um am Ende des Tages das “nötigste” nach Hause bringen zu können, was sie und ihre Familien zum Leben brauchen. Oft wird ihnen aber dann sogar das noch weggenommen. Prostituierten von Zuhältern, aber anderen auch von Menschen, die überteuerte Mieten in unsichtbaren Kanälen verschwinden lassen oder das Geld für das Essen und die Kleidung nutzen, um sich selbst auf Kosten der Kinder und Frauen zu bereichern. Eine perfide Art der Ausbeutung, an deren Ende es eben oft noch nicht einmal mehr für das Nötigste reicht.

St. Nikolaus war aber nicht “nur” einfach Spender und Geber,

sondern er nutzte sein späteres Amt als Priester und Bischof auch “politisch” und streitbar im Namen der Nächstenliebe und Solidarität. Überliefert ist, wie er kämpferisch gegen die, in seinen Augen falsche, Lehre des Arianismus vorging – die Legende erzählt, dass er deren Verfechter Arius während des Konzils geohrfeigt habe. Ob sich aus diesem Akt der Brauch verfestigt hat, dass der Nikolaus mit einer Rute bewaffnet, das Böse bekämpft, ist fraglich. Denn : “Lassen wir über unserem Zorn die Sonne nicht untergehen”, zitiert später Andreas von Kreta St. Nikolaus, der ihn hier nämlich ausdrücklich als Vermittler und Schlichter beschreibt.

Und so schließt sich der Kreis zwischen Nikolaus und AIDS-Hilfe.

Die AIDS-Hilfe stand und steht seit eh und je auch auf Seiten dieser “Schwachen”. Als Unterstützerin, solidarische Stütze und Interessenvertretung aber auch politische Streiterin für eben die Rechte dieser ausgegrenzten und oftmals verschwiegenen Gruppe von Menschen. Das sind oft (Zwangs-) Prostituierte, das sind manchmal Menschen, die aus Not und Sucht heraus zu Dieben werden, das sind oft die, auf deren Stimmen viele nicht gerne hören, denen Behörden oft schwere Steine in den Weg legen oder deren pure öffentliche Erwähnung dem einen oder anderen braven anständigen Bürger, einen Schreck versetzt. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Die AIDS-Hilfe versucht nicht nur zu streiten, sondern versucht auch, den Menschen zu erklären und dadurch vielleicht nicht nur Verhalten zu kritisieren, sondern konkret Verhältnisse, die krank machen zu beseitigen und zu ändern. Das tun wir täglich. Nicht nur an einem Tag.
Besonders aber in der Adventszeit zu deren Beginn auch der Welt-AIDS-Tag fällt und um den St. Nikolaus-Tag herum, machen wir dies öffentlich. Durch Aktionen zur Aufklärung, durch das Sammeln von Spenden und Verteilen von blutroten Solidaritätsschleifen, durch das Verteilen von Geschenken an Menschen, die sie ganz alleine und nur für sich behalten dürfen. Von denen sie nichts abgeben müssen. Und oft auch mit einem Augenzwinkern erinnern wir gerne an Nikolaus. Seine Autorität – und ich halte es nach den letzten zwei Tagen in seiner Haut nicht für übertrieben von einer Art “Magie” zu sprechen – hat wirklich bei den meisten Menschen nichts an ihrer Kraft eingebüßt. Sein Wort hat immer noch Gewicht und wird gehört. Also nutzen auch wir diesen wichtigen Fürsprecher und ziehen im Nikolausgewand und mit langem Bart und Bischofsstab los und besuchen die Menschen vor Ort. Eine Rute braucht unser Nikolaus dabei nicht.
Seine Bischofsinsiginien reichen meist aus. Der Mantel, der wärmt und unter dessen Schutz man Menschen nehmen kann, die Schutz brauchen, sein spitzes Mitra, dass schon von weitem gesehen wird und sein Hirtenstab, mit dem er liebevoll den einen oder anderen wieder “einsammeln” kann, der sich verloren hat.
Und ganz “unbischöflich” hat er den großen Sack dabei, in dem neben Geschenken Liebe und Solidarität stecken.
Ja, und zuletzt das große “goldene Buch", in das er den Mächtigen und Privilegierteren mal die eine oder andere “Moralpredigt” schreibt.
Als AIDS-Hilfe ist es uns dabei ganz egal, ob dieser Nikolaus nun historisch belegt ist oder nicht, ob die Menschen an Gott glauben oder nicht, ob an Jesus oder Allah. Viele Muslime kennen übrigens den Nikolaus als “Baba Noel”, der zwar keine religiöse Bedeutung hat, aber dafür als väterlicher Freund der Kinder gilt und der ja, wie wir wissen aus der Gegend von Kleinasien stammen soll.

Was liegt da also näher, als sich dieses Nikolauses als verbindendes Element zwischen den Menschen zu bedienen.
Ein bulgarisches Zitat dazu sagt dies alles in kürzeren Worten: “Wenn der liebe Gott mal stirbt, dann wählen wir St. Nikolaus.”

An Tagen wie diesen, an denen oft Wutbürgertum und Sorgen die Oberhand zu gewinnen scheinen, greife ich noch einmal den Satz auf, den Andreas von Kreta über Nikolaus zitierte:
“Lassen wir über unserem Zorn die Sonne nicht untergehen”
In diesem Sinne, allen Leser*innen hier eine schöne und gerne gesegnete Adventszeit und allen, die dem Nikolaus eine Spende für die AIDS-Hilfe Hagen mitgegeben haben. Vielen lieben Dank dafür. Vielen Dank auch Ronald Bomius , der mit Make Up und Bart für ein unverwechselbares Nikolausgesicht gesorgt hat.
Andreas Rau

Autor:

Andreas Rau aus Hagen

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