Liebes Christkind bringe mir...: LWL-Volkskundler auf den Spuren der Wunschzettel

Solche Wunschzettel wie diesen aus den 1930er Jahren aus Rheine ließen die Spiel- und Schreibwarenhändler seit Ende des 19. Jahrhunderts drucken. Ihre Bildsprache richtete sich vor allem an Kinder, die auf der Rückseite ihre Wünsche notierten. | Foto: LWL-Archiv
  • Solche Wunschzettel wie diesen aus den 1930er Jahren aus Rheine ließen die Spiel- und Schreibwarenhändler seit Ende des 19. Jahrhunderts drucken. Ihre Bildsprache richtete sich vor allem an Kinder, die auf der Rückseite ihre Wünsche notierten.
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"Liebes Christkind! Darf ich um ein Märchenbuch Hänsel und Gretel, Münchener Jugendschriften Band 7, bitten? Wir möchten so gern in der Schule zusammen darin lesen. Ich will auch recht dankbar sein", schrieb Maria Beckers aus Rheine (Kreis Steinfurt) in den 1930er Jahren an das Christkind. Die Volkskundliche Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ist den Wunschzetteln auf der Spur und sammelt in ihrem Archiv solche Dokumente.

Dass sie mit ihrem Wunschzettel an eine jahrhundertealte Tradition anknüpfte, war der kleinen Maria sicher nicht bewusst. "Wunschzettel stehen in der Tradition der Neujahrglückwünsche, die bereits für das 17. Jahrhundert belegt sind", erklärt Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission. "Ursprünglich zu Neujahr, später auch zum Nikolaus oder zum Weihnachtsfest verfassten die Kinder der Mittel- und Oberschicht Briefe an ihre Paten oder an die Eltern, in denen sie ihnen dankten. Der Zeit entsprechend gehörten auch fromme Wünsche dazu. Im Grunde handelt es sich bei diesen Briefen um Schönschreibübungen, die oft Teil des Schulunterrichts waren", so die LWL-Volkskundlerin weiter.
Für ihre Neujahrs- oder Weihnachtswünsche verwendeten die Kinder meist vorgedruckte Schmuckblätter und Briefbögen, die im Handel angeboten wurden. Die Gestaltung dieser lithografierten Blätter war stets ähnlich: Um das Blatt herum gruppierten sich verschiedene Ornamente und Bilder, in deren Mitte sich der Platz für die Dankesbezeugungen, Glück- und Segenswünsche an die Adresse der Paten oder der Eltern befand. "Die Bandbreite der Schmuckbögen, die erhältlich waren, spiegelt auch die Beliebtheit der Weihnachts- und Neujahrsbriefe wider. Da gab es Chromolithografien, Gold- und Spitzenornamente, Prägedrucke und vieles mehr", weiß Cantauw.
Von Märchenbüchern, Puppenkleidchen, Trommeln, Zinnsoldaten oder süßen Sachen sprechen diese Neujahrs- und Weihnachtsbriefe nicht. "Sie waren nur dazu gedacht, einen Anlass zur praktischen Anwendung der in der Schule gelernten Schönschrift zu bieten. Außerdem betonten sie das soziale Beziehungsgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern", erklärt Cantauw. In den 1930er Jahren kamen sie allmählich aus der Mode.
"Ein ganz anderer Wunschzettel, der von eigenen, höchst materiellen Wünschen eines Kindes zeugt, liegt uns aus dem Jahr 1885 aus Bevergern im Kreis Steinfurt vor. Er ist - wie dies in katholischen Kreisen zu dieser Zeit noch üblich war - an den Nikolaus gerichtet. Eine Mütze, eine Schürze, Handschuhe und Kuchen wünscht sich seine Schreiberin, Karoline Wenninghoff, und verspricht im Gegenzug, 'recht artig‘ zu sein", so Cantauw. Die Spielwarengeschäfte und Kaufhäuser in den größeren Städten hatten zu dieser Zeit bereits erkannt, wie wichtig es war, bei den Kindern Wünsche zu wecken. Sie ließen Blätter drucken, auf denen Spielwaren abgebildet waren. "Wie bei den alten Neujahrs- und Weihnachtsbriefen blieb in der Mitte ein Feld frei, um dem Kind die Möglichkeit zu geben, seine speziellen Wünsche mitzuteilen. Maria Beckers aus Rheine notierte auf einem zweiten von ihr überlieferten Wunschzettel, dass das Christkind ihr doch bitte ein Herdchen und ein Kleidchen für die Puppe bringen solle. Auch etwas Süßes hätte sie wohl gern gehabt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dann auch Spielwarenkataloge gedruckt, in denen sich Ankreuzfelder befanden, so dass ausführlichere Ansprachen an die Adresse der Gabenbringer nun nicht mehr nötig waren.
"Die Wunschzettel spiegeln die Geschichte und Entwicklung des Weihnachtsfestes. Die religiösen Bezüge treten mehr und mehr in den Hintergrund, während die Geschenke und die Geschenkebringer in der Wahrnehmung der Kinder immer wichtiger werden", so Cantauw. "Auch das Wirtschaftswunder seit den späten 1950er Jahren lässt sich anhand der Wunschzettel gut dokumentieren: Soziokulturelle Unterschiede finden nun weniger in Quantitäten als vielmehr in dem Wunsch nach bestimmten Markenartikeln ihren Ausdruck."

Autor:

Lokalkompass Hagen aus Hagen

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