Hagen: Das Mächen aus der Blätterhöhle - mit Video
Wer war das Mädchen, das vor etwa 5.600 Jahren in Hagen lebte und dessen Knochen in der Blätterhöhle gefunden wurden? Die Untersuchungen deckten viele Details auf, doch niemand konnte sagen, wie die junge Frau wirklich ausgesehen hat. Nun kann man ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, denn dank moderner Gesichtsrekonstruktion erhielt sie ihr Gesicht zurück.
"Wir wissen noch nicht einmal, ob sie eine Hagenerin war oder nur eine Sauerländerin", sagte Dr. Ralf Blank vom Historischen Centrum bei der Präsentation der Gesichtsrekonstruktion. Weitere Untersuchungen würden das aber noch zu Tage fördern.
Der Körper der jungen Frau wurde in einer Höhle an einem Felsmassiv im engen Flusstal der Lenne bestattet. Von ihren Verwandten? Aus einem bestimmten Grund? Jedenfalls war die Tote in den weithin erkennbaren Kalksteinklippen des Felsmassivs nicht allein - über Jahrhunderte hinweg wurden immer wieder Verstorbene dort niedergelegt. In der Blätterhöhle im Hagener Stadtteil Hohenlimburg entdeckten Höhlenforscher 2004 schließlich den Schädel der jungen Frau sowie zahlreiche weitere Skelettreste. Die Kriminalpolizei und Gerichtsmedizin wurden eingeschaltet. Doch schnell war klar: der Fund ist ein Fall für die Archäologen.
Seit zehn Jahren werden die Funde der Blätterhöhle von Archäologen und Naturwissenschaftlern untersucht. Bereits wenige Monate nach der Entdeckung stand das Alter der Skelettreste unter anderem der jungen Frau fest. Die C14-Labore der Universitäten zu Kiel und Oxford erbrachten eine ziemlich genaue Radiokarbon-Datierung der von ihrer Substanz sehr gut erhaltenen Knochen. Sie starb vor rund 5.600 Jahren im Jungneolithikum, in der späten Jungsteinzeit. Die ihrem Skelett wohl zugehörigen Überreste und der Schädel gaben Hinweise darauf, dass sie 17 bis 22 Jahre alt geworden war - aus heutiger Sicht ein Teenager auf der Schwelle zum Erwachsenenalter. Im Labor für Paläogenetik der Universität Mainz gelang 2013 schließlich die Entschlüsselung der in den Knochen enthaltenen DNA der jungen Frau.
Frau ernährte sich von Wild und Fisch
Es stellte sich heraus, dass sie sich vorwiegend von Wild und Fisch ernährt hatte. Die junge Frau aus der Blätterhöhle in Hagen gehörte damit zu einer Gruppe von Menschen, die es nach der bis dahin geltenden Lehrmeinung in der Jungsteinzeit eigentlich nicht mehr geben durfte: Jäger und Sammler. Rund 2.000 Jahre vor dem Tod der jungen Frau hatte sich Europa durch die so genannte Neolithische Revolution grundlegend verändert. Ackerbau und Viehzucht sowie sesshafte Bauern in festen Siedlungen lösten damals die weitgehend mobil lebenden Jägergruppen der Mittelsteinzeit ab. Dass noch vor 5.600 Jahren im südwestfälischen Sauerland die Überreste von Wildbeuter entdeckt wurden, ist eine Sensation. Es handelte sich um die „Urbevölkerung“ Europas vor der über den Balkanraum einwandernden jungsteinzeitlichen Bauern.
Dr. Constanze Niess ist Rechtsmedizinerin in Frankfurt am Main. Sie gibt Verstorbenen ihr Gesicht zurück. Auf dem Gebiet der Gesichtsrekonstruktionen zählt sie international zu den Experten. Ihre Auftraggeber sind nicht nur Staatsanwaltschaften bei ungeklärten Todesfällen und Mord, sondern immer öfters auch Archäologen und Museen. Ihr jüngster Auftrag war die junge Frau aus der Hagener Blätterhöhle.
Am 5. September wird im Landesmuseum in Bonn die Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen eröffnet. Der Schädel der jungen Frau aus der Blätterhöhle zählt zu den Highlights dieser Großausstellung. Dank einer großzügigen Spende der Sparda Bank in Bonn und Hagen ist es möglich, auch diesem Menschen rund 5.600 Jahre nach seinem Tod das Gesicht wiederzugeben.
Am Freitag fand im Foyer des Kunstquartiers in Hagen die Premiere statt. Direkt aus der Werkstatt von Dr. Constanze Niess kommend, wurde die Gesichtsrekonstruktion der jungen Frau erstmalig den Medien und interessierten Bürgern präsentiert. Beim Blick in das Gesicht des vor rund 5600 Jahren verstorbenen „Steinzeitmädchens“ drängten sich viele Fragen auf, die Dr. Constanze Niess vor Ort beantwortete.
Die Gesichtsrekonstruktion wird zusammen mit dem Originalfund des Schädels vom 5. September bis zum 3. April in der Archäologischen Landesausstellung im Landesmuseum in Bonn zu sehen sein. Danach verbleibt die Gesichtsrekonstruktion aufgrund der großzügigen Spende der Sparda-Bank auf Dauer im Museum Wasserschloss Werdringen in Hagen, um dort zusammen mit den Originalfunden präsentiert zu werden.
Hintergrund
Als die Höhlenforscher vom Arbeitskreis Kluterthöhle im Frühjahr 2004 in eine Höhle im Felsmassiv des Weißensteins bei Holthausen zahlreiche menschliche Skelettreste und Schädelteile entdecken, ahnten sie und die daraufhin hinzu gezogenen Archäologen nicht, welche Bedeutung die so genannte Blätterhöhle und ihre Funde einmal erlangen würden. Denn nach C14-Radiokarbon-Datierungen war schnell klar, dass es sich um Überreste aus der frühen Mittelsteinzeit vor derzeit bis zu 11.300 Jahren sowie aus der späten Jungsteinzeit zwischen 5.800 bis 5.000 Jahren handelte.
Mit einem Alter von derzeit über 11.000 Jahren liegen aus der Blätterhöhle die frühesten Menschenreste aus der Nacheiszeit in Europa vor. Diese Funde geben auch Hinweise auf mutmaßlich kultische Bestattungen von menschlichen Überresten in der frühen Mittelsteinzeit. Vor der Höhle lagerten während der Alt- und Mittelsteinzeit immer wieder Jägergruppen.
Obwohl die ursprünglich große, mit bis zu sieben Metern Sediment aufgefüllte Höhle schon viele Geheimnisse preisgegeben hat, liefern die laufenden Grabungen immer neue und teilweise auch sensationelle Ergebnisse. Es handelt sich um eine der wenigen durch frühere Ausgrabungen nicht gestörte archäologische Höhlenfundstellen in Deutschland und darüber hinaus.
Autor:Lokalkompass Hagen aus Hagen |
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