Kunst im Museum Küppersmühle, Duisburg am Innenhafen

13. November 2011
16:30 Uhr
Museum Küppersmühle, 47051 Duisburg
Museum Küppersmühle
12Bilder

Museum Küppersmühle für Moderne Kunst (MKM)

Ich habe diesen kalten Novembertag genutzt, um mir nach längerer Zeit mal wieder das Museum an Duisburg's Innenhafen anzusehen. Die Atmosphäre am Innenhafen mit Wasserfläche, kaltem Wind und kreischenden Möven erinnerte mich an Urlaubstage ...

Um es vorwegzunehmen, der Ausflug war ein Gesamterlebnis für mich als Liebhaberin von Malerei, Fotografie, Skulptur und Architektur und auch abends gab es mit (und in) den illuminierten Gebäuden am Innenhafen noch sinnliche Genüsse.

Das frühere Getreidelager wird seit 1999 als Museum für zeitgenössische Kunst genutzt.
Die typische Industriearchitektur des denkmalgeschützten Backstein-Gebäudes wurde weitgehend beibehalten und u.a. durch schmale in die Aussenfassade eingelassene Lichtschächte für den Ausstellungsbetrieb einfühlsam ausgebaut. Das Haus bietet auf drei Geschossen klare Blickachsen bei einer komfortablen Deckenhöhe von 6 m.

Schon das Treppenhaus wirkt mit seinen bewegten Linien wie eine begehbare Raumskulptur.
Um den vom Haupthaus ausgehenden Getreidelager-Charakter beizubehalten, wurde das Treppenhaus bewusst in terracotta-farbig getöntem Beton errichtet. So verbindet sich auch hier Tradition und moderner Werkstoff. Von dem erdhöhlen-artigen Treppenhaus führen Öffnungen
ins Licht und in die Ausstellungsräume.

Das Museum zeigt eine Auswahl der bekanntesten deutschen Künstlerinnen und Künstler, von 1950 bis in die Gegenwart. Der Schwerpunkt der Exponate liegt bei der Malerei, es werden aber auch Fotoarbeiten und Skulpturen gezeigt.

Die in den beiden oberen Etagen untergebrachte Sammlung umfasst Werkzyklen von Künstlern wie Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, Gerhard Richter und Georg Baselitz.

Da ich zunächst die volle Schönheit des Treppenhauses ausgekostet habe, konnte ich mich von oben nach unten durch das Gebäude bewegen.

Im 2. OG stehe ich den großformatigen Gemälden von Anselm Kiefer gegenüber.
Kiefer thematisiert die deutsche Nachkriegsgeschichte, die – auch für ihn – nicht abgeschlossen ist.
In "Sternen-Lager IV" von 1998 wird in gelblichen Erdfarben ein Kellergewölbe suggeriert, an dessen Wänden Kisten wie schwebend angebracht sind. Die Kisten tragen Aufschriften mit Ziffern,
die an ein Ordnungssystem erinnern. Zusätzlich angebrachte Namen von Sternenbildern weisen den Keller als Lager für Sterne aus. Einige geöffnete Kisten scheinen tote Körper zu beinhalten. Insgesamt geht von dem Gemälde eine sogartige Wirkung aus, die den Betrachter in die gemalte
Raumtiefe zieht. Es soll an die Athmosphäre eines Konzentrationslagers erinnert werden, in dem auch Menschen beziffert und sortiert wurden und Sterne tragen mussten.

Bei Kiefer vermischen sich Zeit und Überzeit. Inspiriert von esotherischen Lehren und der Kaballa sieht er das Schicksal und die Biographie des Einzelnen untrennbar mit dem größeren Ganzen verbunden. Da das Kleine im Großen und das Große im Kleinen steckt, ist für ihn das Universum zugleich in jedem Menschen enthalten.
Der Betrachter wird in den Bildraum eingebunden um zu verdeutlichen, dass die Zeit der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit andauert und keine abgeschlosene Zeitspanne ist. Bei der visuellen Aufnahme der Gemälde eröffnen sich dem Betrachter Bildfenster der eigenen Erinnerung.

Kiefer-Gemälden bin ich auch im 1.OG wieder begegnet. Hier suggeriert er in verfremdet
gemalter Monumentalarchitektur nationalsozialistische Ehrenhallen und bringt den Betrachter in die so angedeutete Zeit. Auf einem dünnen Stab steht eine Malerpalette auf dem Ehrenhof, was seine Auseinandersetzung als malender Künstler mit der NS-Zeit ankündigt.
Kiefer ist bekannt für seinen üppigen Materialauftrag. Hier verwendet er Ölfarbe mit eingearbeitetem Sand, Stroh, Kernen und weiterem organischen Material auf Leinwand.
Das in Schwarz und bräunlichen Erdfarben gehaltene Gemälde weist dadurch ausgeprägte Strukturen auf. Man kann erkennen, dass Kiefer bei der Herstellung Stroh von der Farbe abgerissen hat, um das zerstörerische Element einzubringen und durch die zurückbleibenden hellen Faserspuren lichte Blitze zu erzeugen, die an die Gewalt des Blitzkrieges erinnern sollen.

Für Kiefer ist die Geschichte keinesfalls abgeschlossen. Sedimente werden aufgeschichtet und ragen bis in unsere Zeit hinein. Seine eigene Biographie, die manchmal in einer Art Kinderschrift angedeutet wird, fliesst in seine Werke ein.

Eindrucksvoll sind auch die riesigen Gemälde über ca. 50 m² Leinwand von A.R. Penck im 2. OG.
Seine "Strichmännchen" nehmen Bezug auf die vorzeitliche Höhlenmalerei. Hintergrund seiner Arbeiten ist die deutsche Ost-West-Trennung während des Kalten Kriegs in den 1950er Jahren.
Penck entwickelte eine universelle Zeichensprache, die für alle Kulturen gelten und geeignet sein sollte, Zeiten und Trennungen zu überbrücken.
In der auf Schwarz und Rot reduzierten Farbgebung seiner Piktogramme schafft er einen Abriss der menschlichen Kulturgeschichte. In der Leserichtung von links nach rechts erschließen sich: Alt-Ägypten mit Hieroglyphen, dann Afrika, das mit seinen Naturreligionen durch eine ekstatische Tanzfigur und Rastalocken dargestellt wird. Über ein Strichmännchen mit zwei Gesichtern für die symbolische Darstellung von Vergangenheit und Zukunft wird der Blick weiter nach rechts geführt. Für das Reich der Maya und Azteken wird eine Figur geradezu ornamental aus Buchstaben gebildet. Schließlich gelangen wir in die Neuzeit mit einer reduzierten Astronauten-figur, die für das 20. Jahrhundert steht. Rechts scheint eine moderne Figur aus dem Bild laufen zu wollen. Penck kündigt damit das 21. Jahrhundert an, von dem man noch nicht weiß, was uns erwartet.
Form und Zeichen, Linie und Form greifen bei ihm ineinander und transportieren die Bildaussage.

Nachdem die bisherigen inneren und äußeren Werte zum Ende des 2. Weltkriegs in Trümmern lagen, wollten sich die Künstler deutlich abgrenzen und von der Vergangenheit auch dadurch lösen, dass sie nicht auf jemals zuvor genutzten Formen zurückgriffen, sondern die universelle und ideologiefreie Bildsprache der Abstraktion entwickelten.
Abstrakte Werke von Gerhard Richter und seines früheren Lehrers Karl Otto Götz finden sich im 2. OG. Der inzwischen über 90jährige Götz ist ein noch immer schöpferisch aktiver Künstler der Nachkriegsavantgarde. Mit seinen besenartigen Pinselstrichen auf Leinwand zeigt er die gestische Bewegung des Künstlers im Raum. Die mit Pinseln aufgebrachte Farbe wird stellenweise mit Spachteln abgetragen, um die Positiv-Negativ-Bewegungen zu visualisieren.

Georg Baselitz (im 1. OG) entwickelte eine malerische Sprache, die sich vom bloßen Abbilden entfernte, ohne abstrakt zu sein. Sein Markenzeichen ist das anti-akademische Vorgehen, Dinge auf den Kopf zu stellen und sie genau so darzustellen.
Im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung geht er dazu über, die Leinwand auf den Boden zu legen und im offenen Malprozess von allen Seiten zu arbeiten um so zur Multiperspektive überzugehen.
Seine Gemälde zeigen deutliche Farbstriche, die sich aus der Entfernung zum Bild zusammenfügen.
Besonders die Personengruppe aus Mann-Frau-Kind mit Flächen in Rot-Gelb-Blau zeigen, dass seine Überkopf-Bilder mit ausgewogenen Flächen- und Farbgewichten durchkomponiert sind.

Eine hochinteressante Werkschau von Hanne Darboven im 1. OG verbindet mit "Ansichten '85" Fotografie und Ordnungssysteme. In einer Abfolge von 53 drei-geteilten Blättern zeigt sie jeweils oben das Foto eines einzelnen Hauses, darunter ein fotografiertes Stadtpanorama mit vielen Häusern und unten Ordnungssysteme aus Kalenderblättern mit Quersummensystemen und Notenlinien. Sie beschreibt die geografischen, historischen und gesellschaftlichen Bezugspunkte zwischen der alten und der neuen Welt, verkörpert durch die Orte ihrer privaten und künstlerischen Existenz in Harburg und New York. Die beiden Lebensorte werden als Städte, Kontinente, Kulturen, alte und neue Welt gegeneinander gestellt und auf das Jahr 1985 bezogen.
Darboven schreibt ihren eigenen Lebenskalender aus Orts- und Zeiteindrücken und macht gleichzeitig Zeit sichtbar.
Mit dem Äquivalent von Zeit und Raum wirft sie die Frage auf, ob Zeit individuell oder eher ein gesellschaftliches Phänomen ist.

Die Fotografin und Bernd-Becher-Schülerin Candida Höfer wird im 1. OG mit ihren großformatigen Fotos "Brasilianische Serie, 2005" präsentiert. Sie zeigt Fotografien von kulturell besetzten öffentlichen Orten, wie z.B. Innenansichten aus Museen, Kirchen und Paradezimmern, denen gemein ist, dass sie immer im gleichen Blickwinkel mit Zentralperspektive und ohne Anwesenheit von Menschen entstanden sind.
Anders als das dynamische menschliche Sehen mit eingeschränktem Scharfsehen per Augenschlag zeigt die Kamera die Innenansichten durchgehend gleichzeitig scharf. Hierdurch und durch die inszenierte Abwesenheit von Menschen wird die Zeitbezogenheit aufgehoben, die Ansicht versachlicht und wie eine Dokumentation von Kunst konserviert. Die Interpretation der Zusammenhänge von Religion, Wissen und Ökonomie bleibt der Phantqasie der Betrachter überlasen.

Hans-Christian Schink fotografiert unbelebte urbane Landschaften, die in ihrer Monumentalität unnahbar und unbetretbar wirken. Die Natur spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der Fotograf selbst bleibt als Beobachter neutral und unbeteiligt. Menschen sind in den Fotografien nicht zu sehen und bleiben nur als die Schöpfer der Monumental-Bauwerke präsent.
Schinks Thema sind die vom Menschen geschaffenen, monumentalen Zeichen der Zivilisation, wie Gebäude, Wände oder Brücken. Schink fokussiert die Form und Struktur dieser Bauwerke in ungewöhnlichen Blickwinkeln von unten, von ganz nah oder aus der Ferne in die Unendlichkeit. Der Betrachter soll sich vor den imposanten Monumenten als unbedeutend, klein und niedergedrückt empfinden. Die Form wird allein durch die Funktion des Bauwerks bestimmt und präsentiert sich in einer überraschenden Ästhetik.
Natur und Bauwerk , Gewachsenes und Gebautes stehen in einem spannungsvollen Ungleichgewicht. Hier deutet sich Schinks Kritik an den menschlichen Eingriffen in die Natur an.

Im EG des MKM befindet sich jeweils eine wechselnde Ausstellung. Bis zum 29.1.2012 werden dort unter dem Ausstellungstitel "Lust und Kalkül" noch Werke von Ulrich Erben aus fünf Jahrzehnten gezeigt.
Erben zählt zu den wichtigsten Vertretern der Farbfeldmalerei; seine Themen sind Licht und Farbe, Form und Raum. Gezeigt werden Gemälde aus Öl oder Acryl mit Pigmenten auf Leinwand und
Papierarbeiten. Ein raumgreifendes Lichtobjekt aus Gaze, Halogenstrahler, Metall- und Holzgestell von 1972/2011 wurde in einem Raum realisiert.
Es werden eigens für diese Ausstellung gefertigte Wandarbeiten aus Autolack auf Metall und Wandfläche bzw. Graphit auf Wandfläche gezeigt.

Erbens Frühwerk war noch gegenständlich geprägt und deutet Natur mit Häusern, Bergen oder Bäumen an. Im Laufe seines Schaffens lösen sich diese Motive in der Fläche auf.
Ab 1968 entstehen seine sogenannten "Weißen Bilder", welche die Farbe Weiß nicht monochrom, sondern in unterschiedlichen Abtönungen als farbneutralen Helligkeitswert verwenden, mit dem Erben geometrische Strukturen gestaltet. Erben erreicht eine neue Erfahrung des Sehens dadurch, dass das Auge des Betrachters durch die flimmernde Farbe irritiert wird, wodurch die Bildfläche ihre Grenzen verliert, ungreifbar und räumlich wird. Die Blendung übersteigt die Fähigkeit des Auges zur objektiven Wahrnehmung. Als Erfolg des Sehens – nicht nur des Bildes – bricht zwischen Betrachter und Werk eine Distanz auf.

Erben schafft Bilder mit einem geometrischen Grundaufbau, der durch die Farbe aufbricht und immateriell wird. Die Farben dominieren über die Form, reagieren miteinander und beeinflussen sich gegenseitig in ihrer Wirkung.
Seine außen weißen und innen bemalten Bilder sind wie ein sprunghaftes Ereignis der Verwandlung des Ganzen, der gesamten inneren Fläche im Bild. Der Randbereich dient zugleich als Grundlage und Ausgangspunkt zur inneren Verwandlung.

Erben versteht Malerei als Ereignis des Lebens. Er erreicht ein Sich-Steigern des Sichtbaren bis zur Übersteigerung und Verwandlung des Angesehenen.
Durch oszillierende Farben und scheinbar über dem Bildgrund schwebende Farbzonen macht Erben Sehprozesse bewusst, die im Auge des Betrachters ablaufen.

Als ich nach meinem Rundgang tief beeindruckt das Museum verlasse, hat sich auch der Innenhafen vor dem inzwischen dunklen Nachthimmel in ein tanzendes, schwebendes Lichtermeer verwandelt.

Autor:

Dorothea Weissbach aus Oberhausen

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