Peer Gynt ist Anfang April 2011 bei uns in Duisburg. "Peer Gynt? Peer Gynt? Ist das nicht das Stück von Henrik Ibsen?" werden SIe nun fragen. "Stimmt, ist es," kann ich da nur antworten.
"Friederike Becht, Therese Dörr, Judith van der Werff, Matthias Eberle, Christoph Finger, Jonas Gruber, Florian Lange und Werner Strenger spielen unter der Regie von Roger Vontobel. Das Schauspielhaus Bochum kommt zu uns nach Duisburg und findet ein gut besuchtes Stadttheater vor.
"Peer Gynt, das ist die Geschichte von einem, der auszieht, um sich selbst zu finden. Eine Suche, die nie direkt, sondern immer nur auf Umwegen zum Ziel führt. Und so muß auch Peer erst einmal weg; er wird Brauträuber und Einsiedler im Wald, Großkapitalist und Sklavenhändler, sucht als Guru metaphysische Tiefe und als Playboy die Erfüllung in allem Fleischlichen. Nur um dann festzustellen, daß das Glück nicht fern, sondern sehr nah liegt. Eine Erkenntnis, die sehr spät kommt. Vielleicht zu spät...," stellt der Schauspielführer das Stück vor.
"Die Hauptfigur ist der junge Bauernsohn Peer Gynt, der mit Lügengeschichten versucht, der Realität zu entfliehen. So verdrängt er, dass sein Vater, der einst sehr angesehene Jon Gynt, Hof und Habe durch Misswirtschaft und zahlreiche Alkoholeskapaden verloren hat. In Peers Phantasiewelt ist die heruntergekommene Behausung jedoch nach wie vor ein strahlender Palast. Auch seinen eigenen Nichtsnutz verklärt er zu heldenhaften Episoden. So schildert er seiner Mutter Aase einen halsbrecherischen Ritt auf einem „Bock“ über einen Grat, möglicherweise der Besseggen oberhalb des Gjendesees im norwegischen Gebirge Jotunheimen. Von seiner Mutter wird Peer überbehütet und glorifiziert, doch soll er immer ihre Version des Lebens teilen. Auf der Suche nach Liebe und Abenteuer findet er sich bald in einer Welt von Trollen und Dämonen wieder. Er entführt Ingrid, die Braut eines anderen. Gleichzeitig verliebt er sich in die aus pietistischem Elternhaus stammende Solvejg, die ihn anfangs nicht erhört, sich ihm später jedoch anschließt.
Nach einem Zeitsprung von etwa 30 Jahren findet sich der inzwischen unter anderem durch Sklavenhandel reich gewordene Peer im vierten Akt in Marokko wieder. Dort wird ihm von Geschäftspartnern sein Schiff mit allen Reichtümern gestohlen. Nach einem Gebet versinkt das Schiff; Peer findet sich mit seiner Armut ab und wendet sich Gott zu. Durch einen Affenangriff wird er in die Wüste getrieben, wo er sich in eine Oase rettet. Von den dort lebenden Jungfrauen erwählt er Anitra, die ihm allerdings die letzten Habseligkeiten stiehlt. Den Tiefpunkt seines Lebens erlebt Peer im Irrenhaus zu Kairo, dem der deutsche Arzt Doktor Begriffenfeldt vorsteht.
Alt und verarmt kehrt Peer Gynt heim, wo er um seine Seele kämpfen muss. In einer berühmten Szene vergleicht sich Peer mit einer Zwiebel, die viele Hüllen, jedoch keinen Kern aufzuweisen hat. In der an einem Pfingstmorgen spielenden Schluss-Szene stellt sich jedoch Solvejg, die ein Leben lang auf die Rückkehr ihres Geliebten gewartet hat, schützend vor ihn und rettet ihn." Dieser Text stammt aus der Internetenzyklopädie Wikipedia. Hinsichtlich der Inhaltsangabe ist Wikipedia doch wesentlich genauer als die Werbung unseres Stadttheaters.
Gynt ist in dem Theaterstück noch als Alkoholiker und Tagträumer zu erkennen; die Grundzüge des Originals sind bei der Aufführung noch erkennbar. Kann man ohne die Kenntnis des literarischen Originals erkennen, daß es um das Leben eines Außenseiters geht? Ist sein Streben nach Glück, Liebe und Anerkennung sichtbar? Sieht man ihm seine inneren und äußeren Kämpfe an? Oder lenkt die äußere Verpackung (= die Art der Aufführung) ab? Gerade bei diesem Stück ist es schon hilfreich, sich vorher mit dem Stoff zu beschäftigen; wenn man nicht schon das Ibsen`sche Original kennt, so ist es schon hilfreich, sich - mittels der Sekundärliteratur - einen Einblick in seinen Inhalt zu verschaffen. Bei genauerem Hinsehen ist schon erkennbar, wie sich Vontobel - trotz aller vermeintlicher Modernität - am Original orientiert.
Ansonsten bekommt man nämlich anfangs einen gehörigen Schreck. Das Stück aus dem 19. Jahrhundert ist im 21. Jahrhundert angekommen. Ein minimales Bühnenbild, schräge Musik und der reichhaltige Einsatz von Bühnenfarbe gehört dazu. Ob das Stück im 19. Jahrhundert wohl auch so aufgeführt worden wäre?
Das Stück regt schon zum Nachdenken an (auch wenn es möglicherweise in eine andere Richtung geht, als vom Regisseur beabsichtigt). Wie kann man ein Stück aus dem 19. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert verfrachten? Wie originalgetreu muß der Text wiedergegeben werden? Oder reicht es, seine Botschaft herüberzubringen? LÄuft man dann nicht Gefahr, die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge der Entstehungszeit zu vernachlässigen? Und: Welche Erwartungen darf ein heutiger Theaterbesucher hegen? Eine Sache habe ich für mich entschieden: Theater ist viel spannender als Fernsehen. Man muß allerdings offen dafür sein.
Autor:Andreas Rüdig aus Duisburg |
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