Amputierten Fußball
Düsseldorfer Schiedsrichter in Hoffenheim beim Allround-Workshop Amputierten-Fußball
Am vorletzten Wochenende im März richtete der Verein „Anpfiff ins Leben“ in engem Kontakt mit der TSG Hoffenheim, einen Workshop zum Thema „Amputierten-Fußball“ aus.
Bei Anpfiff ins Leben handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der sich seit Gründung im Jahre 2001 zur Aufgabe stellte, besonders jungen Menschen oder Menschen mit Handicap, bestmögliche Zukunftschancen und Perspektiven für den weiteren Lebensraum zu schaffen. Unterstützt wird dieses durch viele Partnervereine und der TSG Akademie. Wie auf der Homepage es Vereines geschildert, ist das Ziel des 360°-Konzeptes in der professionellen und nachhaltigen Förderung in den Bereichen Sport, Schule, Beruf und Soziales, um Persönlichkeiten zu entwickeln und junge Menschen auf ihre private und berufliche Zukunft vorzubereiten.
Neben einigen anderen Sportarten wird besonders eine der in Deutschland außergewöhnlichsten Sportarten gefördert. Beim Amputierten-Fußball handelt es sich um Fußballsport, die von Menschen nach Amputationen ausgeübt wird. Egal ob Spitzensportler oder die sogenannten Kreisligaspieler, hierbei kann jeder Mensch, der einen Turnschuh hat, mitspielen.
Ein Feldspieler darf nur ein Bein haben und das andere muss entweder fehlen oder stark verkürzt sein. Den Torhütern hingegen fehlt ein Arm oder dieser ist sehr stark beeinträchtig.
Ein amputierter namens Don Bennett wagte 1982 in den USA erstmals, auf Krücken Fußball zu spielen. Er begeisterte viel gleichgesinnte amputierte Menschen so sehr, dass in Seatle die weltweit erste Amputierten-Fußballmannschaft gegründet wurde. Diese neue Sportart verbreitete sich auch in anderen Ländern und so fand bereits 1991 in Usbekistan die erste inoffizielle Weltmeisterschaft statt. 2005 gründete sich der offizielle Weltverband, die WAFF (World Amputee Football Federation). Der erste Europäische Verband wurde dann 2015 ins Leben gerufen. Leider ist diese Sportart noch keine paralympische Disziplin, doch dürfte dieses nur eine Frage der Zeit sein.
In Deutschland wurde bereits 1994/95 die erste amputierten-Fußballmannschaft durch Sitzfussballer aus Rheinland-Pfalz gegründet. Nach einem Jahr und einigen internationalen Versuchen in Russland und Tschechien, zerschlug sich das Team wieder.
Erst im Jahr 2008 begeisterte ein gewisser Lothar Schacke, amputierte Menschen von dieser Art des Fußballs zu begeistern. Durch die großartige Unterstützung der Sepp Herberger Stiftung konnten einige Trainingswochenenden organisiert werden. Es kamen immer mehr begeisterte Spieler hinzu und so konnte ein Team zusammengestellt werden, welches 2012 zum ersten Mal an einem internationalen Turnier in England teilnehmen konnte.
Bei der Weltmeisterschaft 2014 in Mexiko erreichte das deutsche Team von 21 Teilnehmern den 13.Platz.
Der erste Kontakt zu Anpfiff Hoffenheim, der gemeinnützigen Organisation mit Hauptsitz in Walldorf, wurde 2015 hergestellt. Durch die Zusammenarbeit von amputierten Fußballern aus ganz Deutschland und dem Verein, gründete sich in diesem Jahr der erste eingetragene Amputierten-Fußballverein. Im selben Jahr folgte der Beitritt der Sportfreunde Braunschweig, die seit 2012 Menschen mit Handicab die Möglichkeit zum Fußballspielen boten. So fand auch 2015 das erste Länderspiel auf deutschen Boden statt. An zwei aufeinanderfolgenden Spieltagen wurde ein Team aus Belgien jeweils 3:1 besiegt.
Das absolute Highlight war bis dato die Teilnahme 2017 an der ersten Europameisterschaft in Istanbul. Die deutsche Auswahl belegte einen respektvollen 8. Platz. Vor 40.000 absolut begeisterten Zuschauern, besiegte das Team der Türkei im heimischen Stadion von Besiktas Istanbul die Mannschaft aus England mit 2:1. Auf YouTube gibt es hierzu grandiose Videos zu bestaunen.
Im Juli 2019 wurde der bundesweit dritte Standort bei Fortuna Düsseldorf ins Leben gerufen. Amputierte Fußballer aus ganz NRW konnten durch Stefan Felix, dem Projektleiter Inklusion von F95, gewonnen werden und zur Teilnahme an regelmäßigen Trainingseinheiten etabliert werden.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis auf Initiative von Anpfiff Hoffenheim 2020, das erste bundesweite Turnier ausgespielt wurde. Fortuna Düsseldorf konnte sich gegen die Sportfreunde Braunschweig und Hoffenheim durchsetzen und gewann den ersten „ Anpfiff ins Leben Cup“!
Weitere Standorte wurden ein Jahr später durch den Hamburger SV und Tennis Borussia Berlin gegründet. Dort werden seit dieser Zeit auch Amputierten-Fußballspiele angeboten. Beide Vereine schlossen sich als Spielgemeinschaft Nordost zusammen und nehmen so an den offiziellen Spielen teil.
Die offizielle Bundesliga wurde so ebenfalls 2021 durch Anpfiff ins Leben und der DFB-Stiftung Sepp Herberger ins Leben gerufen. Als erster Deutscher Meister sicherte sich Anpfiff Hoffenheim den Eintrag in die Geschichtsbücher.
Das Team um den Hoffenheimer Nationalspieler und Projektleiter Christian Heintz, belegte auch 2021 bei der ersten offiziellen Europameisterschaft in Krakau, den 9.Platz.
Als alleiniger Ausrichter der Amputierten-Fußball-Bundesliga 2022 schreiben wir erneut Anpfiff Hoffenheim. Erstmals wurden per Livestream die Bundesliga-Spiele per Livestream im TV übertragen.
Deutscher Meister im Amputierten-Fußball wurde Fortuna Düsseldorf.
Doch zurück zum Workshop.
Selbsterfahrung „Kicken auf Krücken“, Einblick in die Sportpsychologie, Aktivierung und Mobilisation in der Indoorhalle mit Kunstrasen, Besprechungen des Spielplanes der Saison 2023, Training im Footbonaut und Helix der TSG Hoffenheim (nur 4x weltweit vorhanden) und natürlich das Regelwerk der schnellen Sportart, stand auf dem Programm der Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen. Schiedsrichter, Funktionäre, Trainer, Spieler, Vereinsvertreter und Sportstudenten.
Und gerade dieses Regelwerk mit den damit verbundenen Regelfragen war für unsere Schiedsrichter sehr wichtig.
So machten sich Michael Muhr, Olaf Oberkalkofen-Grübnau, Christian Ebrahimi von Fortuna Düsseldorf, gemeinsam mit Lukas Rütten vom VFL Willich, auf die 350 Km lange Reise um diesen Sport besser verstehen zu können.
Ziel der Teilnahme an diesem Workshop war es für dieses Schiedsrichterteam des Fußballverbandes Niederrhein, erste Erfahrungen sammeln zu können, um in dieser Saison selber Bundesliga-Spiele leiten zu können. Schneller Mannschaftsport, ähnliche Regeln vergleichbar mit Futsal oder Kleinfeldspielen, dazu der ständige Blickkontakt auf die Krücken und Stumpfe der Spieler (Berührung durch den Ball wird wie Handspiel geahndet) und die speziellen Torwartregeln, all das musste und muss erlernt werden.
Wer jemals Spiele dieser Sportart besuchen wird, sieht den gesamten Fußballsport zukünftig aus einer völlig anderen Sicht. Jedoch nicht nur das Spiel ist interessant und bemerkenswert, sondern auch die persönlichen Schicksalsschläge der einzelnen Spieler. Manche verloren ihre Beine oder Arme bei Unfällen, nach Krankheiten oder auch durch Kriegsverletzungen.
Stellvertretend für viele Spieler möchte ich zwei Amputierten-Spiele vorstellen.
Cesar Leszinski
Der 38jährige ehemalige Nationaltorwart ist derzeit Vereinslos. Im Alter von 9 Jahren verlor er durch einen Starkstromunfall seinen Arm. Als 10jähriger kam er nach Deutschland und wurde hier operiert. Es entwickelte sich eine innige Beziehung zu seiner Ärztin, die ihn später adoptierte und ein liebevolles Zuhause bot. Von einem Fahrradfahrer wurde er angesprochen, ob er nicht für ein amputiertes Fußball-Team spielen wolle. Ceasar absolvierte eine Ausbildung zum Bürokaufmann und nahm an der WM in Mexico und der EM in Polen und in der Türkei teil. Als Feldspieler wird er noch bei RW Speyer in der Kreisliga als Feldspieler eingesetzt.
Agbere Djalilou
Brach sich im Alter von 15 Jahren während eines Fußballspiels in Togo sein Bein. Da die ärztliche Versorgung in Afrika nicht mit unserer vergleichbar ist, entzündete sich das Bein und Keime gelangten in die Wunde. So musste das Bein amputiert werden. Als er später zur weiteren Behandlung nach Deutschland kam, wurde der heutige angehende Erzieher beim Spielen mit Kindern von jemanden angesprochen worden, ob er nicht Lust auf Amputierten-Fußball hätte. So wechselte er aus unterschiedlichen Gründen mehrmals zu den Vereinen in Hoffenheim und Düsseldorf und wieder zurück. Mit Fortuna Düsseldorf wurde er 2022 Deutscher Meister.
Alle Teilnehmer bedankten sich stellvertretend bei Christian Heintz und seinem Team für die tolle Organisation und für die unbezahlbaren Erfahrungen, die wir während dieser zwei Tage erfahren durften. Amputierten Fußball auf Krücken ist eine absolute Herausforderung.
Autor:Olaf Oberkalkofen aus Duisburg |
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