„Kein Tag wie jeder andere“: Vor 50 Jahren besuchte Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle das Hüttenwerk im Duisburger Norden
Hoher Besuch kam vor 50 Jahren in den Duisburger Norden.
„Der 6. September wird als historischer Tag in die Geschichte der August Thyssen-Hütte eingehen“, hieß es dazu damals in der Werkzeitschrift.
„An diesem Donnerstag war der französische Staatspräsident General Charles de Gaulle bei uns, um vor 4.000 Mitarbeitern der Hütte aus Betrieben und Büros, – wie er selbst in seiner Ansprache sagte – ’in Ihnen allen das ganze schaffende Volk zu begrüßen‘ und sie aufzufordern, ,ein neues Ereignis zu feiern, die Freundschaft zwischen dem französischen und dem deutschen Volk‘.“
Das Ereignis wurde von einem Filmteam begleitet. Daraus entstand dann der 20-minütige Dokumentarstreifen „Kein Tag wie jeder andere“ mit dem bekannten Fernseh-Journalisten Hanns-Joachim Friedrichs als Sprecher.
„Thyssen wurde ausgesucht, weil das Unternehmen ein bedeutendes Element des Wirtschaftswunders war“, so ein Zeitzeuge, der vor 50 Jahren als Thyssen-Mitarbeiter dabei war. „Es war fast ein Weltereignis.“
Dafür sorgte auch die Übertragung in zahlreiche Länder via Eurovision sowie die Anwesenheit von rund 250 Journalisten. De Gaulles Besuch der August Thyssen-Hütte fand im Rahmen seiner Deutschland-Reise vom 4. bis 9. September statt.
Das Werksgelände im Duisburger Norden erreichte der Staatsgast am 6. September 1962 mit dem Rheindampfer MS „Deutschland“. Am Hafen Schwelgern begrüßten u.a. 400 Lehrlinge „Monsieur le Président“. Von dort aus ging es mit dem Sonderzug zur Warmbreitbandstraße, wo in der Halle 4.000 Mitarbeiter auf den französischen Politiker warteten.
„Wie an anderen Stationen seines Deutschland-Besuches wurde der General auch hier mit frenetischem Beifall begrüßt, der schon den Zeitgenossen als ungewöhnlich aufgefallen war“, berichtet Prof. Dr. Manfred Rasch, der heutige Leiter des ThyssenKrupp Konzernarchivs. Dies sei ein Zeichen gewesen, dass „die deutsch-französische Aussöhnung auch vom einfachen Mann von der Straße mitgetragen wurde“.
In der Mitarbeiter-Zeitung von 1962 heißt es dazu:
„Um 15.47 Uhr riss das Dröhnen der Produktion in der Breitbandstraße plötzlich ab. Stattdessen erfüllte die große Verladehalle des Betriebes sich steigender Beifall für den Gast aus Frankreich. Hunderte rissen ihren Schutzhelm vom Kopf und schwenkten ihn zur Begrüßung durch die Luft. Andere klatschten in die schwieligen Hände oder riefen dem General ein lautes ‚Vive‘ zu.“
Nach einigen Worten des Vorstandsvorsitzenden der August Thyssen-Hütte, Dr. Hans-Günther Sohl, betrat de Gaulle das Podium. Er hielt seine Rede an die Belegschaft auf Deutsch und ohne Manuskript. Dies ging -– wie überhaupt der Besuch eines Industriebetriebs im Ruhrgebiet – auf die Initiative des französischen Präsidenten zurück.
In dem er die 4.000 Mitarbeiter mit „Meine Herren“ ansprach, habe er – so die Werkszeitung – „sofort den Weg zu den Herzen der Männer“ gefunden. „Der Jubel, der Charles de Gaulle hier auf dem Gelände der Thyssen-Hütte von Arbeitern und Angestellten des Werkes entgegenschlägt, ist nicht künstlich erzeugt. Er ist jäh hervorgebrochen, er ist plötzlich da, minutenlang.“
Dann habe sich der Mann auf dem Rednerpult bemüht, das Pathetische seines Redestils auf eine fremde, ihm ungewohnte Sprache zu übertragen. „In Ihnen begrüße ich das ganze schaffende deutsche Volk“, erklärte der damals 71-Jährige, häufig von zustimmendem Beifall unterbrochen. „Sie alle fordere ich auf, zusammen mit mir ein neues Ereignis zu feiern, das größte unseres modernen Zeitalters, die Freundschaft zwischen dem französischen und dem deutschen Volk.“
Nach der Ansprache schlug de Gaulle erneut langer Beifall entgegen. „So eine große Begeisterung wie beim Besuch von de Gaulle hatte ich noch nicht erlebt“, erinnert sich der Zeitzeuge.
„Es entstand das Gefühl: Wir waren bei einer großen Sache dabei.“ Nachdem „Monsieur le Président“ das Rednerpult verlassen hatte, ging er – trotz seiner Körpergröße von 1,95 Meter – fast in der jubelnden Menge unter. Nur mit Mühe gelingt es, dem Staatsgast einen Weg zum Ausgang zu bahnen.
„Barhäuptig, ohne Mantel, den angebotenen Schirm wie schon bei seiner Ankunft verächtlich von sich weisend, schreitet er durch den Regen, als trüge er das Schicksal Europas allein auf seinen Schultern“, endet der Bericht in der Werkszeitung von 1962.
Im Januar 1963 wird de Gaulle noch einmal an seinen Besuch im Duisburger Norden erinnert. Da wird ihm im Pariser Élysée-Palast der von der August Thyssen-Hütte in Auftrag gegebene Dokumentarstreifen „Kein Tag wie jeder andere“ vorgeführt.
In der Folgezeit wurde der Film bei verschiedenen Gelegenheiten gezeigt. „Sein gezielter Einsatz durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung dürfte zum Bild von der deutsch-französischen Aussöhnung in der Welt beigetragen haben“, ist Prof. Dr. Rasch überzeugt.
Autor:Harald Molder aus Duisburg |
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