Von Smartieforschernund Herzensretterinnen
Für die Pflegekräfte liegen tragische und skurrile Momente oft nah beieinander
Kleine Affen hangeln sich an Lianen über die Tür, schräg daneben zwinkert eine Giraffe schelmisch in den Raum – für die kleinen Patienten der Kindernotfallambulanz an der Duisburger Helios St. Johannes Klinik gibt es schon an den Wänden im Flur viel Aufmunterndes zu sehen.
Aus gutem Grund, denn die Kinder und ihre Eltern kommen meist in größter Aufregung hier an. Jetzt aber ist es still auf dem langen Gang. „Noch“, ist sich Vera Gajewski sicher und schaut auf die Uhr, „freitags geht der Trubel meist ab drei Uhr los, wenn die Praxen schließen.“ Sie leitet das Pflegeteam der Ambulanz und klemmt sich gerade ihr Namensschild mit dem kleinen Storch an den hellblauen Kasack. Dienstbeginn. Die Kollegen versammeln sich hinter dem Schreibtisch der Anmeldung und die Frühschicht gibt die wichtigsten Informationen des Tages durch, auch welche Patienten gerade in den verschiedenen Untersuchungszimmern warten. Aktuell sind es drei: zwei Covid-Fälle und ein kleines Mädchen mit einem entzündeten Finger. Vera prüft das medizinische Material und die Dienstpläne. Sind die Schichten ausreichend besetzt, welche Ärzte haben Dienst? Man spürt sofort, dass sie weiß, was sie tut, ihre Ruhe und das entspannte Lächeln lassen sich auch durch die FFP-2-Maske erahnen.
Kein Tag gleicht dem anderen auf der Station
Seit über zehn Jahren arbeitet die 55-Jährige schon in der Kinder-Notfallambulanz und seit über 30 Jahren in der pädiatrischen Pflege. Mit den dazugehörigen Erlebnissen könnte sie Bücher füllen: „Neben all dem Leid und Schmerz, die zur Notfallbehandlung dazugehören, erleben wir hier auch viel Kurioses und Herzerwärmendes, denn die kleinen Mäuse sind einfach sehr tapfer.“ Erstaunt ist sie trotz ihrer Erfahrung und zwei eigenen Kindern manchmal dennoch, etwa darüber, was sich alles in Kinderohren und -nasen wiederfinden kann. „Von Legosteinen bis hin zu Smarties war schon fast alles dabei“, schmunzelt sie.
Dass kein Tag dem anderen gleicht, gilt hier ganz besonders. Und diese Unvorhersehbarkeit macht für Vera Gajewski auch die Faszination ihres Jobs aus. „Zusammen mit der Möglichkeit, den Kindern und ihren Familien meist sofort helfen zu können, ist es einfach der beste Beruf.“ Ihre Kollegin Sakibe Demirtas nickt zustimmend. Gemeinsam laufen die beiden über den Flur, die kleinen Patienten warten schon. Vera übernimmt das Mädchen mit dem entzündeten Finger. Sofie heißt sie. Eng an ihre Mutter geschmiegt, wartet die fast Vierjährige schon im Untersuchungsraum. Mit großen Augen schaut sie Vera an, auch ein Assistenzarzt ist schon da und lässt sich erzählen, was passiert ist. Schüchtern versteckt Sofie ihren Finger, auf dem große Blase prangt. Aus der harmlosen Hautreizung ist eine sogenannte Superinfektion geworden. Bakterien sind eingedrungen, der Finger ist geschwollen und gerötet. Sofie hat Schmerzen, ab und zu wimmert sie. Sie und ihre Mutter sind auf Empfehlung aus Gladbeck nach Duisburg gefahren, weil es hier eine Kinderchirurgie gibt. Der dazugehörige Oberarzt kommt jetzt auch dazu, denn die Blase muss geöffnet werden. Zuviel Rummel für das kleine Mädchen mit den langen braunen Haaren. Ihr Gesicht verzieht sich, der erste Schluchzer bahnt sich an. Vera redet beruhigend auf sie ein und bereitet zeitgleich alles für die Ärzte vor. Auch die Mutter gibt ihr Bestes, streicht ihrer Tochter sanft über den Kopf. Doch als das Mädchen sich auf die Liege legen muss, bricht es aus ihr heraus. Das Weinen ist schon herzzerreißend, bevor der Oberarzt den Finger überhaupt berührt. „Es ist oft nicht die Behandlung an sich, die die Kinder zum Weinen bringt, sondern schon das Hinlegen und Angefasst werden“, erzählt Vera später.
Viele Fragen der besorgten Eltern
Sie streichelt Sofie über den Arm, sagt ihr, dass sie am besten ihre Mama anschauen soll, die direkt neben ihr sitzt. Das hilft ein bisschen, aber nur kurz. Die Prozedur an sich ist nicht schmerzhaft, der Finger aber druckempfindlich, und Sofie brüllt nach Leibeskräften. Das Team aber kennt das und macht vorsichtig aber bestimmend weiter, bis alles gesäubert und der Finger dick verbunden ist. Sofie beruhigt sich schnell, bekommt eine Tapferkeitsurkunde und darf sich aus einer Spielzeugkiste etwas aussuchen. „Ich habe Hunger“, platzt es aus ihr heraus. Alle müssen grinsen. Die Anspannung löst sich. Vera gibt der Mutter noch die notwendigen Informationen und Rezepte mit auf den Weg: „Neben der rein medizinischen Arbeit ist der einfühlsame und aufklärende Umgang mit den Familien unsere Hauptaufgabe.“
Das beginnt schon am permanent klingelnden Telefon, über das Eltern ihnen täglich hunderte von Fragen stellen – etwa zu Symptomen, Hausmitteln oder Quarantäneregeln. Auch bei Ankunft der Familien in der Ambulanz ist das Pflegeteam der Hauptansprechpartner, Vera und ihre Kollegen übernehmen die Ersteinschätzung (Triagierung) der kleinen Patienten, geben die Daten ein und beruhigen dabei zeitgleich Eltern und Kind. Das ist manchmal nicht ganz einfach, vor allem, wenn es kommunikative Barrieren gibt. Das Team ist mit sieben Sprachen, darunter Türkisch und Polnisch, schon gut ausgestattet, doch oft müssen sie sich zusätzlich mit Händen und Füßen verständigen. Und dass der Job sie manchmal an ihre Grenzen bringt, gibt auch Vera offen zu: „Niemand von uns steckt das einfach so weg, wenn er ein Kind reanimieren muss.“ Auch versuchte Suizide oder Kindesmisshandlungen, aggressive Eltern und aktuell die Pandemie gehen an die Substanz. „Wir unterstützen uns als Team gegenseitig und reden offen und viel über diese Belastungen, aber manchmal kann auch ein Gespräch mit dem psychologischen Dienst des Klinikums notwendig sein.“ Tauschen würde Vera Gajewski trotzdem nicht, auch wenn sie über die Jahre pragmatischer geworden ist: „Ich weiß mittlerweile, dass ich nicht die ganze Welt retten kann, aber solange ich hier noch etwas bewege, mache ich es auch.“
Autor:Lokalkompass Duisburg aus Duisburg |
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