Achtung Baby!
Alle Fotos: Hannes Kirchner
Führerschein, Angelschein, Trainerschein – für (fast) alles muss man in Deutschland eine Lizenz erwerben. Nur Kinderkriegen und -erziehen darf man einfach so. Nicht selten geht das schief. Deswegen konnten die drei 9. Klassen der Heinrich-Böll-Hauptschule in Meiderich jetzt mithilfe eines Baby-Simulators fünf Tage nonstop ausprobieren, wie ein Säugling das Leben verändert.
Morgens um 10 Uhr in der Klasse 9c. Statt Büchern stehen Maxi-Cosis auf den Tischen. In einer Gruppe sitzen vier Schüler zusammen und schnibbeln Obst und Gemüse. „Normalerweise gibt es bei mir Eistee und Chips zum Frühstück“, grinst einer, während er Paprikastreifen und Tomatenscheiben in Schälchen anrichtet. Währenddessen sind einige sichtbar übermüdete Jungen und Mädchen dabei, ein Simulationsbaby in den Armen zu wiegen, es zu füttern oder seine Windeln zu wechseln.
Babysimulator
Rabea ist 15 Jahre alt und hat ihren „Sohn auf Probe“ Umut genannt. Wie war die erste Nacht mit Umut? „Er hat sechsmal geschrien. Aber dann habe ich ihn gefüttert und seine Windeln gewechselt, und dann ist er wieder eingeschlafen.“ Ungewohnt sei es natürlich schon, plötzlich rund um die Uhr für so einen kleinen „Menschen“ verantwortlich zu sein – aber auch sehr schön. „Ich habe allerdings schon Erfahrung mit kleinen Kindern in meiner Familie.“ Dass sie eigene möchte, steht für die Hauptschülerin fest – frühestens aber, wenn sie 26 Jahre alt ist.
Gemeinsam mit Jugendamt und DRK
Klassenlehrer Hans-Gerd Hotz stand dem in Kooperation mit dem Jugendamt durchgeführten und vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) unterstützten Projekt anfangs skeptisch gegenüber – jetzt ist er begeistert: „Es freut mich zu sehen, wie liebevoll die Schülerinnen und Schüler mit den Simulationsbabys umgehen.“
Dieses „Elternspielen“ auf Zeit hat einen ernsten Hintergrund: Das in Amerika entwickelte Projekt will die Zahl der Schütteltraumata bei Babys dezimieren. Besonders Eltern im Teenager-Alter sind mit einem Säugling oft heillos überfordert, erkennen nicht, warum der Säugling schreit und entwickeln schließlich Aggressionen, die auch einen tödlichen Ausgang nehmen können.
Aufklärung ist wichtig
Und da setzt die Präventionsarbeit von DRK-Referentin Kirsten Pache an: „Gemeinsam mit den Schülern erarbeiten wir Alternativen.“ Die beste sei Aufklärung. Deswegen haben die Schüler zu Beginn einen Film darüber gesehen, wie sich das Kind im Mutterleib entwickelt und was das Schütteln eines Babys in dessen Körper anrichtet. Sie haben erfahren, dass sie bereits in der Schwangerschaft große Verantwortung tragen, dass der Konsum von Alkohol und Zigaretten dann nicht mehr nur der eigenen Gesundheit schadet und gesunde Ernährung wichtig ist.
Die Bedürfnisse des Babys erkennen
Kirsten Pache weiß aus Erfahrung: „Die größte Schwierigkeit für junge Eltern ist es, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen. Das üben wir hier.“ Und dabei kann dank ausgeklügelter Technologie nicht getrickst werden. Denn in den so niedlich und täuschend echt aussehenden Babysimulatoren stecken Computer, mit denen die „Probeeltern“ für die gesamte Projektphase per Chiparmband verbunden sind. Jede Versorgung, jede Vernachlässigung wird aufgezeichnet, gespeichert und am Ende ausgelesen.
Untrennbar per Chiparmband verbunden
Als Misshandlung gilt bereits, wenn das „Baby“ länger als zwei Minuten schreit, ohne dass ihm geholfen wird. Ute Börner hat die „Babys“ programmiert und lächelt wissend: „Diese Simulatoren befinden sich derzeit noch im pflegeleichten Modus, damit sich die Mädchen und Jungen erst einmal an ihre neue Rolle gewöhnen können.“ Bei Koliken sehe das dann schon anders aus.
Berkan ist der einzige „alleinerziehende Vater“ der Gruppe. Während sich seine Klassenkameraden die Pflege des „Babys“ mit einer Mitschülerin teilen, kümmert sich der 14-Jährige nonstop um „Tochter“ Silan. Dreimal hat sie ihn in der ersten Nacht aus den Federn geholt, musste gefüttert und gewickelt werden. Berkan sieht‘s gelassen. „So ist das eben mit Babys, das kenne ich schon aus meiner Familie.“
Nicht zur Teenie-Schwangerschaft ermutigen
Im Moment läuft also alles rund bei den „Familien“ an der Heinrich-Böll-Schule. Aber was macht man im richtigen Leben, wenn plötzlich doch alles zuviel wird? Auch darauf werden die Teilnehmer vorbereitet. Kirsten Pache erklärt: „Wir informieren auch über die bestehenden Hilfs- und Beratungsangebote für junge Eltern, sagen, an wen man sich wenden kann, wenn man nicht mehr weiter weiß.“ Sie betont: „Wir wollen sicher nicht zur Teenie-Schwangerschaft ermutigen, sondern bewusst machen, wie einschneidend ein Kind das Leben der Eltern verändert. Und dass Kinder auch viel Freude machen – nach Schule und Ausbildung.“
Autor:Claudia Brück aus Düsseldorf |
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