Ratssitzung am Montag, 6.9.2010

"Es geht um Moral. Es geht um die Moral eines jeden Einzelnen. Die Zeit der Schnellschüsse ist vorbei," berichtet der Vater eines der Opfer der Loveparade. Er fordert den Oberbürgermeister auf, die politische und moralische Verantwortung zu übernehmen und von seinem Amt zurückzutreten. Er betont, daß nicht jeder Mitarbeiter der Stadtverwaltung Schuld an den Ereignissen trägt daher auch vor ungerechtfertigten Angriffen geschützt werden müsse. Dementsprechend gilt es jetzt, einen politishen Neuanfang zu wagen und die Lage Duisburgs ruhig zu bewerten.

Die persönlichen Ausführungen erfolgen vor dem Eintritt in die Tagesordnung. In der Tat: Die Lage ist verzwickt. Wie soll es weitergehen mit Duisburg? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Wie soll man mit dem Bürgerwillen umgehen? Doch welcher Bürgerwille ist gemeint? Der Oberbürgermeister wurde bei der letzten Kommunalwahl eindeutig wiedergewählt. Sollen die damaligen Verlierer jetzt auf billigem Wege ihre Niederlage ausbügeln dürfen, nur weil die Volksseele hochkocht? "Was hier läuft, ist Parteipolitik," erzählt mir ein befreundeter Ratsherr. "Ist der Oberbürgermeister überhaupt verantwortlich? Trägt nicht die Polizei die Hauptverantwortung," fragt ein anderer. Ein drittre ergänzt: "Letztendlich sind wir alle, die im Rat sitzen, mitverantwortlich. Schließlich haben wir alle der Loveparade zugestimmt."

Die Duisburger Lokalpolitik wird sich jenseits aller Tages- und Parteipolitik neu ordnen und ihre Politikfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Die früher geltende 5-Prozent-Hürde wurde für die Kommunalwahlen abgeschafft. Die Ratssitze werden je nach Wahlergebnis verteilt. Natürlich wird so der Wählerwille genauer im Rat abgebildet.

Die führt zu der Frage, wie eine zielgerichtete Lokalpolitik zugunsten der Menschen gemacht werden kann und soll, wenn es keinen eindeutigen Wahlsieger gibt, sondern sich zwei oder gar mehrere Blöcke gegenüberstehen, die nicht willens und in der Lage sind, einen Konsens herbeizuführen. Läßt man den Populismus regieren und hängt sein Fähnchen in den Wind? Ist die momentane Stärke der einen Volkspartei die Schwäche der anderen Volkspartei? Und: Sind wir mit unseren heutigen Erfahrungen bald wieder bei einer ...-Prozent-Hürde, weil eine angebliche Mehrheit vor "Weimarer Verhältnissen" auf lokaler Ebene warnt?

Dies führt zu der Frage, wer höherwertig ist, der Rat oder der Oberbürgermeister? Erübrigt sich die Frage, weil sie gleichwertig sind? Beide, Oberbürgermeister wie Rat, sind gleichermaßen vom Volk gewählt und damit demokratische legitimiert. Beide haben in der politischen Willensbildung ihre Daseinsberechtigung.

Doch wie soll man damit umgehen, daß ein Oberbürgermeister keine eigene Mehrheit im Rat hat und so sehr leicht vom Rat düpiert werden kann? Ich bin mir nicht sicher, was man von einem solchen Zustand halten soll. Natürlich läßt es sich leicht fordern, daß Oberbürgermeister und Ratsmehrheit aus demselben politischen Lager kommen sollen. Doch was tun, wenn dies nicht der Fall ist? Wählen wir solange, bis eine uns genehme Konstellation eintritt? Soll sich der Oberbürgermeister seine Mehrheit selbst suchen? Oder sind nicht die Parteien selbst aufgefordert, einer Forderung der Bibel nachzukommen, nämlich der Stadt Bestes zu suchen? "Ja, aber was ist denn der Stadt Bestes," kann man nun fragen. Wohlstand für alle. Das friedliche Zusammenleben der Menschen. Ordnung und Sicherheit. Sauberkeit. Wer möchte, kann sicherlich auch noch eigene Punkte hinzufügen. Wie man das alles erreichen kann, darüber kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Was aber nicht sein darf, ist, daß das Machtstreben der Parteien und das Portemonnaie der Damen und Herren Ratsmitglieder im Vordergrund stehen.

Können / dürfen / müssen wir wieder zur Normalität zurückkehren, wie es inzwischen selbst weniger prominente Zeitgenossen fordern? Als das Abwahlverfahren im Rat in Gang gesetzt wird, ist das Medienecho groß. Es erscheint nicht nur - wie gewohnt - die örtliche Tagespresse; das Interesse der überörtlichen Presse ist überwältigend. Ein solches (positives? negatives?) Interesse selbst von privaten Fernsehsendern hat Duisburg schon lange nicht mehr hervorgerufen. Für den normalen Bürger wird längst wieder der normale Alltag eingezogen sein; das politische Duisburg wird jedenfalls noch lange nicht zur Ruhe kommen. Es wird sich zeigen müsen, wie geschickt die politische Handelnden in den vergangenen Wochen agierten und ob nicht mehr Porzellan als nötig zerschlagen wurde.

In der Öffentlichkeit wird immer wieder über die Politikverdrossenheit der Menschen geklagt. Da erscheint es aufden ersten Blick als löblich, daß sich rund 10.000 Duisburger zu Wort meldeten und mit ihrer Unterschrift forderten, daß der Oberbürgermeister abgewählt werden soll. Doch wie geschickt ist dieses Vorgehen? Hätten die Initiatoren dieser Aktion nicht vorher wissen müssen, daß sie an formaljuristischen Hürden scheitern? Hätten sie nicht einen anderen, formaljuristisch korrekten Weg finden können. Auf diese Weise hätte so manche Enttäuschung vermieden werden können...

Autor:

Andreas Rüdig aus Duisburg

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