Merkel in Marxloh - Interview mit Thomas Mielke vom Runden Tisch

Thomas Mielke (Foto) und Peter Bours, Vorstandsmitglieder des Runden Tisches Marxloh, sind Dienstag beim Bürgerdialog mit Kanzlerin Merkel dabei. Foto: privat
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Am kommenden Dienstag, 25. August, kommt Kanzlerin Angela Merkel zum Bürgerdialog nach Marxloh. Einer der geladenen Gesprächspartner ist Thomas Mielke. Der 1. stellvertretende Vorsitzende des Runden Tisches Marxloh ist im Stadtteil aufgewachsen und fest verwurzelt. Wie ist es um das Quartier bestellt? Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden – und wird die Kanzlerin es richten? Ein Gespräch:

LK: Herr Mielke, wie lange leben Sie schon im Stadtteil und warum leben Sie hier immer noch?

Mielke: Ich bin in Marxloh aufgewachsen, hier leben Menschen, die ich nicht missen möchte. Marxloh war und ist meine Heimat – auch wenn die Situation in den letzten Jahren alles andere als besser geworden ist. Die Abwärtsspirale dreht sich. Dennoch möchte ich weiter daran mitwirken, hier wieder etwas auf die Beine zu stellen.

Was meinen Sie mit Abwärtsspirale?

Nehmen wir allein die Geschäftswelt. Vor einem Jahr hat sich der letzte Nahversorger aus dem Stadtteil verabschiedet. Mittlerweile muss man für die elementarsten Dinge nach Hamborn fahren. Das Müllproblem muss man kaum noch erwähnen, das findet sich jeden Tag in den Medien. Die Entsorgungsbetriebe machen hier einen guten Job. Der Müllberge, die in einigen Straßen besonders seit gut einem Jahr produziert werden, können sie aber gar nicht mehr Herr werden. Ganz schlimm: Das Sicherheitsgefühl der Menschen ist im Keller. Einige Straße werden mittlerweile ganz gemieden.

Würden Sie auch von einer No-go-Area sprechen?

Wenn man das so definiert, wie es die Polizeigewerkschaft getan hat, ja. Denn ein einzelner Polizist, der hier Streife läuft, geht definitiv ein Sicherheitsrisiko ein. Der Respekt vor der Ordnungsmacht fehlt vielen Bevölkerungsgruppen vollständig. Besonders ältere Menschen haben Angst vor aggressiven Bettlern und Pöbeleien. Eine alte Dame wohnt seit Jahrzehnten mit ihrem heute pflegebedürftigen Mann in Marxloh, um sie herum leben mittlerweile nur noch Armutszuwanderer. Sie kann nicht mal mehr ihre Fenster öffnen, weil sich davor der Müll türmt. Die Hausverwaltung hat ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, man sei an dem Mietverhältnis nicht mehr interessiert, die Wohnung könne man lukrativer vermieten. Aber die Dame bleibt. Die Hagedornstraße wird bei gutem Wetter gemieden, weil dann dort kein Durchkommen ist und man auch körperlich angegangen wird. An Trinkhallen stehen Kinder hinter einem, die sofort die Hand auf das Wechselgeld legen. Und das sind nur einige Beispiele. Seit kurzem haben wir ja verstärkte Polizeipräsenz im Stadtteil, und das ist das einzige, was wirkt. Ich würde mir wünschen, dass das auch in Zukunft so bleibt und keine populärpolitische Eintagsfliege ist.

Welche Maßnahmen könnten den weiteren Verfall des Stadtteils aufhalten?

An erster Stelle die Einbeziehung der Bürger vor Ort. Diese ganzen Vorzeigeprojekte wie etwa die „Piazza“ sind nicht nachhaltig. Schauen Sie sich an, wie das da mittlerweile aussieht. Es muss hier sicherer und sauberer werden, damit der Standort für Investoren wieder attraktiv wird. Wenn sich die Institutionen und Bürger besser vernetzen würden, könnte man mit kleinen, aber effektiven Schritten mehr bewirken als mit Pseudo-Projekten.

Was erhoffen Sie sich vom Besuch der Kanzlerin?

Ich sehe dieser Begegnung so unvoreingenommen wie möglich entgegen. Wir wissen ja noch gar nicht, wie frei wir sprechen dürfen, oder ob Fragen vorformuliert werden müssen. Positiv finde ich aber, dass ich mir eine Begleitung meiner Wahl aussuchen durfte. Ich nehme einen türkischen Freund mit, der wie ich in Marxloh aufgewachsen und mit den Problemen bestens vertraut ist. Grundsätzlich finde ich gut, dass man uns die Gelegenheit zum Gespräch bietet, das Thema Marxloh aufgreift. Natürlich hoffe ich sehr, dass diesem Dialog positive Konsequenzen folgen und er sich nicht als reine Show-Veranstaltung entpuppt. Und ich hoffe, die Stadt hübscht die Stationen des Kanzlerbesuchs nicht vorher auf. Frau Merkel darf keinen geschönten Eindruck von den Zuständen hier bekommen – so würde man eine große Chance fatal verspielen.

Runder Tisch Marxloh
 Der Runde Tisch Marxloh e.V. entstand aus dem Zusammenschluss von vier bürgerschaftlich orientierten Vereinen. Ziel der Kräftebündelung war es, stadtteilbezogene Themen lösungsorientiert zu bearbeiten. Neben Festen und Stadtteilangeboten bietet er ein reichhaltiges kostenloses Programm für Kinder und Jugendliche an.

Bürgerdialog
 Die Bundesregierung möchte mit den Bürgern einen Dialog über ihr Verständnis von Lebensqualität führen, um sich künftig konkreter an dem zu orientieren, was den Menschen wichtig ist. Der Bürgerdialog findet bundesweit statt. Eine Station von Kanzlerin Merkel ist am kommenden Dienstag, 25. August, der Stadtteil Marxloh.

KOMMENTAR

Wie lebt Marxloh?
„Gut leben in Deutschland“ heißt der Bürgerdialog, den die Bundesregierung mit den Bürgern in der ganzen Republik über deren Verständnis von Lebensqualität führen möchte. In dieser Angelegenheit besucht Bundeskanzlerin Merkel am kommenden Dienstag Marxloh, will sich persönlich ein Bild vom „Problemstadtteil“ und den Menschen, die in ihm leben, machen. Der Runde Tisch Marxloh gehört mit zwei Mitgliedern zu den geladenen Gästen. Thomas Mielke, 1. stellvertretender Vorsitzender, will bei dieser Gelegenheit Tacheles reden. Darüber, dass Lebensqualität und Sicherheitsgefühl hier in den letzten Jahren in dem Maße gesunken sind, in dem die Probleme zugenommen haben. Darüber, dass sich die Bewohner im Stich gelassen fühlen. Darüber, dass das bürgerschaftliche Engagement im Quartier groß, der Handlungsspielraum jedoch gering ist, wenn keine Unterstützung von staatlicher Seite erfolgt. Und er hofft, dass die Stadt den Stadtteil nicht noch kurz vor knapp auf Hochglanz bringt, sondern so belässt, wie er seinen Bürgern fernab von Kameras und Sicherheitskräften tagtäglich zugemutet wird. Dass der Kanzlerin kein Potemkinsches Dorf dargeboten, sondern ein realistischer Blick auf Marxloh ermöglicht wird. Es wäre wünschenswert, könnten die Marxloher im Anschluss tatsächlich einmal mit Aktionen rechnen – und nicht nur mit blindem Aktionismus.

Autor:

Claudia Brück aus Düsseldorf

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