"Etablierten Parteien fehlt der Mut" - Wahlexperte Korte im Interview (mit Video)
Kurz vor der Kommunalwahl bescheinigt der renommierte Politikwissenschaftler Professor Dr. Karl-Rudolf Korte im Interview mit unserem Verlag den etablierten Parteien deutliche Defizite. Die Mängel der Mitte-Parteien erhöhten die Chancen für unabhängige Wählerbündnisse und Rechtspopulisten.
Herr Professor Korte, normalerweise spielen Bundes- und Landesthemen bei Kommunalwahlen ja eine eher untergeordnete Rolle. In NRW sind aber einige rot-grüne Projekte wie „Kommunalsoli“, Inklusion und Energiegewinnung teils sehr umstritten. Wird am 25. Mai über solche Themen mit abgestimmt?
Ja, denn diese Themen haben Auswirkungen für jede Familie, das alles ist auf kommunaler Ebene spürbar. Am Wahltag ist es schwer für die Bürger zu differenzieren, wer für die jeweiligen Probleme verantwortlich ist: Bund, Land oder Kommune. Tatsächlich ist die Landespolitik derzeit sehr kleinteilig auf der kommunalen Ebene zu beobachten. Deshalb spielt das bei der Abstimmung eine Rolle.
Nachdem die FDP im Bund glatt abgestürzt ist, sieht deren NRW-Chef Christian Lindner die Kommunalwahl als ersten Test auf dem Weg zur Erneuerung an. 2009 gab es mit 9,2 Prozent noch unerwartet starken Zuspruch für die Freidemokraten. Womit ist dieses Mal zu rechnen – auch angesichts der starken Konkurrenz durch die AfD?
Dass die FDP aus der Zentrale heraus die Kommunalwahl als wichtiger ansieht als die Europawahl, steht außer Frage. Wer kommunal gut verankert ist, kann auch bei Landes- und Bundeswahlen darauf aufbauen und bleibt kampagnenfähig. Das ist das Wurzelwerk einer Partei. Andererseits war die FDP nie eine große Kommunalpartei. Die Chancen sind also eher gering.
Bei den Kommunalwahlen 2009 gab es mit knapp 59 Prozent einen neuen Tiefstand in der Wahlbeteiligung. Wie erklären Sie dieses Phänomen?
Der Typus des Nichtwählers hat verschiedene Hintergründe. Das kann auch Zufriedenheit sein, Zufriedenheit mit dem politischen Personal. Das kann aber auch Unzufriedenheit sein, weil man glaubt, man könne mit der eigenen Stimme nicht viel bewirken. Und es gibt auch eine Topografie der Städte, was das Wahlverhalten anbelangt, da unterscheiden sich im Ruhrgebiet vor allen Dingen Nord und Süd. Dort, wo Einkommensschwache und Bildungsferne leben kann man davon ausgehen, dass die Wahlbeteiligung viel geringer ist als bei Einkommens- und Bildungsstarken. Leute, die sich abgehängt fühlen, wollen nicht wählen gehen und lassen sich auch nicht dazu bewegen.
Durch die Zusammenlegung der Wahlen für Bürgermeister und Räte bis 2020 will Rot-Grün auch die Wahlbeteiligung erhöhen. Wie aussichtsreich ist das angesichts der Tatsache, dass die Beteiligung in NRW seit 1975 (mit einem Ausreißer in 1994) immer weiter gesunken ist?
Das macht Sinn, denn wenn zwei Wahlen zusammenfallen, ist der Mobilisierungsgrad grundsätzlich höher. Die Zusammenlegung wird die Beteiligung mit Sicherheit nach vorne bringen.
Warum haben sich dann jetzt neben anderen zum Beispiel mit Ottilie Scholz (Bochum) und Reinhard Paß (Essen) zwei sozialdemokratische Bürgermeister dem Willen ihrer Parteien verweigert, den Weg für vorgezogene Neuwahlen frei zu machen?
Die haben sich nicht verweigert, sondern nehmen den Wählerauftrag ernst. Sie sind für eine bestimmte Legislaturperiode gewählt worden und haben ihre Arbeitszeit darauf ausgerichtet. Das ist also projektgetrieben, dass sie vorhaben, Politik bis zu einer bestimmten Zeit zum Abschluss zu bringen. Und dann hört man nicht einfach vorher auf, nur weil sich die Gesetze ändern. Das finde ich gar nicht negativ, sondern wohlüberlegt.
Erkennbar laufen den Großparteien die Wähler davon. Dafür nimmt das Interesse an unterschiedlichsten kommunalen Wählervereinigungen zu. Am 25. Mai treten die etablierten Parteien in manchen Städten gegen etliche solcher Bündnisse an. Wie stehen die Erfolgschancen für die Alternativen und was bedeutet ihr vermehrter Einzug in die Stadtparlamente für die Kommunalpolitik?
Zurzeit gewinnt man den Eindruck, dass sich in den Kommunen Rechtspopulisten wieder deutlich stärker zu Wort melden. Das gilt vor allem für Städte wie Dortmund und Duisburg, in denen das Thema „Armutszuwanderung“ eine Rolle spielt. Ist ein Rechtsruck erkennbar?
Autor:Martin Dubois aus Essen-Süd |
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