Stadtteilsanierung
Bruckhausen, ein Lied auf Beton
Wartet man an der Haltestelle Matenastraße in Bruckhausen auf der SEV-Bus 901, kann man an einer soliden Betonmauer das mehr als hundertjährige Heimatgedicht des Lehrers Schüßler lesen, in dem es heißt:
Dort, wo des Beeckbachs Wasser blinkt, wo spiegelhell und rein
die Emscher in die Arme sinkt dem alten Vater Rhein.
Dort, wo der Mann so unverzagt die hohen Halden baut,
dort liegt, mit Stolz sei es gesagt, mein Bruckhausen so traut.
72 Millionen Euro, so ist in einem „Spiegel-Online"-Artikel von 2008 zu lesen, waren für den Bau des Grüngürtels Duisburg-Nord veranschlagt. Ein kleiner Teil davon ist in die kunstvolle Gestaltung der Betonmauer geflossen, die heute das, was von Bruckhausen übrig ist, vor den Augen Vorbeifahrender schützen soll. Oder umgekehrt. Denn das, was sich hinter dieser Mauer verbirgt, entspricht in keinem Fall mehr dem, was der Lehrer Schüßler 1904 in seinem Gedicht beschrieb, welches man mit viel Aufwand nebst alten Bildern von Bruckhausen in die Mauer eingefräst hat. Erst recht nicht hat der traurige Rest einer alten Industriesiedlung hinter dem Grüngürtel auch nur ansatzweise mit dem zu tun, was laut „Spiegel" die Stadtteilmanagerin Edeltraud Klabuhn verkündete. Von einem neuen Ortskern war da die Rede, von vielen Geschäften, von einem Stadtteil, wo die Menschen wieder gerne wohnen. Was einem entgegenkommt, wenn man Bruckhausen heute durch die Öffnungen in der Mauer betritt, nimmt sich entschieden nüchterner aus. Eine große, leidlich gepflegte Rasenfläche, ein paar einsame Bäumchen, viel sinnfrei aufgestelltes Baugezäun, dahinter das, was der Öffentlichkeit einmal als einer der Gründe für die Abrissorgie verkauft wurde, bei der Hunderte Häuser Bruckhausens ausradiert wurden: die Tristesse von Leerstand und jüngst erst zwangsgeräumten Häusern.
Es leben noch Menschen hier. Einzelne, manche in kleinen Grüppchen, kommen einem entgegen, durchquert man die einsamen Schluchten der verbliebenen Häuserzeilen. Wo einmal die legendäre Kneipe „Café Schwarzer Diamant" war, wo es Läden, gediegene Villen, Theater und Kinos gegeben hat, herrschen heute Müdigkeit und Stille. Lediglich die Fahrgeräusche der Schienenersatzbusse und einzelner Pkw, die auf der Kaiser-Wilhelm-Straße verkehren, drängen in die Siedlung sowie hörbare Produktionsaktivitäten des ThyssenKrupp-Werkes gleich nebenan. Nicht zuletzt um der Interessen des Industrieriesens Willen ist vor vielen Jahren das Sanierungskonzept „Grüngürtel Duisburg-Nord" angegangen worden. „Umweltgutachten hätten ergeben", schreibt „Spiegel-Online", „dass die Emissionen aus den Schornsteinen von ThyssenKrupp um zehn Prozent eingedämmt werden könnten, wenn 15 Meter hohe Bäume auf dem Wall stünden, die das ganze Jahr über grün wären." Der Bericht läßt eine Bewohnerin des Ortes dagegenhalten: „So etwas ist hier gar nicht möglich. Die einzige Möglichkeit, die Emissionen einzudämmen, ist, dass ThyssenKrupp moderne Filter in seine Anlagen einbaut." Überprüfbar ist das alles nicht: Da sind keine immergrünen, 15 Meter hohen Bäume auf den Wällen. Überprüfbar ist aber wohl, was seit den Abrissmaßnahmen und seit den Tagen Schüßlers aus Bruckhausen geworden ist.
In seinem Poem schreibt der Lehrer anrührend und nicht ohne ein Quäntchen Ironie von der Sprachen- und Völkervielfalt seines Kiezes, von der Prägung der Menschen durch die Industriearbeit, vom unablässig-geräuschvollen Wirken der Hochöfen, er vermittelt mit seinem Gedicht die große Liebe zu der Heimat, die auch oder gerade eine Arbeitersiedlung in ihren Bewohnern wecken kann.
Bruckhausen, Perl´ am Niederrhein, des deutschen Landes Zier,
mit deinem blassen Sonnenschein, mit deinem Sprachgewirr,
mit deinem Leben voller Kraft, mit deiner Industrie,
die rastlos täglich Großes schafft, nein, dich verlaß ich nie!
Auf der Mauer vor den Trümmern des Ortes, vis-à-vis des verrammelten Matenatunnel-Denkmals, lesen sich solche Bezeugungen von Heimatliebe aus längst vergangener Zeit sehr befremdlich. Es mutet im Höchstmaß zynisch an, dieses Gedicht mitsamt den Bildern des alten Bruckhausen im Betonsichtschutz des Grüngürtels vorzufinden. Das, was jüngst erst durch behördliche Willkür zerstört wurde, im Nachhinein auf diese Weise preisen und verherrlichen zu lassen. Was will man erreichen mit der mutwilligen Zerstörung von Kulturgütern, wenn von vornherein klar ist: „Der Grüngürtel wird weder den Blick auf die Hochöfen verdecken, noch wird er die Lärmbelästigung in Bruckhausen verbessern können, das hat die Voruntersuchung ergeben" („Spiegel"). Was will man bewirken mit dem großflächigen Zitat eines Heimatdichters, das lediglich einen Blick erlaubt auf eine Heimat, die es nicht mehr gibt? Man könnte als Antwort der Idee verfallen, da spräche das Gewissen der Verantwortlichen. Wenn es das je gab.
Jens E. Gelbhaar 2019
Autor:Jens E. Gelbhaar aus Duisburg |
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