Migrationsforscher auf der Salvatorkanzel
Angst tötet die Empathie

Der renommierte Migrationsforscher Gerald Knaus hielt eine bewegende, zukunftsorientierte Kanzelrede in der Duisburger Salvatorkirche.
Foto: Bartosz Galus
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  • Der renommierte Migrationsforscher Gerald Knaus hielt eine bewegende, zukunftsorientierte Kanzelrede in der Duisburger Salvatorkirche.
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Gerald Knaus, der renommierte Migrationsforscher, Sozialwissenschaftler und Vorsitzende der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) hielt am Sonntag eine Kanzelrede in der Duisburger Salvatorkirche zum Thema „Welche Grenzen brauchen wir?“ und holte seine Zuhörer irgendwo zwischen Empathie und Angst ab. „Eine humane Migrations- und Asylpolitik ist möglich“, versicherte er.

Begrüßt wurde er zuvor von Superintendent Dr. Christoph Urban. „Die Bibel ist voll von Migrationsgeschichten und Erzählungen darüber, wie die Angekommenen behandelt werden und wie sie behandelt werden sollten“, sagte Urban und fügte hinzu: „Die jüngst immer lauter werdenden Forderungen nach Abschottung gehen von der irrigen Annahme aus, die Probleme ließen sich dadurch lösen, dass man einfach nicht mehr hinschaut.“

Knaus riss auf der Salvatorkanzel kurz seine persönliche Migrationsgeschichte an. Seine Großmutter stamme aus der Sowjetunion und sei in Berlin erschossen worden, kurz nachdem seine Mutter 1944 zur Welt gekommen sei. Die Mutter wurde später in Österreich adoptiert, so Knaus, der inzwischen wieder in Berlin lebt. Allmählich unsichtbar geworden seien die 16 000 Kilometer Grenzen in Schengen-Raum über die Jahre, erinnerte er seine Zuhörer.

"Heute sind die EU-
Grenzen inhuman"

„Heute sind die EU-Grenzen inhuman!“, setzte er dagegen. Eine humane Grenze sei eine Grenze an der niemand ohne eine Prüfung seiner Schutzbedürftigkeit zurückgestoßen werde. Aber in den letzten Jahren seien an den EU-Außengrenzen fast 30 000 Menschen zu Tode gekommen. „Der Zustand der Grenzen ist ein Skandal, wenn Asylsuchende auf der gefährlichen Fluchtrute ertrinken, in behelfsmäßigen Lagern vegetieren und ohne Verfahren zurückgewiesen werden“, führte Knaus aus.

Nun sei Deutschland ohne EU- Außengrenze darauf angewiesen, andere Staaten von einer humanen Flüchtlingspolitik zu überzeugen. Er räumte ein, dass die EU nur sehr beschränkte Möglichkeiten hat, EU-Recht gegen einzelne Staaten durchzusetzen.

Schnell Mehrheiten
zusammenbringen

Knaus verwies auf die von ihm mit ausgehandelte EU-Türkei-Erklärung von 2016. Damals fiel die Zahl der Toten in der Ägäis von 1100 in den 12 Monaten vor der Erklärung auf 100 in den 12 Monaten danach. Von einer erfolgreichen Migrationsdiplomatie, von der Kooperation mit sicheren Drittstaaten in die Rückführungen möglich sind, hängt es ab, ob eine EU weite humane Asylpolitik Chancen hat, Mehrheiten zusammenzubringen.

Ein gelungenes Beispiel sah Knaus in der Migrationspolitik von Kanada, dass seit 1979 jährlich ein Kontingent von 80 000 Menschen aufnimmt, die legal einreisen können. „Da kommen dann ganze Familien mit Kindern und Alten, nicht nur die jungen Männer, die es auf den gefährlichen, illegalen Ruten oft allein versuchen“, spielte Knaus auf die Bevölkerungsgruppe an, die in dem Ruf steht, vermehrt Probleme in ihrem Einwanderungsland zu verursachen.

Legale Möglichkeiten
zur Einwanderung

„Es geht nicht, ohne dass wir kontrolliert, legale Möglichkeiten zur Einwanderung schaffen“, stellte Knaus klar. Man müsse den Österreichern und den Deutschen dazu gratulieren, dass sie im Jahr 2022 gemeinsam an der Spitze aller Staaten bei der Vergabe von Schutz lagen, befand Knaus.

Er erinnerte an das Elend der Verfolgten des NS-Regimes, die an der Schweizer Grenze ohne Anhörung massenhaft zurückgewiesen wurden. Diese Erfahrungen führten zur Flüchtlingskonvention von 1949 mit dem Non-Refoulement-Gebot, dem Schutz vor Zurückweisung.

„Was wir brauchen, sind Strategien, um die Angst zu überwinden, die die Empathie umbringt“, forderte Knaus.
Text: Sabine Merkelt-Rahm

Hintergrund

>Das Format „Kanzelreden“ hat der Evangelische Kirchenkreis Duisburg anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der 1. Reformierten Generalsynode entwickelt, die vom 7. bis 11. September 1610 in der Salvatorkirche tagte. Diese Synode hat nicht nur bleibend die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland geprägt, sondern hat auch erstmals in der Geschichte der Kirchen Nicht-Theologen auf Augenhöhe und gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse einbezogen.

> Dieser Impuls wurde in den Kanzelreden aufgenommen, wo gezielt Nicht-Theologen gebeten werden, zu relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen das Wort zu ergreifen. Dies haben seit 2010 u. a. Charlotte Knobloch, Dr. Jürgen Schmude, Fritz Pleitgen, Manni Breuckmann, Prof. Dr. Udo Di Fabio, Kai Magnus Sting, Prof. Dr. Norbert Lammert, Dr. Gregor Gysi, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Mark Benecke, Klimaforscher Dr. Mojib Latif und zuletzt Gerald Knaus getan.

Der renommierte Migrationsforscher Gerald Knaus hielt eine bewegende, zukunftsorientierte Kanzelrede in der Duisburger Salvatorkirche.
Foto: Bartosz Galus
Lebhafte Diskussionen mit Gerald Knaus gab es auch nach seiner Kanzelrede. Auch über sein erfolgreiches Buch "Welche Grenzen brauchen wir?".
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Autor:

Evangelischer Kirchenkreis Duisburg aus Duisburg

Am Burgacker 14-16, 44319 Duisburg
+49 203 29513501
info@kirche-duisburg.de
Webseite von Evangelischer Kirchenkreis Duisburg
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