Wölfe der Flüsse

Riesenotter (Pteronura brasiliensis)
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Riesenotter (Pteronura brasiliensis)

"Guck mal, da sind Seerobben!" Diesen Ausruf hört man gelegentlich von kleineren Kindern, wenn sie sich dem Riesenotter-Gehege vorm Eingang des Aquariums nähern und des regen Treibens im Wasserbecken gewahr werden.

Wenn man einmal davon absieht, dass es eine Tierart oder -gruppe mit Namen "Seerobbe" überhauptnicht gibt, mag man ihnen diese spontane Verwechslung nicht verdenken. Denn zum einen sind die wie die Riesenotter zur Marderfamilie (Mustelidae) gehörenden heimischen Fischotterin unserer Industrie- und Agrarlandschaft nahezu verschwunden, so dass es wenig wundert, wenn unsere Kinder mit ihrem typischen Erscheinungsbild - langer, schlanker Körper, kurze Beine mit schwimmhautversehenen Pfoten, langer, dünner Schwanz - weniger vertraut sind, als mit dem medienpäsenten und stofftieraubglichen "Robbi". Zum anderen lässt die namensgebende Größe der Riesenotter, bis zu 2 Metern Länge, eher an die entfernt verwandten Wasserraubtiere denken.

Wölfe der Flüsse

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Riesenotter liegt, wie das Artepitheton brasiliensis schon andeutet, in Südamerika, jedoch nicht ausschließlich im brasilianischen Amazonasgebiet, sonder auch in den Flussystemen vom Rio Orinoko, Rio de la Plata sowie im Schwemmland des Pantanals. Anders als unsere heimischen Fischotter sind Riesenotter als tagaktive Jäger in Gruppen unterwegs, was ihnen den Namen Lobos de Rios, Wölfe der Flüsse, eingebracht hat. Auf ihrem Speiseplan stehen dabei neben den großen Welsen, Salmler und Barsche auch Piranhas, Wasservögel und kleinere Säugetiere. Ihre langen Eckzähne helfen ihnen dabei, auch die harten Knochenschilde von Panzerwelsenzu knacken.

Lebensraum verschwindet für Steaks und Smartphones

Wie viele Arten der südamerikanischen Tieflandregenwälder sind auch die Riesenotter heute hauptsächlich durch menschliche Eingriffe in ihren Lebensraum bedroht. Die Rodung der Wälder und die Trockenlegung der Feuchtgebiete dienen mitlerweile vor allem den Gewinn von Flächen für die Rinderzucht und den Anbau von Futtersoja, das für die Viezucht auch nach Europa exportiert wird. Als weiteres großes Problem tritt die fortschreitende Erschließung des Amazonasbeckens als Abbaugebiet für Edelmetalle und fossile Brennstoffe auf. Insbesonder der Goldbergbau, heute mehr noch als für Schmuck für die Elektronikindustrie von Bedeutung, führt zum Eintrag von Quecksilber in die Gewässer und damit in die Nahrungskette. Entziehung der Nahrungsgrundlage durch Überfischung trägt, ähnlich wie bei meeresbewohnenden Fischfressern, ebenfalls zur Bedrohung der Art bei.
Entsprechend stuft die IUCN den Riesenotter als endangered ein, mit negativer Tendenz.

Großfamilie mit Eigenheim

Eine Riesenotter-Gruppe besteht aus einem Elternpaar und den Jungtieren der letzten zwei oder drei Würfe. Mit durchschnittlich zwei Jungtieren pro Wurf kann diese Familie aus bis zu acht Tiere bestehen. Als ihr Revier besetzen sie einen Gewässerabschnitt mit flache Uferzone naher eine Futterstelle, die sie von Unterholz befreien. Unter Baumstämmen oder in der Uferböschung graben sie geschützte Baue, in denen die Jungen zur Welt kommen. Am Rande des Reviers wird eine Latrine angelegt.

Diesen Gewohnheiten trägt das 2008 neu gestaltete und um eine vergrößerte Landfläche erweiterte Riesenotter-Gehege an der Vorderseite von Aquarium und RioNegro im Zoo Duisburg Rechnung. Das neu eingezoge Paar Armana (*Dortmund) und Maldito (*Hamburg) fand so nicht nur eine Uferlandschaft mit natürlichem Rindenmulchboden, Felsen und Baumstämme zum Klettern und Sonnenbaden, sowie einem Wasserfall, sondern auch eine Sandzone, Grasflächen und Unterholz, wo die Bewohner sich die obligatorische Gemeinschaftstoilette eingerichtet haben. In den Becken der ehemaligen Tonina-Station im Aquarium wurden zwecks Familiengründung zudem Wurfhöhlen sowie ein Innengehege für die kalte Jahreszeit eingerichtet.

Die Besucher können das ausgeprägte Sozialverhalten der mitlerweile zur Großfamilie herangewachsenen Gruppe, spielerische Rangeleien, gemeinsames Ruhen, gegenseitige Fellpflege, rabiat anmutende Schwimmlektionen für Nachwuchs, durch große Scheiben auch unter Wasser beobachten - vorausgesetzt, die Tiere kommen nahe genug an die Scheibe heran, denn auch das Wasser ist naturbelassen, und das bedeutet naturgemäß eben nicht badewannenklar, sondern teichtrübe.

Wachsende Population in Europa

1975 waren der Zoo Duisburg und der Tierpark Hagenbeck in Hamburg die einzigen Halter von Riesenotter europaweit. In Hamburg gelang 1990 auch die erste erfolgreiche Aufzucht außerhalb Südamerikas. Vater war damals ein Duisburger Männchen. In den 90ern wurde in Dortmund, heute EEP-Zuchtbuchführer, und im britischen Chapel-en-le-Frith mit Hamburger Nachzuchten die Haltung begonnen. Regelmäßig kamen in Dortmund und Hamburg Jungtiere zur Welt, die erfolgreiche Aufzucht gelangen jedoch nur sporadisch - bis zu Beginn der 2000er Jahre, als Nachzuchten aus südamerikanischen Zoos den europäischen Genpool auffrischten und neue Anlagen zugleich die Lebensbedingungen verbesserten.
So sorgte auch das neue Paar im Duisburger Zoo bereits ein Jahr nach seinem Einzug, im Dezember 2009, für den ersten Riesenotter-Nachwuchs am Orte. Sechs weitere Würfe haben seither in Duisburg das Licht der Welt erblickt, nur einer davon wurde nicht aufgezogen.

Aus den nunmehr erfolgreichen Nachzuchten aus Hamburg, Dortmund und Duisburg konnten in den vergangenen Jahren nicht nur eine weitere wachsende Riesenotter-Familie in Deutschland in der Gondwanaland-Tropenhalle des Zoos Leipzig (2009) gegründet werden, sondern auch Familien- und Jungesellengruppen in Frankreich (2007, 2013), Schweden (2011), Dänemark (2012), Spanien (2012), Tschechien (2012), Belgien (2014) und Großbritannien (2010, 2010, 2011), so dass der europaweite Bestand an Riesenottern innerhalb weniger Jahre auf über 60 Individuen angewachsen ist.

Beiträge dieser Reihe:

Teil 1: Kängurus in den Bäumen
Teil 2: Wölfe der Flüsse
Teil 3: Der Tausch, den niemand merkte

Autor:

Daniela Breuer aus Duisburg

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