Winterlaufserie Teil 1 - schön war das.
10 Kilometer - So kurz und doch ewig lang
Die Relativitätstheorie eines Läufers
Ein 5-0 Sieg im Fußball hört sich immer gut an. Damit kann der Sieger protzen. Auch wenn der Sieg nur gegen ein paar untalentierte Sandsäcke oder vollblinde Bewegungskünstler erzielt wurde, all das lässt sich galant verschweigen.
Wen juckt’s? Das Ergebnis ist absolut und triumphal!
Dem Langstreckenläufer fällt es hingegen nicht so leicht jedem sportlichen Laien von seinen Großtaten zu überzeugen.
Wow - ich hab die 10 tatsächlich in 49:34 gepackt, ist das nicht irre? Dieser Triumph des Willens, die Dimension dieser Energieleistung: gegen alle Widrigkeiten durch wochenlanges Training bei Wind und Wetter, in dunkler Nacht, gegen ungezogene Hunde aller Rassen und Größen gekämpft, nur um am Ende unter 0 Grad über vereiste Waldstolperpfade in unter 50 Minuten 10 Kilometer zu rennen - die totale Verkörperung des olympischen Geistes!
Toll. All dies wird aber schnell relativiert durch die dezente Rückfrage: „Wievielter biste denn geworden, erster, oder etwa nur Zweiter?”
Es ist kaum in Worte zu fassen: ich als Gelegenheitsraucher, bekennender Biertrinker TV- und Sofasportler habe über 2.000 absolute Superlaufcracks aus halb Deutschland locker - Unsinn, das Gegenteil davon -
irgendwie genötigt, die Ziellinie nach mir zu kreuzen. Das ist auch klasse: die Zeit wird unbestechlich vom Computer erfasst. Jeder Läufer trägt den unvermeidlich „Championchip”. So kann auch die genaue Zeit gemessen werden, zwischen tatsächlichem Start und dem eigenen Einlauf. Das ist nicht unwichtig, weil man bei tausenden Läufern erst ewig nach dem ersten Starter wirklich mal an die Startlinie kommt.
So wird ein furchtbares Gedränge um die vorderen Startplätze vermieden. Es ist ja frustrierend genug, erst eine Unendlichkeit hinter der Spitze zu laufen. Den laufenden Naturwundern aber noch einen Riesenvorsprung zu geben, das geht gar nicht.
So entsteht beim Start und Ziel für jeden Läufer ein Pfeifton, was zu einer Riesenpiepkaskade führt. Manche ganz Schlaue bleiben dann auf der Ziellinie stehen, um diesen Moment zu genießen. Die nachfolgenden Hundertschaften müssen aber ihren Chip darüberwuchten, der sich immer am Schuh befindet, ein Hechtsprung nutzt also nicht viel. So komme ich meist grätschend ins Ziel. Verletzungen der Vorderleute muss man in Kauf nehmen, sind aber eh deren Schuld. Reiß ich mir den **** auf, um dann schlangestehend entscheidende Sekunden zu verplempern?
Die reine Höflichkeit hat es schon geboten, den rund 1.200 sicherlich gedopten Übermenschen vor mir den Vortritt zu lassen.
Das war das Ziel des unbeschreiblichen Schweißverlustes: Ankunft in der vorderen Hälfte aller Läufer. Was das bringen soll? Immerhin gibt es keine Siegesprämie noch eine kleine billige Medaille. An keine Qualifikation für Olympische Spiele, nicht einmal die unterklassigsten Regional- oder Stadtteilmeisterschaften ist nur im Entferntesten zu denken. Trotzdem kämpfe ich verbissen bis zum Anschlag um jeden Meter und jedes - scheinbar - unbedeutende Sekündchen. Unterwegs kann ich gelegentlich Kilometerschilder wahrnehmen, an denen ich meine Durchgangszeit stoppen kann. Auf welche Endzeit - ein sehr passender Begriff übrigens - wird es heute hinaus laufen? Die Spannung steigt. Spätestens nach rund 2/3 der Strecke kann man sich ausrechnen, wie gut es heute geht.
Das Produkt unzähliger Trainingskilometer, neuer Ernährungsweisen, unterstützender Gymnastik und der besten und unbezahlbarsten aller Laufschuhe wird heute errechnet. Der unbedeutende Faktor der selbstverachtenden Tempobolzerei an der Spitze des möglichen Pulses und der maximalen Lungenkapazität und Schmerzunempfindlichkeit ist ja eh immer ähnlich, wenn nicht gleich.
Die Taktik kann nur lauten: so schnell, wie es geht, ohne zusammenzuklappen. Der Kollaps ist erst kurz hinter der Ziellinie gefragt. Dann aber bestimmt. Nur bloß nicht zu entspannt ins Ziel einrollen. Sollten da tatsächlich, gegen jede Chance, noch überschüssige Kräfte im Körper versteckt lauern, werden die ganz sicher im etwas zu früh angezogenen Endspurt verbrannt. Nach all der Schinderei will niemand aber auch nur einen Millimeter verschenken.
Sollte diese merkwürdige Szenerie mal zufälligerweise von einem außerirdischen Unsportler beobachtet werden, was würde der wohl denken?
Könnte er glauben, dass diese gequälten Gesichter ohne äußeren Zwang entstehen? Was soll das denn für eine Spezies sein, die in ihrer Freizeit nichts Besseres zu tun hat, als sich das Hirn rauszurennen? Die sind komisch, ganz sicher gefährlich. Ich hab Angst.
Nur weg von diesem Planeten!
Das ist es: keine Medaille, kein schöner Anblick, aber doch so viel. Nicht nur die Überwindung, nein, es ist die Kreuzigung des vielbesungenen und gefürchteten Schweinehundes.
Das ist nicht nur relativ viel, sondern eine absolute Größe.
Hurra, und in 4 Wochen startet der Lauf über die unendlichen 15 Kilometer. Ich freue mich schon.
Aufs Ziel!
Na schön, ich gebs zu: dieser Bericht ist schon ein paar Jahre alt. Mittlerweile habe ich die „Kleine Serie“ (5,5 und 10KM) für mich entdeckt, 5 KM tuns auch aber nicht so weh. 24:15, eine geile Zeit, ich freu mich auch über Platz 265.
Autor:Peter Neppl aus Duisburg |
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