Migrantinnen in Marxloh – Bürgerstiftung Duisburg stellt Gülperi Karas Studie zur ersten Generation vor
Stadtteil-Historikerin gibt Frauen der erste Stunde eine Stimme
In einer Studie zur Ruhrgebiets Aktion „Stadtteil-Historiker“ der GLS Treuhand stellte die Bürgerstiftung Duisburg, welche das Projekt auf Duisburger Gebiet begleitet, die Studie von Gülperi Kara vor, die das Leben der ersten Generation türkischer Migrantinnen der alevitischen Gemeinde im Stadtteil Marxloh beleuchtet.
„Heimat“, ein Begriff, der oft mit dem Ort verbunden wird, in dem man geboren ist. Das ist bei vielen der ersten nach Deutschland gekommenen türkischen Gastarbeiter die Region Anatolien im Osten der Türkei. Sie kamen um die Jahrzehntwende der 60er/70er in den „Goldenen Westen“, um hier für eine gewisse Zeit zu arbeiten und nach ein paar Jahren wieder zurück in ihre Heimat zu gehen. So war der Plan.
Wie so oft, sah die Realität allerdings anders aus und die meisten von ihnen haben hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden. Die Männer arbeiteten auf den Zechen oder in den Stahlwerken.
Aber sie waren meist nicht allein nach Deutschland gekommen, sondern wurden von ihren Frauen und Kindern begleitet oder ließen diese nachkommen, nachdem sie für eine sichere Existenzgrundlage gesorgt hatten.
Wenig Bezug zur Türkei
Gülperi Kara war eine von ihnen. Auch sie folgte 1974 als Achtjährige mit ihrer Familie dem Vater, der bei Krupp arbeitete und bereits ein kleines Häuschen für sie eingerichtet hatte. In der Türkei hatte sie bereits das erste Schuljahr hinter sich gebracht, wiederholte es hier allerdings und beherrschte bereits nach ein paar Monaten die Deutsche Sprache. „Kinder lernen schnell“, erinnert sie sich und fährt fort, „schon nachdem ich eine halbe Stunde hier war, hatte ich eine beste Freundin“.
An ihre Kindheit in Duisburg erinnert sie sich gerne. „Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit“. Von den Nachbarn wurde die Familie, wie die meisten anderen auch, sehr herzlich empfangen und der Bezug zur Türkei selber ging immer mehr verloren. „Nachdem wir zehn Jahre hier gelebt hatten, machten wir zum ersten Mal Urlaub in der Türkei und alles kam uns fremd vor“.
Ihr Vater engagierte sich neben seiner Arbeit sehr für das Miteinander und war einer der Gründer der alevitischen Gemeinde im Norden der Ruhrstadt.
Durch den Wochenanzeiger von dem Projekt erfahren
„Wie es sich für eine brave Tochter gehört“, erklärt sie mit einem Lächeln, „trat ich in die Fußstapfen meines Vaters und engagierte mich sehr früh ehrenamtlich in der Gemeindearbeit“. Heute ist sie zweite Vorsitzende der Gemeinde und als sie im September des letzten Jahres durch den Wochenanzeiger von dem Projekt „Stadtteil Historiker“ erfuhr, entschloss sie sich spontan zur Teilnahme, um den Frauen der ersten Stunde den Stellenwert einzuräumen, der ihnen gebührte.
So interviewte sie die Damen der alevitischen Gemeinde, welche sie selber bereits lange Zeit kennt, die bereits seit rund 50 Jahren hier leben und mittlerweile zwischen 60 und 80 Jahre alt sind, bezüglich ihrer Erfahrungen.
Die Anfänge waren für viele nicht einfach. Freunde und Verwandtschaft wurden zurückgelassen und man musste sich in einer fremden Umwelt und Kultur zurechtfinden. Die Wohnverhältnisse waren beengter als in den teils flächenmäßig großzügigen Häusern Anatoliens. Dazu kam die fremde Sprache. Großer Wert wurde auf die Bildung ihrer Töchter und Söhne gelegt. Da die ersten Migrantinnen oft weder die Deutsche Sprache beherrschten, noch lesen oder schreiben konnten, achteten sie umso mehr darauf, dass ihre Kinder sich bildeten. Das führte dazu, dass heute fast alle ein abgeschlossenes Studium vorweisen können.
In den 80ern besuchten die Damen Sprachkurse, lernten Schwimmen und gingen oft und gerne in die Frauensauna. Dazu engagierten sie sich in der Gemeinde, gestalteten Aktionen und Feierlichkeiten mit.
Enge Freundschaften
Auch Ağgül Kaya aus dem ostanatolischen, die mit ihrem Mann und ihrem damals drei Monate altem Sohn 1970 im Alter von 16 Jahren nach Duisburg kam, gehört zu den Interviewpartnerinnen von Gülperi Kara. Sie sei mit ihrer Familie ebenfalls sehr freundlich und familiär von den Nachbarn aufgenommen worden. Die junge Familie habe jede Unterstützung und Zuwendung erhalten. Man organisierte ein Kinderzimmer für sie und half ihr bei allem, was der Alltag so mit sich bringt. Auch ihr Mann arbeitete bei Krupp.
Es entstanden enge Freundschaften zwischen den Nachbarn und ihnen und zu ihrer engsten Freundin, welche mittlerweile über 90 Jahre zählt, besteht immer noch ein enger Kontakt.
Ağgül hatte früh begonnen, zu arbeiten, bekam dann aber noch einen Sohn und zwei Töchter, weshalb sie die Arbeit aufgeben musste. Fortan engagierte auch sie sich für das Gemeinwohl, gab als Honorarkraft Nähkurse in der evangelischen Gemeinde, arbeitete in der Kinderbetreuung der Arbeiterwohlfahrt und bot Kochkurse an. Nachdem ihr Mann bereits vor 25 Jahren aus dem Leben schied, erzog sie ihre Kinder alleine und ermöglichte diesen die beste Ausbildung.
Heute ist sie 66, hat sechs Enkelkinder, die ihre volle Aufmerksamkeit beanspruchen und der Duisburger Norden ist immer noch ihre Heimat. Lebt sie auch nicht mehr in Marxloh, so aber nicht weit davon entfernt am Zinkhüttenplatz, denn der Bezug zu ihrer Gemeinde und den Menschen aus ihrem Umfeld ist ihr immer noch sehr wichtig.
„Eins haben alle diese Frauen gemeinsam“, resümiert Gülperi Kara, „alle haben ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegt und hier ihre Heimat gefunden“.
Das Projekt „Stadtteil Historiker“ sei gut angenommen worden, sagt Klaus Becker vom Vorstand der Bürgerstiftung Duisburg. „Von 30 Bewerbern im Ruhrgebiet wurden 19 ausgewählt“. Davon gebe es sechs in Duisburg, sieben in Bochum und der Rest verteile sich übers Ruhrgebiet.
Das Thema von Gülperi Kara, was „Heimat“ für die Menschen bedeute, habe ihn fasziniert.
Bis Mitte 2021 haben die Teilnehmer des Projektes noch Zeit, ihre Recherchen zu betreiben, um deren Ergebnisse in einer individuellen Form zu präsentieren.
Randolf Vastmans
Autor:Randolf Vastmans aus Xanten |
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