Mutiger Schritt in neuen Lebensabschnitt trotz Schwerstbehinderung
„Nicht außen vor, sondern mittendrin“
Ihre Augen leuchten und blicken in ihre neue Wohnung. Mit ihrem Spezial-Rollstuhl fährt sie etwas weiter und bleibt vor einigen noch nicht ausgepackten Kartons stehen. Henny Thiele ist voller Optimismus und Zuversicht, hat sie doch trotz ihrer Schwerstbehinderung eine Entscheidung getroffen, die ihr Hoffnung auf einen neuen, selbst bestimmten Lebensabschnitt gibt und für andere Menschen Signale setzt.
Fast 50 Jahre alt ist sie, seit nahezu einem Vierteljahrhundert nach einer Thrombose im Nacken fast am ganzen Körper gelähmt. Zudem kann sie sich nur schwer artikulieren. Ihre Worte sind für den ungeübten Zuhörer nur mit größter Mühe zu verstehen. Die Menschen, die sie stetig begleiten, etwa ihre Eltern, der Bruder, Pfleger und Betreuer, kommen damit besser zurecht, können ihre Sätze deuten und zudem vieles von ihren Lippen ablesen.
Nicht nur einmal hat Henny Thiele Sätze wie „So was ist doch kein Leben!“ gehört. Fast trotzig, vor allem aber selbstbewusst, energisch und hoch motiviert entgegnet sie dann: „Und ob!“ Die belesene, vielfach interessierte frühere Krankenschwester, ist geistig voll auf der Höhe, wissensdurstig und weiß die vielen technischen und pflegerischen Hilfsmittel zu schätzen, die ihr im Laufe der Jahre das Leben erleichtert haben. Sie fühlt sich nicht außen vor, sondern mittendrin. Ihren Computer hat sie zudem „im Griff“.
„Ich habe alles
richtig gemacht“
Nach mehr als zwei Jahrzehnten in ihrem Zimmer im Jochen-Klepper-Haus des Christophoruswerks in Obermeiderich hat sie nun einen Schritt gewagt und vollzogen, der sie innerlich gestärkt hat. Die anfängliche Skepsis ihrer Mitmenschen hat sich schnell in Respekt und Anerkennung verwandelt. Henny Thiele hat jetzt ihre erste eigene Wohnung nach ihrer schweren Erkrankung bezogen. „Glauben Sie mir, ich bin glücklich“, sagt sie zum Wochen-Anzeiger, und ergänzt sofort: „Ich habe alles richtig gemacht.“ Sie lächelt bei unserem Besuch in der neuen Wohnung an der Werthstraße in Laar, wo die städtische Wohnungsbaugesellschaft GEBAG barrierefreie und Rollstuhl-gerechte Wohnungen gebaut hat.
Bei ihrer Entscheidung hat auch die Corona-Pandemie eine Rolle gespielt. Lange Zeit waren ihre Eltern, die vor vielen Jahren von Hüttenheim nach Meiderich gezogen sind, um näher bei der Tochter zu sein, fast täglich für mehrere Stunden bei ihr. Dann mussten die aufmunternden Besuche abrupt gestoppt werden. Zum ersten Mal hat sich Henny Thiele „so richtig einsam“ gefühlt. Auch die regelmäßigen Gespräche mit Monika van Drünen, die seit langen Jahren ehrenamtliche Betreuerin im Christophoruswerk ist, konnten nicht mehr stattfinden. Die beiden haben sich aber dafür umso öfter geschrieben und den Kontakt gewahrt.
Die Umzugsgedanken
nachhaltig befürwortet
Ihre Eltern haben ihre Umzugsgedanken von der ersten Sekunde an nachhaltig befürwortet“, sagt Monika van Drünen, die als frühere Kindergartenleiterin mit einer inneren Antenne für die Menschen und ihre Sorgen ausgestattet ist. Dann ging alles ziemlich schnell. Mit finanzieller Unterstützung ihrer Krankenkasse, des Landschaftsverbandes Rheinland, ihrer Pflegekasse und weitere sozialer Leistungen wurde die Idee in die Tat umgesetzt.
Der Bauherr hat an alles gedacht. Selbst die Türklinken sind in Rollstuhlhöhe angebracht. Ein zusätzliches Zimmer der großen Wohnung bewohnen ihre Pflegerinnen Eva und Renata und sind rund um die Uhr für sie da. „Ich darf mir sogar Essen wünschen und habe das gestern zum ersten Mal wieder selbst abgeschmeckt“, erzählt Henny Thiele und empfand das als lange Zeit nicht mehr erlebtes Highlight.
Monika van Drünens Besuche häufen sich auch wieder. Man macht Quizspiele, man redet, man tauscht Erinnerungen aus. Etwa an gemeinsame Zoobesuche oder Kabarettveranstaltungen im Steinhof. Auf einmal lacht Henny Thiele: „Ich mache regelmäßig Fitness.“ Ihr Bett kann nämlich senkrecht hoch gefahren werden. Angeschnallt macht sie dann Übungen zur Stärkung der Muskulatur. Mit einem Speziallift kommt sie in die Badewanne. Trotz ihrer schweren Behinderung genießt sie die kleinen Annehmlichkeiten ihres „etwas anderen“ Lebens.
Spezielle Technik,
wertvolle Dienste
Sie fährt mit ihrem Rollstuhl zum Computer, der ihr ebenfalls wertvolle Dienste leistet. Durch eine spezielle Technik blickt sie mit den Augen auf einen bestimmten Buchstaben, fixiert ihn gewissermaßen und schreibt so „halbe Romane“, wie sie lachend sagt. Wenn demnächst Frühling und Sommer Einzug halten, kann sie mit ihrem Rollstuhl auf den Balkon fahren und die frische Luft genießen. „Für mich ist das schon eine neue Lebensqualität“, betont Henny Thiele. Ihre Botschaft für Schicksals- und Leidensgenossen: „Nie aufgeben, Gottvertrauen, Zuversicht und Mut bewahren.“
Zu Monika van Drünen sagt sie auf einmal: „Es müssen noch ein paar Kartons ausgepackt werden.“ Jetzt lacht diese laut und antwortet: „Wird gemacht.“
Autor:Reiner Terhorst aus Duisburg |
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