Dieter Lesemann holt Vergangenes in die Gegenwart
Wenn Bauermädchen Fliegen jagen

Unter dem Schirm betrachtet, so freut sich Dieter Lesemann, kann auch die Lesung aus einem „eigentlichen“ Sachbuch, ganz schön spannend sein. Und wenn es dann zur bäuerlichen Vergangenheit sogar Lacher gibt, ist alles im grünen Bereich.  | Foto: Reiner Terhorst
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  • Unter dem Schirm betrachtet, so freut sich Dieter Lesemann, kann auch die Lesung aus einem „eigentlichen“ Sachbuch, ganz schön spannend sein. Und wenn es dann zur bäuerlichen Vergangenheit sogar Lacher gibt, ist alles im grünen Bereich.
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Dass die Industrie- und Hafenstadt Duisburg eine bewegte und bewegende Geschichte hat, ist nichts Neues. Das gilt auch für viele Stadtteile. Dieter Lesemann hat in seinem Buch „Von Hof zu Hof“ historische Bauernhöfe in Meiderich beschrieben. Jetzt bekommt der Buchtitel durch Lesungen vor Ort eine neue Bedeutung.

Am Anfang seiner Lesereise stand jetzt der ehemalige Köppenhof an der Lakumer Straße. Gut 25 interessierte Menschen warfen dabei einen neuen Blick auf das alte Meiderich. Gastgeberin Jutta Thomas, waschechte Meidericherin und Nachfahrerin der Bauernfamilie Köppen, gestattete mit ihrer 93-jährigen Mutter Helene Köppen familiäre Einblicke in die gute alte Zeit, die oft mühsam und beschwerlich war.

„Ich habe einfach angeklingelt und gefragt, ob ich hier mal eine Lesung aus meinem Buch machen darf“, sagt Dieter Lesemann. Er durfte. Das Wetter spielte mit. Die Lesung fand im idyllischen Garten des früheren Köppenhofs statt. „Bei Regen hätte ich alle ins Wohnzimmer geholt“, lacht Jutta Thomas.

Ungläubige Blicke

Ein „bisschen Bammel“ hatte der Autor zu Beginn schon. „Das ist ja ein Sachbuch und kein Roman. Hoffentlich kommt da keine Langeweile auf.“ Lesemanns Sorge war unbegründet. Bei manchen seiner Ausführungen wurde gestaunt, bei anderen machten ungläubige Blicke die Runde.

Dass es in Meiderich mal 160 Landwirtschaften gab, von denen 154 namentlich bekannt waren, hatte niemand der aufmerksamen Zuhörer auf dem Schirm. 62 davon wurden als Höfe bezeichnet, 92 als Katen. Ein gutes Dutzend Grundherren waren die Besitzer, und die Bauern mussten ihnen jeweils ein Zehntel ihrer Ernte abgeben und hatten auch sonst nichts zu sagen, sondern nur zu arbeiten.. Zeitweise unterstanden die Bauernfamilien sogar der Gerichtsbarkeit der Grundherren.

Kein Zuckerschlecken

„Das alles war kein Zuckerschlecken“, betont Lesemann. Oft bescherte das Einkommen kein Auskommen. Das Leben war karg, die Not groß. Nach der französischen Revolution übernahmen jedoch etliche Bauern ihre Katen oder Höfe von den ehemaligen Grundherren. Da brach eine neue Zeit an, in Europa, in Duisburg und auch in Meiderich.

Von den Meidericher Kirchen las der Autor, von den ersten Pfarrschulen und der Industrialisierung. Meiderich wurde vom Dorf zur Industriegemeinde. Wohlstand machte sich nicht nur vereinzelt breit. Durch Landverkäufe an den Bergbau und die Stahlindustrie schrumpfte die Landwirtschaft, der Geldbeutel einzelner Bauern indes füllte sich. Meiderich blühte und wurde vom großen Nachbar Duisburg „einverleibt“.

"Leni, es ist Melkzeit"

Im Köppenhof wurde noch bis 1955 Landwirtschaft betrieben. „Ich habe das noch erlebt, dass im heutigen als Wohnbereich genutzten Anbau der Kuhstall war“, berichtet Jutta Thomas. Ihre Mutter Helene hat ihre gesamte Kindheit im Köppenhof verbracht und ist dort sogar zur Welt gekommen.
Zu den Nachbarhöfen gab es nur wenige Kontakte, erinnert sich Helene Köppen. Nur die Kinder spielten oft miteinander. „Einmal, an einem heißen Sommertag“, denkt sie lachend zurück, „klopfte es bei uns.“ Die Spielkameradin vom schräg gegenüber liegenden Lakumshof rief laut „Leni, es ist Melkzeit, komm mit Fliegen jagen.“

Das hatte eine besondere Bewandtnis. Den Kuhmelkern krabbelten und schwirrten die Fliegen im und ums Gesicht. Da aber beide Hände zum Melken gebraucht wurden, traten die Kinder in Aktion und verjagten die lästigen Fliegen.

"Klassenziel erreicht"

Auch andere Anekdoten sorgten bei der Lesung für lautes Lachen. Dieter Lesemann hat in sein Sachbuch auch „Spinnradgeschichten“ eingebaut, die im alten Köppenhof ihren Ursprung hatten. So war die Gartenlesung bei Jutta Thomas und ihrem Mann Rainer nicht nur lehrreich, sondern letztlich höchst unterhaltsam.

Dieter Lesemann, pensionierte Lehrer, kam danach ein erleichtertes „Klassenziel erreicht“ über die Lippen. Jetzt will er sich auf den Weg zu anderen ehemaligen Höfen machen, um die dortigen Bewohner für weitere Lesereisen von Hof zu Hof zu gewinnen.

Autor:

Reiner Terhorst aus Duisburg

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