Gottesdienst des Sehens
Vielfältiger und menschlicher denken
Einen „Gottesdienst des Sehens“ feierte die Evangelische Gemeinde Duisburg Obermeiderich am vergangenen Sonntag. Die Idee dazu stammte vom Gemeindeglied Petra Bungart, die genau wie ihre Schwester Sabine im Chor der Gemeinde mitsingt und oft im Gottesdienst ist.
Schwestern haben, ebenso wie ihr jüngerer Bruder Frank, eine Augenkrankheit, die zur Erblindung führte. Mit einem Team um die Pfarrerinnen Esther Immer und Sahra Süselbeck bereiteten die Richterin und der Gymnasiallehrer den besonderen Gottesdienst vor. Er brachte Einblicke in ihren Alltag und beleuchtete Möglichkeiten und Chancen des Zusammenwirkens aller Menschen in der Gesellschaft.
„Heute singen wir mal mit einer Vorsängerin ohne Gesangbuch und Textblatt und schauen, wie das so klappt, wenn wir uns auf unser Gedächtnis verlassen müssen“, sagte Organistin Gundula Heller der Gemeinde aus Sehenden, Sehbehinderten und Blinden gleich zu Beginn. Wobei die Gruppe der Sehbehinderten stark anwuchs, als am Eingang Pappbrillen verteilt wurden, mit denen man eine Sehbehinderung simulieren kann. Viele wagten nur einen kurzen Blick in eine arg verschwommene Welt, einige wenige behielten tapfer ihre temporäre Sichteinschränkung den ganzen Gottesdienst über auf der Nase.
Vertraute Runde
In der vertrauten Runde der Chormitglieder gebe es immer jemanden, der ihnen vorab die Texte zustelle, damit sie sich die in Blindenschrift übersetzen könnten, erzählte Petra Bungart. „Wir werden ganz selbstverständlich auf unerwartete Stufen aufmerksam gemacht und es passt jemand auf, dass wir auch das richtige Kollekten-Körbchen erwischen“, berichtete sie. Aber im Alltag gibt es auch immer wieder Menschen, die gar nicht einsehen „dass für die wieder eine Extrawurst gebraten wird“. Leute die eine Behinderung als Zeitfresser ansehen, der den Betrieb aufhält. Oder die schlicht nicht nachdenken.
„Ich werfe Zettel einfach weg, die im Lehrerzimmer in meinem Fach landen, weil ich sie ja doch nicht lesen kann“, sagte Frank Bungart, der die Predigt hielt. Er ist Lehrer an einer katholischen Mädchenschule und löste in der Gemeinde einen Heiterkeitsanfall aus, als er sagte, dass er an einer ganz normalen Schule unterrichte.
Fehlende Ansagen
Achtlos abgelegte Elektroroller machen seinen morgendlichen Schulweg zum Hindernislauf und fehlende Ansagen lassen ihn manchmal im falschen Zug landen. „Da ist man froh, wenn man auf Freunde und hilfsbereite Mitmenschen trifft, wie der gelähmte Mensch in unserer Geschichte“, fuhr er fort. Die Freunde des Gelähmten sehen keine Chance, ihn zu dem umlagerten Jesus zu bringen. Sie decken kurzerhand das Dach ab und lassen den auf Heilung hoffenden Freund vor Jesu Füßen runter. Der ist beeindruckt von diesem Einfallsreichtum und vor allem von der Hartnäckigkeit des Gelähmten. Das eigentliche Wunder vollzieht sich dann beinahe beiläufig, „ohne Dampf ohne Zauber, ohne Trara“.
„Wie der Gelähmte suchen sich Menschen mit einem Handicap ihre eigenen Wege, um die Gesellschaft ein wenig barrierefreier zu gestalten. Und wie toll ist es, wenn wir dabei von Menschen begleitet werden, die uns positiv unterstützen – die uns sinnbildlich auf ein Dach hieven, um wie bei Jesus in der Mitte der Gesellschaft ankommen zu können,“ sagte Frank Bungart. Und gab seiner Hoffnung Ausdruck: „Dann sind wir keine sogenannten „bunten Hunde“ mehr, die sich ihrerseits für die Teilhabe bedanken müssen, da diese selbstverständlich wird.“
Ausprobieren
Am Ausgang gab es für die knapp 100 Gottesdienstbesucher vom Dachverband der evangelischen Blindenseelsorge ein Alphabet in Braille-Schrift mit einem Spruch zum Ausprobieren und Lesen üben.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“, war da zu ertasten. „Ich schaue ab jetzt auf jeden Fall besser hin und räume die blöden Roller weg, die überall im Weg liegen“, sagte ein Gemeindemitglied nach dem Gottesdienst beeindruckt, „hätte ich schon längst tun können, ich habe bloß bisher nicht richtig darüber nachgedacht.“
Infos zur Gemeinde gibt es im Netz unter www.obermeiderich.de
Text: Sabine Merkelt-Rahm
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