Urlaub ist Lesen – und umgekehrt

Urlaub, Ferien, schöne Worte, voll wunderschönem Klang, Tiefgang, Erinnerungen, Träumen, Entspannung.

Die angeblich so wunderbaren Wochen, was unterscheidet sie von allen anderen?

Ist der „Rest" des Jahres, womöglich gar des Lebens, etwa nicht so schön?

Nein, ist es natürlich nicht. Die gewaltige Flutwelle aller Reisenden in alle Welt, Länder und Regionen ist ein Manifest.
Weg – Raus, was Anderes! Mag daheim ein Paradies für die restlichen 50 Wochen des Jahres herrschen,
die absolute Horrorvision ist die, genau dort zu leben wo andere, viele andere womöglich, Urlaub machen.
In die Gefahr gerät meine Heimatstadt zusehends, nur eben auf eine andere Weise als die klassische Trauminsel .

Urlaub macht Spaß, ist anders, faul, erlebnisreich. Ich bastle mir eine andere Welt, ein anderes Leben: den Bildersturm im Kopf.

Um den und die damit einhergehende Erholung nun zu potenzieren begehe ich mein alljährliches Ritual erneut in losgelöster Maßlosigkeit:
Lesen, aber im Quadrat (um nicht schreiben zu müssen „in Potenz"!)

Der Koffer berstet (birst?) weniger weil die Masse an Kleidung für die Wetterlotterie Ostsee sich breit macht, sondern beim Versuch der Bändigung einiger Kilos bedruckten Papiers.

„Das willst du alles Lesen?", entsetzt sich die kopfschüttelnde Reisegesellschaft – rein rhetorisch versteht sich, in Kenntnis liebgewonnener Traditionen.

Neeein, auf keinen Fall. Mal gucken.
Im Optimalfall ist nur ein Drittel der Auswahl unlesbar. Manche Schwarte wurde aus purem Übermut eingepackt. Runde 2.500 Seiten sind zuviel, kaum mehr als 2000 werde ich fressen, auf keinen Fall, wann denn?

So kam es denn auch, obwohl ich kein Buch (;_)) führe. Statistik im Bezug auf Bücher sind tabu, ganz in der Tradition des Clubs aller toten Dichter.

Los ging es also, nach einem ersten Gang zum windigen aber wunderschönen Südstrand Fehmarns.

Kaum 6 Stunden auf der gefluteten Autobahn trennten mich von diesem Paradies.

Lesen ist so viel mehr als Kino, TV, Film. Optische Medien berauben die Phantasie, bis ich sie irgendwann doch mit F schreibe.

Die Flut aller Buchstaben sind der Beginn der Reise. Gedanken beginnen zu schweben, setzen sich zusammen um die Geschichte erst zu ermöglichen, dem Autor und seiner Magie zu folgen... oder hart zu landen.
Nicht jedem ist es gegeben, mancher wird es nie packen, andere verkaufen sich halt gut und alle lesen es meist genau deswegen.
Die unselige Spiegelbestsellerliste produziert Eigendynamik und tötet alles abseits vom Mainstream.
Schmalz, Mord und Totschlag gehen immer gut, machen Kasse.

Letztere kommen in jüngster Zeit nur noch aus dem immer düsteren, kalten Skandinavien.

Wallander (jaja, ich weiß, das ist der Kommissar, nicht der AutorMankell), Stieg Larsson, nun Jussi Adler Olsen: vor lauter unnatürlichen Toden mache ich mir ernsthafte Sorgen um die Bevölkerungsdichte der Nordländer. Ohnehin kaum besiedelt murkst sich der kümmerliche Rest nun auch noch reihenweise ab, schade, warum nur?

Kälte, ein halbes Jahr in Dunkelheit, der Rest von Schlaflosigkeit und langweiligen Möbelhäusern UND auch noch schlechtem oder teurem Alkohol geprägt.
Ich bin dabei, wer würde da nicht Amok laufen?

An der südwestlichen Ostseeküste, denkbar nahe den Tatorten Dänemarks taste ich mich also an den jüngsten Bestsellerschreiber heran.
Erbarmen oder wie der Schinken heißt.
Ein schicksalsgeplagter Ermittler der Kopnejhagener Polizei wird von seinen Chefs heraus und nach oben gemobbt, weil er natürlich unbequem ist. Sind das nicht alle coolen Romanhelden?

Gleich mehrere Mordfälle kreuzen seine Bahn, mit Verweis auf unzählige ungelöste weitere Fälle. Was ist nur los mit den angeblich so fröhlich relaxten Dänen, warum so viel Massaker?
OK, er ist natürlich total ausgeschlafen und schlauer als jeder andere Polizist weit und breit. Obwohl er nur die Unterstützung eines ungelernten Syrers bekommt überholt er sämtliche andere Ermittlungen auf der Standspur.
Toll.
OK, er ist sympathisch und wir lieben diesen düsteren Helden.
Der zentrale Fall dieses Buchs aber ist ganz harte Kost. Brr, viele Seiten lang erfahren wir das Schicksal einer entführten aufstrebenden Politikerin, die einfach so weggesperrt worden ist. Ohne dass ihre Entführer sich je irgendwelche Forderungen gestellt oder sich sonstwo gemeldet haben leidet sie seit mehreren Jahren (5) in einer Druckkammer !!! vor sich hin.
Unfassbar, jeder normale Mensch wäre längst, im Bruchteil dieser Zeit durchgedreht, zu Pudding mutiert.
Oh Mein Gott, wie böse ist die Menschheit nur?
Ist sie das wirklich?
Muss ich mir diese abgrundtiefe Boshaftigkeit antun? Warum tun es zahllose Leser in aller Welt, Millionen?

Nicht nur muss endlos Blut fließen, das genügt dem blutrünstigen LeserInnen-Heer längst nicht mehr.
Die Beteiligten müssen sich mit den ausgefeiltesten Plots herumschlagen, die sich hochintelligente Kriminelle scheinbar pausenlos ausdenken.
Gibt es so etwas wie eine Meuchelmörder-Universität?
Wer CSI und all ihre Nachfolger austricksen will muss schon in sämtlichen Wissenschaften promoviert haben.
Eine eiskalte Massenmörder-Seele ist selbstverständlich die Grundvoraussetzung für jedes Bestseller-Verbrechen. Abgrundtiefe Boshaftigkeit, das Tor zur Hölle muss weit offenstehen und dem Leser den hauch des Satans höchstpersönlich ins Gesicht wedeln.
Der körperlich und seelisch hart angeknockte Polizist muss sich immer gegen alle möglichen Widerstände durchsetzen, ohne je eine Belohnung oder angemessene Anerkennung dafür zu erhalten. Der Polizist in Literatur, TV und Kino MUSS ein total verkorkstes Privatleben haben. Ehe ist kaputt, Alkohol spielt oft eine Rolle, der einsame Wolf ist sehr beliebt.
Klischee oder Realität? Fad ist es auf jeden Fall. Ein wenig mehr Glück wäre doch OK, ich gönnte es ihnen. Ihr Leben ist doch schwer genug, im Milieu der schlechten Menschen.

Am Ende ist nie alles gut, oh nein, aber immerhin ist nicht die ganze Welt in den rund 400+/- Seiten im Orkus verschwunden.
Was lernen wir daraus?

Ich sollte die Finger von diesem Buch lassen, welches mich bis morgens halb drei auf einem kühlen Balkon mit Meerblick gefesselt hat.
Bis zur nächsten Schwarte.

Autor:

Peter Neppl aus Duisburg

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