Ruhrtriennale 2014: Broken Lights, Tanzperformance
Ballett auf Glasscherben getanzt - Saburo Teshigawara will Übergänge und Verwandlungen von Raum und Körper zeigen und Zeit sichtbar machen.
Seine Biografie lässt mich stutzen, denn der scheinbar wirbel- und knochenlose Tänzer und Choreograf Teshigawara ist 1953 in Tokio geboren worden. Er ist somit 61 Jahre alt! Statt über Arthrose und "ich habe Rücken" zu jammern, liefert er eine Tanzvorstellung, die glauben macht, er habe alle Gesetze der Schwerkraft überwunden.
Saburo Teshigawara hat zunächst Bildende Kunst studiert. Weil er den menschlichen Körper als Werkstoff nutzen wollte, folgte seine Ausbildung im klassischen Ballett. Seit den 1980er Jahren bearbeitet Teshigawara seinen eigenen Körper wie ein Bildhauer. Das Rohmaterial "Körpermasse" wird gestaltet und umgeformt.
Broken Lights erzählt von derartigen Umformungen. Wir erleben Metamorphosen von Körper und Raum in Tiere, Pflanzen, Marionetten.
Choreografie, Bühne, Licht und Kostüm - alles von Saburo Teshigawara. Wir tauchen ein in einen Spiegelsaal, dem Ort der elitären, klassischen Ballettaufführungen. Mehrere Reihen Glasscheiben, die an Fäden herabhängen, bilden den Raum. Der Boden ist bedeckt von Glasscherben, seitlich liegen gestapelte Glasplatten.
Die Tänzerin Rihoko Sato betritt elfengleich den Raum. Sie schreitet graziös über die Scherben, ihre Füße lassen Glas brechen - das zunächst einzige Geräusch, einer Ouvertüre gleich.
Sato, die Kunstturnerin, nahm 1995 an Workshops der von Teshigawara gegründeten Tanzkompanie KARAS teil und wurde 1996 deren Mitglied. Ihre zarte Figur passt hervorragend zu der von ihr verkörperten Rolle: Zerbrechlichkeit, Anmut und intensive Klarheit.
Während Rihoko Sato zur einsetzenden Ballettmusik Figuren tanzt, die an "Schwanensee" erinnern, erwacht der im Hintergrund zusammengekauerte Saburo Teshigawara zu Leben.
Sie die helle, scheinbar nackte, zarte, zerbrechliche Tänzerin und Er, der dunkle, ungelenke, zum Schweigen verdammte, unkoordinierte marionettenhaft anmutende Tänzer.
Wie im klassischen japanischen Theater scheint eine innere Realität auf der Bühne sichtbar zu werden. Das gezeigte Körpergedächtnis umschreibt einen Raum der Berührung von Vergangenheit und Zukunft. Die Tänzer erhalten einen Zugang zu diesem unbekannten und unsichtbaren Innersten.
Was folgt, passt in die Thematik von "weißer Schwan und schwarzer Schwan". Das Gute, Reine und Zarte wird verkörpert vom weißen Schwan, der Frau. Das Dunkle, Zerstörerische, Aggressive stellt der schwarze Schwan, der Mann, dar.
Gut und Böse agieren nebeneinander. Gut hat die Aufmerksamkeit, steht im Licht. Böse kann sich nur durch knallend zerschlagene Glasscheiben bemerkbar machen.
SIE tanzt vollendet, harmonisch, kraftvoll und zart zugleich. SIE steht im Licht, im Vordergrund, wird bestätigt durch die Musik und die Beleuchtung.
ER agiert in der Dämmerzone, muss sich erst ins Licht kämpfen. ER wirkt marionettenhaft ungelenk, muss Körperbeherrschung erst erlernen. Hier brilliert Saburo Teshigawara mit seinem Körper, der sich scheinbar knochenlos bewegt.
ER und SIE sind sich zunächst fremd, ER bekämpft Sie mit geworfenen Glasscheiben, beide nähern sich an. Schließlich liegt SIE wie im Todeskampf beschädigt am Boden und schlägt kaum noch mit den Flügeln. Die dramatische Musik dazu erinnert an Motorengeräusche eines Hubschraubers, dem Feind des Schwans. ER scheint zu verzweifeln, merkt, dass er nicht mit ihr aber auch nicht ohne sie sein kann. SIE erholt sich wieder, ER stirbt und vergeht. Schließlich geht SIE im dröhnenden Maschinenlärm ein.
Die verträumte Ballettmusik der ersten Szenen ist einer harten Realität im Maschinensound gewichen. Gut und Böse, Anmut und Aggression, Mann und Frau sind lebenswichtige Anteile in jedem. Für diese Botschaft setzt Saburo Teshigawara neben den Körpern den Werkstoff Glas ein.
Glas ist sowohl die glatte, einheitliche Fläche, der elitäre Spiegelsaal vergangener Zeiten als auch der Scherbenhaufen einer realen, durchschrittenen (Lebens-)Zeit. Je nach Beleuchtung ist Glas durchsichtig oder reflektierend, glatte (Wasser-)Fläche oder schroffe Landschaft. Glas ist lautlos unbeteiligt oder krachend und knirschend involviert.
Für Saburo Teshigawara ist Glas das Synonym des Übergangs und der Wandlung.
Broken Lights - eine einstündige beeindruckende Tanzperformance über die Metamorphosen des Lebens. Das Publikum in der nahezu ausverkauften Halle dankte mit langanhaltendem Applaus.
Weitere Aufführungen sind am 19., 20. und 21. September 2014 jeweils um 20 Uhr in der Gebläsehalle, Landschaftspark Duisburg-Nord.
Autor:Dorothea Weissbach aus Oberhausen |
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