Wenn Knebel ein Seniorenheim rockt ...
Knebel-Darsteller Uwe Lyko begeistert mit einer Lesestunde die Bewohner im Walsumer Elisabeth-Groß-Haus
Ein bisschen aufgeregt ist er schon vor seinem Auftritt, denn so was in der Art hat er bisher noch nicht gemacht: „Ich bin mal gespannt, wie die so reagieren“, gesteht er, während er sich bei einem Wässerchen auf seinen Auftritt einstimmt. Die Sorge ist unbegründet, denn etwa 50 Heimbewohner sind schon angerückt und freuen sich sehr auf die willkommene Abwechslung
Der bundesweite Vorlesetag brachte Elke Sikora vom sozialen Dienst auf die Idee, den Künstler einfach einzuladen: „Ich habe ihn selbst ein paar Mal als Herbert Knebel gesehen und finde ihn toll“, meint sie, „außerdem ist er ein gebürtiger Duisburger und in Neumühl aufgewachsen, er kennt also die Menschen im Ruhrpott sehr gut. Ich habe ihm zwei E-Mails geschrieben, dann stand der Termin.“
Trotzdem können es die Heimbewohner kaum fassen, dass Herbert Knebel sie besucht. Besonders aufgeregt ist die 57-jährige Renate Schwartpaul als absoluter Knebel-Fan: „Er ist so witzig und einfach super. Ich habe schon viel Geld für seine Auftritte bezahlt. Und jetzt, da können wir ihn hier einfach so kostenlos sehen."
Doch warum nimmt sich Uwe Lyko mitten in seiner Tournee ausgerechnet Zeit für dieses Seniorenwohnheim auf der Josefstraße? „Ja, weil die Mitarbeiter mich darum gebeten haben.“ So einfach kann es sein.
Den Herbert Knebel liefert er diesmal allerdings ohne geschmackfernes Jackett, übergroße Kulleraugen-Brille und sein Hinkebein. Zur Vorlese-Stunde gibt es „Lyko pur“, in dunklem seriös-lässigen Outfit. Der Mann, der alle Bühnen Deutschlands füllt, diesmal auf einer Minibühne, auf die gerade einmal Tisch und Stuhl passen.
Erst einmal gab's "Lyko pur
Gut schaut er aus, mit seinen 64 Jahren: Schlank, sportlich und topfit durch’s regelmäßige Joggen und Radfahren möchte er noch lange auf der Bühne stehen. „Unter gewissen Umständen sogar noch mit 90.“ Dabei hat Lyko früher scherzhaft gelästert, dass Über-60-Jährige Totgeweihte seien. „Inzwischen sehe ich das anders“, grinst er, „trotz Hörgerät, Gleitsichtbrille und Hornhautverkrümmung fühle ich mich gut, nur verhüten muss man in diesem Alter langsamer.“
Lyko lebt in Essen mit Freunden in einer Hausgemeinschaft, hat aber eine Wohnung für sich. Mit Büchern kennt er sich aus, denn sie sind neben der Musik seine ganz große Leidenschaft: „Meine Wohnung ist voll mit Büchern. Das sind hunderte und ich muss immer mal welche wegbringen, sonst bräuchte ich einen Statiker, damit die Wände nicht zusammenbrechen.“
Uwe Lyko ist also der richtige Mann für einen Vorlesetag und hat sich Gedanken über die passende Auswahl gemacht.
Im Gepäck für die Senioren in Vierlinden hat er die Weihnachtsgeschichte von Paul Auster, etwas von Horst Ewers und natürlich einige Kracher von Herbert Knebel.
Gleich zu Beginn dirigiert er den Tontechniker solange, bis die Bässe im Mikro stimmen, schließlich sollen seine Boah-glaubse-Stories den richtigen Sound haben. Dann serviert er dem Publikum im Elisabeth-Groß-Haus maßgeschneiderte Geschichten. Herbert und Guste mit ihrem spannenden Hörgeräte-Austausch zum Beispiel. Oder den Besuch des indischen Restaurants „Ghandi“, der fast in einer Tragödie endet. Herberts Frau Guste hat in einem Anflug von Gier vom indischen Lamm-Curry ihres Mannes genascht, nun robbt sie keuchend zum Wassernapf eines Retrievers, nachdem sie schon ein Krefelder und ein Himalaya Pilsener geext hat.
War vielleicht doch leichtsinnig, sich nicht mit scharfem, sauscharfem oder unglaublich scharfem Curry zufrieden zu geben. Bei „wahnsinnig scharf“ geht es dann schon um Leben und Tod.
Natürlich fehlte Herbert Knebel nicht
Das scharfe Thema „Verhütung im Alter“ spart sich Uwe Lyko, nachdem er zwei Nonnen im Publikum entdeckt hat. So weit reicht sein Mut dann eben doch nicht.
Sehr schön präsentiert er dann aber Herbert Knebels Besuch in der Senioren-Hippie-WG. Hier findet er auf der Suche nach „der freien Liebe“ einen freakigen Opa mit Joint, einen Rollator als mobilen Aschenbecher und seinen Shades-of-grey-Jugendschwarm Erika Schlecker, die Knebel allein wegen ihres Namens schon immer scharf fand.
Besinnlicher wird die Stimmung mit Paul Austers „Weihnachtsgeschichte“. Lyko zeigt, dass er auch gefühlvoll kann. Und da wird im Publikum so manches Tränchen verdrückt, als in der Geschichte eine blinde Mutter endlich von ihrem lang vermissten Sohn besucht wird. (Der aber nur so tut, als sei er der Sohn, um ihr eine Freude zu machen.)
Raubein Lyko hat eben auch eine sehr gefühlvolle Seite. Als echter Familienmensch hing er auch sehr an seiner Oma Charlotte: „Sie war für lange Zeit in einer Pflegeeinrichtung untergebracht, und ich habe sie dort bis zu ihrem Tod sehr oft besucht“, erzählt er und lässt sich für einen winzigen Moment in die Seele blicken.
Den Bewohner der Senioreneinrichtung hat er auf jeden Fall mit seinem Besuch ein großes Geschenk gemacht.
Jetzt muss Herbert alias Uwe erstmal zusehen, wie er heil durch die verhasste Weihnachtszeit kommt mit dem „ollen Christusbaum und ständig dem Fichtennadelmief im Rüssel… und ich sach, wenn mir dies‘ Jahr nochmal irgendein Nikolaus krummkommt, dem hau ich Eine mit seinem eigenen Sack auffen Kopp.“
Autor:Andrea Niegemann aus Duisburg |
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