Duisburg, Innenhafen: Andreas Gursky im Museum Küppersmühle
Große Fotokunst: Die Welt, das Muster, der Einzelne
Die Entdeckung der Welt als Muster. Das Geheimnis winziger Details.
Fotos von Stadt- und Gebirgslandschaften. Von Menschen, die in Räumen und Feldern verschwinden – würde sie Gursky nicht sichtbar machen.
Das da unten ist ein Mensch
Von weitem nur Linien, an einigen Stellen schadhaft. Etwas näher werden erste Unebenheiten sichtbar: Helle Furchen und dunkle Streifen. Dann die Entdeckung der Unterbrechungen des Musters. Schwarze Folien zurückgebogen. Vereinzelte Sprenkel auf einem Brandenburger Spargelfeld - sind Frauen und Männer, Spargelstecher ("Beelitz", 2007, Fotos siehe unten).
Goldene Leere: Ein glänzender goldener leerer Raum. Verschwindend klein ein transparentes weißes Etwas unten im Bild ("Katar", 2012). Und wenn man sehr genau hinschaut – Schrecken: Das dort unten muss ein Mensch sein. Auf Nachfrage: Wie ein Hauch von Dasein ist da im Goldbild der Schemen eines Mannes hinter diesen halb durchsichtigen Zeltstoff sichtbar, der den riesigen, gigantischen Flüssiggastank zu seinem Goldglanz poliert. Was für eine Aufgabe!
Eine Fotoausstellung im Museum Küppersmühle in Duisburg
Eine etwa vier Meter rote Leinwand, davor unten vier Hinterköpfe von deutschen Politikergrößen. Zumindest drei davon auf den ersten Blick identifizierbar als Gerhard Schröder, der qualmende Helmut Schmidt und Angela Merkel. Der vierte rechts außen ist Helmut Kohl. Das Gemälde im Bild-Hintergrund bzw. Politiker-Vordergrund stammt vom amerikanischen Expressionisten Barnett Newman und trägt den in diesem Zusammenhang bedeutungsschweren Titel: "Vir Heroicus Sublimis" (etwa: "Der Mann - heldenhaft, feinsinnig"). Gursky, dessen Werke sonst trocken-karge Titel tragen, wählt diesmal hintersinnig und mit feinem Humor "Rückblick" (2015).
Andreas Gurskys Bilder schlicht "Fotos" zu nennen, wird ihnen also irgendwie nicht gerecht.
Die Rückblicke mehren sich jedenfalls bei Andreas Gursky, einem der wichtigsten deutschen Künstler. 2012 gab es schon einmal eine Retrospektive im Düsseldorfer Kunstpalast und 2020 eine in Leipzig.
Fotografien? Täuschend echt.
Man mag durch die Ausstellung gehen und die ästhetischen Muster bewundern, die Gursky in der Welt gefunden und dokumentiert zu haben scheint. Artifizielle Landschaften, moderne Großstadtviertel mit Hochhäusern und ihren Fassaden, Muster wie aus der Massenproduktion am Band gefertigter Ware. Soziale Landschaften, die – so zeigt es uns Andreas Gursky – organisch und/oder geometrisch strukturiert sind. Sinnbilder der Anonymität durch die Wiederholung der immer gleichen Figuren, Formen.
Auch durch die großen Bildformate, eine geradezu einschüchternde Gigantomanie der Monotonie des Blicks. Menschengemachte Landschaften, die tatsächlich aber menschenleer sind wie die Wüste. Menschen sind hier nur Form, Teil eines Musters. Äquivalent zu den leblosen Objekt-Landschaften mit Häusern oder Waren tauchen die belebten auf: Inszenierungen wie die bei nordkoreanischen Massenveranstaltungen ("Pyongyang") passen hierzu hervorragend. Die Kamera blickt von weit weg auf ihr Ziel, den Blick distanziert gerichtet auf die wie bei einer Bundesgartenschau inszenierten zart-rosa Blumenmuster aus Menschen im nordkoreanischen Stadion. Es ist der distanzierte Blick des Wissenschaftlers durchs Mikroskop auf die Nano-Welt des Kleinen und Kleinsten, mit ihren feinen Mustern und anonymen Gliedern und Akteuren, es ist - wie der Blick des Gottes auf seine Schöpfung.
Poesie: Abschied von der Dokumentarfotografie
Und so ist diese Objektivität des Kamerablicks nur vorgetäuscht. Gursky bildet nichts aus der Wirklichkeit "fotografisch" ab, dokumentiert nicht. Gursky Fotografie hat - wie schon die Kunst der Moderne - das Paradigma der Mimesis, aufgegeben und verlassen.
Sein Blick ist nicht einfach "objektiv" oder gibt sich gar der Faszination der Massenaufmärsche von Ware, Menschen, von zu Mustern gewordenen Formen unkritisch hin.
Ein Bild ist "Amazon": Die Amazon-Lager-Welt der geordneten Massenware, die hier so massenhaft wie unterschiedlich ("individuell") und ordentlich in Reih' und Glied daherkommt. Der Kamerablick ist aber Gurskys Blick – viele seiner Ansichten gibt es so nirgendwo zu sehen, zum Beispiel weil – wie bei dem gigantischen Hochhausblock "Montparnasse" – in der Wirklichkeit etwas dazwischensteht und Andreas Gursky für das Bild Einzelfotos minutiös zusammensetzt.
Gursky zu Gurskys Arbeitsweise
Andreas Gursky "geht mit offenen Augen durch die Welt", sieht etwas, von dem er sagt, das könnte etwas werden, fotografiert es mit dem Handy en passant. Oder er sieht ein Foto in der Zeitung, das ihm interessant erscheint. Reflektiert darüber und überlegt, was er daraus schaffen möchte. Schließlich geht er im Team und mit großem technischen Aufwand hinaus und fotografiert. Und dann sitzt er – wie bei "Antarctis" (2010) – anderthalb Jahre im Studio und bearbeitet die Fotografien am Computer. Bis daraus alles andere geworden ist als eine Abbildung nach der Natur, eine fotografische Dokumentation der Welt.
Abschied des Photographen?
Und wenn Andreas Gursky anlässlich der Retrospektive in Düsseldorf 2012 noch erwähnte, dass er derzeit für sich nicht mehr die Möglichkeit sieht das, was er zeigen möchte, als 'reine' Fotografie ohne digitale Bearbeitung zu erschaffen, so sind die neuesten Bilder praktisch unbearbeitete Fotos mit dem Smartphone. 2012 passierte seine Arbeit fast ausschließlich drinnen im Studio, inzwischen sind es Schnappschüsse, spontane Blicke auf Details wie den Teppich (Ohne Titel, XIX, 2015).
Gemalte Fotos aus Realität, Fiktion und Abstraktion
Es sind also formale, abstrakte Landschaften; Landschaften, in denen das Bild, die Kunst, das Artifizielle, das Muster gesucht und - mühsam - herausgearbeitet wird. Ansichten aus verschiedenen Perspektiven vereinigt in einem Bild wie bei der simultanen Perspektive des analytischen Kubismus (sehr deutlich zum Beispiel bei Gurskys "Bahrain", siehe unten); Bilder des Unförmigen wie bei den Malern des Informel ("Ocean", "Bangkok"); romantische Landschaftsmalereien, in denen der kleine Mensch verloren in der weiten, durch Ikonen des Industriezeitalters gebrochenen Natur erscheint ("Mülheim an der Ruhr, Angler"); surreale Räume wie "Katar", in denen der am Boden schrubbende Mensch im goldenen Raum-Glanz zu einer kaum wahrgenommenen Ameise schrumpft (Fotos siehe unten).
Andreas Gursky in Duisburg
Es sind also große Bilder, die im Duisburger Museum Küppersmühle vom 9. September 2021 bis 30. Januar 2022 zu sehen sind.
Bei einigen Bildern hätte man sich allerdings eine andere Hängung oder gar ein anderes Ausstellungsambiente gewünscht. Ein Bild wie "Katar" hängt für Vorbeischlenderer im Durchgang, außerdem verzerren viele Spiegelungen die Ansicht, einige der großformatigeren Bilder Gurskys wirken blass und kümmerlich in den Sälen des Museums Küppersmühle und können kaum Strahlkraft und Sog entfalten.
Der neue Gursky: Fotokunst im Digitalzeitalter
Je mehr sich Andreas Gursky von der klassischen Photographie entfernt, desto mehr stellt sich zudem die Frage, was seine Werke denn noch substantiell von der Unzahl anderer im digitalen Zeitalter online herumschwirrenden Fotos oder von stolzen Fotografen ausgedruckten Wohnzimmer-Bildern á la "Sand am Strand" oder "Meereswellen" unterscheidet.
Es mag ja sein, dass sich hinter seiner Fotokunst die immense und akribische Mühsal digitaler Bildbearbeitung versteckt – doch was hebt die "Ocean"-Serie, die aus bearbeiteten Satelliten-Aufnahmen besteht, von anderen zuhauf kursierenden Sat-Aufnahmen ab, die ja ebenfalls nicht "einfache", sondern unter anderem farblich bearbeitete Fotografien sind und die beispielsweise regelmäßig bei Ausstellungen im Gasometer Oberhausen im Fokus stehen.
Ob dieser Weg im Jenseits der klassischen Photographie Andreas Gursky tatsächlich weiterführt ...
Infos zu Andreas Gursky in der Küppersmühle in Duisburg
- MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Philosophenweg 55, Duisburg.
- Laufzeit "Andreas Gursky": 9. September 2021 bis 30. Januar 2022.
- Corona-Regeln ändern sich – bitte vor Besuch informieren, was gilt. Stand 12.09.2021: Ausstellungsbesuch mit Maske, bei Veranstaltungen und Führungen gilt die 3-G-Regel ("geimpft, getestet, genesen").
- Anfahrt: 20-minütiger Spazierweg vom Hauptbahnhof, am besten durch die Fußgängerzone und dann entlang des Ufers des Innenhafens durch den wunderschönen Garten der Erinnerung.
- Öffnungszeiten ab 9.9.2021: Mo / Di: geschlossen, Mi: 14-18:00, Do bis So, feiertags: 11-18:00.
- Am 25. September 2021 wird nach jahrelangem Hin- und Her der Erweiterungsbau eröffnet! Leider ist die Sammlung daher bis zum 25. September 2021 geschlossen.
- Eintrittspreise: für Duisburger donnerstags freier Eintritt! Ausstellungen: 6 € (ermäßigt 3 €*), Gesamtes Haus (Ausstellung + Sammlung): 12 € (ermäßigt 6,00 €*), Kinder bis 16 Jahre: frei, Familien (2 Erwachsene + Kinder): 18 € ganzes Haus (10 € Ausstellungen), Kindergruppen (Schule, Kita, Kinderfreizeit): 2 € pro Kind und Betreuer.
- Die Webpräsenz der Küppersmühle ist an die Stiftung für Kunst und Kultur in Bonn angeheftet und wirkt in ihrer Unvollständigkeit und Unübersichtlichkeit lustlos fabriziert.
- Der praktisch wortlose Katalog zur Ausstellung mit vielen Abbildungen in schlechter Qualität ist sein Geld nicht wert.
Führungen, Veranstaltungen und Begleitprogramm Andreas Gursky
Bei Veranstaltungen und Führungen gilt die 3-G-Regel ("geimpft, getestet, genesen").
- KUMI – Kunstmittwoch, ab 22.09.2021, Führung immer mittwochs um 15:00. Nachweis der 3-G’s. Der erste KUMI am 22. September 2021.
- Sonntagsführung, ab 19.09.2021, immer sonntags um 15.00 Uhr, Nachweis der 3-G’s. Erste Führung am 19. September 2021.
- Workshop – Fotografie von Architektur und Kunst, 12.09.2021 – ausgebucht!
Infos zu Andreas Gursky
Andreas Gursky (*1955 in Leipzig), studierte zunächst an der Folkwang-Universität in Essen bei Otto Steinert und Michael Schmidt, dann – wie Thomas Ruff - in der "Becher-Klasse" an der Kunstakademie in Düsseldorf, wo er auch heute lebt und arbeitet. Mehr Infos.
Autor:Vera Kriebel aus Dortmund-West |
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