Friss oder stirb
Aus: Gute Nacht und träume süß - Schauer-Short-Storys
Das Kreischen der Säge war bis in die hinterste Ecke des Gewerbegebietes zu hören. Schmerzhaft verzog ich das Gesicht. Zu scheußlich klang dieser Ton. Manchmal erinnerte er in seiner Intensität an den Bohrer eines Zahnarztes. Aber an diesen wollte ich nun nicht unbedingt denken. Ich überquerte das Werksgelände und hielt zielstrebig auf das letzte der Gebäude zu, die in einer Reihe rechts von den Verarbeitungsstätten standen. Mein Ziel war das Büro des Werksleiters.
„Moin,“ erwiderte er wortkarg auf meinen Gruß. „Was gibt es?“. „Chef, Sie sollten sich das einmal anschauen. Die letzten Chargen Fleischabschnitte die angeliefert wurden erscheinen mir nicht ganz astrein.“ „Was ist denn damit los?“ „Nun, sie müffeln.“ Erwartungsvoll sah ich ihn an. Er sah von seinen Papieren hoch und blickte mich an. „Sie sollen nicht schnüffeln sondern arbeiten. Alles Andere geht Sie nichts an. Oder wollen Sie sich nach einer anderen Arbeit umsehen?“ Erwartungsvoll blickte er mich an. „Nein, dass nicht, aber……“ „Was aber? Haun Sie ab an ihre Arbeit, sonst können Sie sich Ihre Papiere gleich im Lohnbüro abholen.“ Ohne eine weitere Antwort abzuwarten widmete er sich wieder seinen Papieren. Er beachtete mich nicht weiter. Ich war für ihn Luft. Ich drehte mich also um und verließ das Büro.
Was tun? Fieberhaft überlegte ich was ich machen könnte ohne Gefahr zu laufen, meinen Arbeitsplatz zu verlieren. Mir musste unbedingt etwas einfallen. Zuerst aber kehrte ich an meinen Arbeitsplatz zurück. Niemand sollte Grund haben, sich über mich zu beschweren.
Die Sägen sägten weiter. Die Tierknochen die angeliefert wurden, wurden einer groben Zerkleinerung zugeführt, ehe sie später zermahlen wurden. Sie fielen zunächst nicht in meinen Interessenbereich. Was mich viel mehr interessierte war die Weiterverarbeitung von Frischfleisch, welches hier durch die Zerkleinerungsanlagen lief und in der großen Trocknungsanlage zu Trockenprodukt verarbeitet wurde. Das getrocknete, gemahlene Fleisch aus Geflügel-, Schweine- und Rinderresten kam später als Trockenpulver als Instand Suppen und Instand Soßen in Gläsern und Tüten in die Küchen unserer Mitbürger. In letzter Zeit war mir nun aufgefallen, dass diese Fleischlieferungen einen Ekel erregenden Geruch verströmten. Aber niemand außer mir nahm anscheinend daran Anstoß. Ich musste der Sache unbedingt auf den Grund gehen.
Die nächste Nachtschicht stand an. Am Tor 1 standen zwei große LKW’s beladen mit einigen Tonnen Fleisch in ihren Containern. Der Pförtner überprüfte die Papiere und dirigierte die Fahrer zu den Rampen am Ende des Firmengeländes. Ich entschuldigte mich bei meinem Kollegen mit den Worten, zur Toilette zu müssen und verließ die Halle. Unbemerkt schlich ich mich im Dunkeln an der Hallenwand entlang bis hin zu dem LKW, der mir am nächsten stand. Die Ware kam aus einem anderen Bundesland von einer Firma, die ich hier verständlicherweise nicht nennen möchte, aus Angst vor späteren Repressalien. Der LKW hatte rückwärts angedockt und den Container an der Entladeschleuse angeschlossen. Das Fleisch nahm nun seinen Weg in die Trichter zur Weiterverarbeitung. Als der Container leer war erhielt der Fahrer ein akustisches Signal. Er zog den LKW von der Rampe ab und fuhr mit offener Ladeklappe auf die andere Seite des Geländes. Schnell schwang ich mich in den Container in der Hoffnung, von niemandem bemerkt worden zu sein. Ein ekliger Geruch stieg mir in die Nase. Nicht der Geruch von kaltem, blutigem Fleisch, welcher auch nicht gerade angenehm war, sondern von verdorbenem Fleisch. Mein Magen begann sich zu drehen und ich musste mich übergeben. Ich rutschte an die Ladeklappe und sog tief die frische Luft ein. Ich musste mich beeilen, denn der Fahrer hielt am Begrenzungszaun an. Aber ich hatte Glück. Er stieg aus, steckte sich eine Zigarette an und inhalierte tief ein. Vorsichtig, um keinen Lärm zu machen, zog ich Handschule an und holte einen Gefrierbeutel meiner Kitteltasche. Schnell begann ich herumliegende Fleischreste in den Beutel zu raffen. Als der Beutel voll war, steckte ich ihn in meine Tasche und ließ mich vorsichtig aus dem Container gleiten. Nicht eine Sekunde zu früh, denn kaum war ich um den LKW herumgeschlichen, kam von der anderen Seite der Fahrer um den Container zu schließen und wieder vom Hof zu fahren. Ich hatte festgestellt, dass es sich nicht um einen Kühlcontainer handelte sondern um einen ganz normalen Container, in dem normalerweise nur Unverderbliches transportiert werden darf. Wie es schien wurde hier ganz schön gegen die bestehenden Vorschriften zum Transport von verderblichen Lebensmitteln verstoßen. Den Vorgang wiederholte ich an 5 darauf folgenden Tagen und hatte somit ungefähr 5 Pfund verdorbenes Fleisch „einkassiert“.
Eine Woche später stand ich wieder im Büro des Chefs. „Was wollen Sie schon wieder hier?“ baffte er mich an. „Ganz offiziell melden, dass die angelieferte Ware verdorben ist und in ungekühlten Behältnissen angeliefert wird.“ Er starrte mich an und ich starrte zurück. „Was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie sind entlassen, holen Sie sich ihre Papiere und wenn Sie sich unterstehen solche Behauptungen an die Öffentlichkeit zu geben, dann gnade Ihnen Gott.“ Er war aufgesprungen. Zornesröte hatte sein Gesicht überzogen. Mit zittriger Hand wies er auf die Tür. „OK,“ sagte ich. „OK:“ Er hatte damit einen Fehler gemacht. Und er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte; einen gravierenden Fehler.
Ich verließ das Büro und ging zurück an meinen Arbeitsplatz. Der Schichtführer und meine Kollegen wussten bereits Bescheid. „Du Arschloch, warum kümmerst du dich um Sachen, die dich nichts angehen? Es kann dir doch egal sein, was die hier verarbeiten. Das hast du nun davon.“ Sie kamen nicht einmal auf die Idee, dass sie sich durch Ihr Wissen und Schweigen zu Mittätern gemacht hatten. Ich zuckte nur die Schultern, zog meinen Kittel aus, sagte „Hasta la Vista“ und ging.
Ich ging nicht an die Öffentlichkeit, ich hatte etwas viel Besseres vor. Meine 6 entwendeten „Fleischproben“ lagen in ihren Gefrierbeuteln sauber nebeneinander in der Tiefkühltruhe. Allerdings in einer Tiefkühltruhe, die nicht eingeschaltet war. Die Truhe stand in einer nicht mehr benutzten Baubaracke, die nach einer letzten Baumaßnahme vergessen am hintersten Ende auf dem Firmengelände stand. Der Begrenzungszaum war hier – wahrscheinlich von einigen Kindern – herunter getreten und somit war es leicht darüber zu klettern. Die Tür der Baracke hatte ich vorsorglich mit einem Schloss versehen, so dass niemand ohne weiteres hinein gelangen konnte. Und das hatte offensichtlich auch noch niemand versucht. Ich schloss die Tür auf, begab mich ins Innere und zog die Tür wieder hinter mir zu. Es war später Nachmittag und nur noch spärliches Licht erhellte den kleinen Raum, aber mir genügte es. Ich öffnete die Tür der Gefriertruhe und besah mir meine Schätze. „Ja, ihr habt euch prächtig gemacht. Noch zwei Tage, dann ist es soweit, dann habt ihr euern großen Tag!“ Ich nahm einen Beutel nach dem anderen aus der Truhe und hielt sie hoch. Was ich sah, erfreute mein Herz und schon morgen sollte es auch das Herz eines anderen erfreuen. Ich verschloss die Tür der Baracke und ging nach Hause. Nach einem köstlichen Abendessen gönnte ich mir einköstliches Glas Wein und ging früh zu Bett.
Der nächste Morgen begann mit einem leichten Nieselregen, der mir sehr gelegen kam. Es würden sehr viel weniger Menschen auf der Straße sein, die mich eventuell sehen könnten. Geschützt durch eine Schirmmütze die ich mir weit in die Stirn gezogen hatte fuhr ich mit einem Fahrrad schnell die Straße entlang Richtung der Firma, die wissentlich verdorbenes Fleisch verarbeitete und weiter vertrieb. Ohne Skrupel nur auf Profit bedacht, ohne dass die Menschen in dieser Stadt auch nur ahnten, was da vor ihrer Tür vor sich ging. Bis auf die wenigen, die dort ihren Arbeitsplatz hatten und dieses miese Spiel mitspielten. Aber nicht mehr lange. Dafür wollte ich schon sorgen, ich und mein kleiner Freund.
„Moin Chef.“ Herausfordernd sah ich ihn an. Vor Verblüffung fehlten ihm erst einmal die Worte. Um so mehr fing er dann an zu toben. „Was wollen Sie hier? Wie sind Sie auf das Firmengelände gekommen? Ich werde den Wachdienst rufen.“ Schon lag seine Hand auf dem Telefonhörer, aber meine Hand war schneller. „Langsam Chef, schau mal, was ich hier für dich habe.“ Mit glanzvollen Augen blicke ich auf meinen kleinen Freund, der wie von Zauberei plötzlich in meiner rechten Hand lag. Entsetzt blickte er auf die Waffe. „Mensch, mach ja keinen Scheiß, wir können über alles reden.“ „Nein, können wir nicht. Wir machen jetzt einen kleinen Spaziergang. Und, keine Auffälligkeiten, sonst…..“ Bedeutungsvoll blickte ich auf den Revolver. Er wurde blass wie ein Kalkeimer. Auf meinen Wink hin verließen wir sein Büro und gingen in scheinbar guter Eintracht neben einander her. Ich dirigierte ihn ans Ende des Werksgeländes in die alte Baracke. Ich gab ihm den Schlüssel und befahl ihm das Schloss an der Tür zu öffnen. Mit zittrigen Fingern gelang ihm das nach dem zweiten Anlauf. Ich stieß ihn hinein und befahl ihm, sich auf einen Stuhl zu setzen. Der Stuhl stand an einem etwas wackeligen Tisch. Ich hatte eine weiße Tischdecke darauf gelegt und ihn mit weißem Geschirr, mit Messer und Gabel und Servietten eingedeckt. Selbst ein Weinglas und eine Flasche Wein standen neben dem Teller. Ich hatte mir überlegt, dass ein kleiner Blumenschmuck eigentlich auch nicht fehlen durfte. So hatte ich ein paar Wildblumen auf der Wiese gepflückt und sie in ein Wasserglas gestellt. Es sah alles sehr appetitlich aus. Aber das sollte sich bald ändern.
Ich öffnete die Tür des Gefrierschrankes und holte einen Beutel hervor. Ich hob ihn hoch und sah erfreut, wie es sich in dem Beutel regte und bewegte. Vorsichtig drehte ich mich um und hielt ihm den Beutel unter die Nase. „Na, sieht das nicht appetitlich aus? Wie hättest du es denn gerne zubereitet? Gekocht oder gebraten? Als Auflauf oder als Pastete? Auch eine Suppe könnte ich Ihnen daraus machen. Das ist doch das Hauptprodukt dieser Firma, oder?“ Ein bisschen Wahnsinn spiegelte sich in meinen Augen und er bemerkte zu seinem Entsetzen, dass ich es wahr machen würde. Ich schaltete den verschmutzten Gaskocher an und stellte eine übrig gebliebene Pfanne auf die Flamme. Als sie heiß war, nahm ich ein wenig mitgebrachtes Fett aus einer Tupper Dose und ließ es zerlaufen. In meinem Fundus hatte ich auch noch eine Zwiebeln und rohe Champignons die ich, um Zeit zu sparen bereits zuhause geputzt und klein geschnitten hatte. Auch die kleine rohe Möhre und das Lauch waren schon bereit, in der Pfanne zu schmoren. Alles entfachte einen köstlichen Geruch und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Noch ein bisschen Salz, etwas Pfeffer. „Die Petersilienblätter hebe ich am Ende roh unter das Gericht, dass ist Ihnen doch recht?“
Fragend sah ich ihn an. Sein Gesicht war kalkweiß und er zitterte am ganzen Körper. „Das ist nicht Ihr Ernst, so etwas können Sie doch nicht machen!“ „Warum nicht? So was machen Sie doch jeden Tag. Zentnerweise verarbeiten Sie verdorbenes Fleisch, was schadet Ihnen da so ein kleines Pfund?“ Das Gemüse war schön angeschmort. Ich nahm den Gefrierbeutel und öffnete ihn. Ich musste mich abwenden um nicht zu erbrechen. Mit zugehaltener Nase schüttete ich den Inhalt in die Pfanne. Es wand und drehte und krümmte sich zuhauf. Mir selber war so elend zumute, dass ich nur mit Mühe die Masse umrühren konnte. Er versuchte einen Ausbruchversuch, aber mein Freund zeigte ihm schnell, wo es lang ging. Nämlich an den festlich gedeckten Tisch.
Nach 5 Minuten schaufelte ich ihm die ganze Masse auf den Teller und vergaß nicht, die fein gehackte Petersilie darüber zu streuen. Ich stellte den Teller vor ihn auf den Tisch, entsicherte die Pistole, zielte auf ihn und sagte: „Friss oder stirb!“
Autor:Ingrid Lenders aus Duisburg |
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