Fortsetzungsgeschichte: "Im Jahr des Herrn" (Zeitinsel-Saga) - Kapitel 5
Käptn Hansen und seine Freunde haben die Iberische Halbsinsel erreicht, es gibt ein wenig Zoff und eine der schwarzen Kisten gibt ihr Geheimnis preis ...
5. Iberisches Intermezzo
Vier Monate später …
Es war wieder Frühling geworden und das Schiff hatte mittlerweile die iberische Halbinsel erreicht. Die Fahrt dorthin hatte etwas länger gedauert, als der Kapitän ausgerechnet hatte. Erst hatte man Holland durchquert - vielmehr das, was einmal Holland werden würde und dann die Rheinmündung erreicht, die gänzlich anders aussah und viel schwerer zu befahren war, als im 21. Jahrhundert.
Die erste größere Rast hatte der ZENTAUER an der nord-französischen, pardon nord-gallischen Küste gemacht, nachdem die Winterstürme an Kraft zugenommen hatten und eine Weiterfahrt über das offene Meer für das Schiff und seine Besatzung viel zu gefährlich geworden wäre.
Beim Landgang trugen die Männer eine zeitgemäße Kleidung, die Hanna und Jenny aus den groben Wollstoffen geschneidert hatte, die sie aus Duisburg mitgebracht hatten. Die Reisenden hatten ein Eingeborenendorf besucht, wo man frisches Gemüse und Kohle gegen die mitgebrachten Eisenwaren eingetauscht hatte. Da die Männer weder die gallische Sprache beherrschten noch genug Latein sprachen, hatten sie sich als Nordmänner ausgegeben und sich mit den Eingeborenen überwiegend über Handzeichen verständigt.
Die Gallier hatten keinen Verdacht geschöpft und waren freundlich und hilfsbereit gewesen, insbesondere „der kleine Asterix“, wie der Dicke Fitti später lachend erzählte. »Der kleine Gallier sah genauso aus wie der Asterix aus den Comics und er hat auch genauso gekuckt.«
»Ja, ja. Ich nähe Dir morgen eine blau-weiß gestreifte Hose und dann gehst Du glatt als Obelix durch«, grinste Hanna sinnend. Sie reichte ihm einen Apfel: »Na, ein Wildschweinchen gefällig?«
Drei Wochen später war der Frühling gekommen, das Wetter war besser geworden und sie hatten weiterfahren können. Außer den üblichen Stopps zur Frischwasseraufnahme hatte es noch einige wetterbedingte Fahrtunterbrechungen gegeben; z.B. an der Südküste der Bretagne, in einer Bucht in Aquitanien und an der Nordküste der Iberischen Halbinsel. Alle drei Regionen waren zur Zeit der römischen Besatzung nur dünn besiedelt gewesen; trotzdem hatte es Eingeborenenkontakte und Tauschhandel gegeben.
»Nach den Karten heißt das Kap, das wir vorgestern passiert haben, Kap Finisterre, abgeleitet von finis terrae, was soviel heißt wie …«
» … das Ende der Welt«, knurrte Hilmar Hansen und grinste Hanna Schreiber an. »Ich habe meine Latein-Lektionen inzwischen gelernt, Mädchen.«
»Mädchen? Ich bin 33 Jahre alt, Herr Kapitän.«
»Aber Du könntest meine Tochter sein. Sogar die Haarfarbe passt«, lachte der Kapitän, schob seine Mütze in den Nacken und zeigte stolz auf den Kranz seiner roten Haare. Er blinzelte in die warme Frühlingssonne. »Wir erreichen die Mündung des Duero. In 2000 Jahren wird es hier leckeren Wein geben und noch leckerere Mädels.«
»Guten Wein müsste es da schon jetzt geben. Schon die Griechen haben die Reben nach Lusitanien gebracht, dem heutigen Portugal«, erwiderte Hanna Schreiber.
»Du bist gut informiert, Mäd …, äh.«
»Ich war beim Deutschen Entwicklungsdienst angestellt. Da kommt man viel rum und lernt eine Menge.«
»Über Wein?«
»Auch über Wein, Käpt´n«, lachte Hanna und schob sich eine Strähne ihres roten Haares von der Stirn, »aber noch mehr über Menschen. Besonders über einen gewissen Paolo Riva, dessen Bruder ein Weingut am Oberlauf des Duoro hat ..., äh, es in 2000 Jahren haben wird. Sein Wein soll hervorragend sein.«
»Wein?« fragte der Dicke Fitti, der das Gespräch der beiden Steuerleute mitverfolgt hatte und schnalzte mit der Zunge. »Wäre ja mal wieder Zeit für einen längeren Landaufenthalt. Da hinten scheint es auch so eine Art Hafen zu geben«. Er zeigte auf eine Ansammlung von Häusern am Ufer, die sich um einen einfachen Landesteg gruppierten.
»OK. Wir könnten mal schauen, ob wir ein paar Römer treffen, bei denen wir unsere neuen Lateinkenntnisse ausprobieren können. Und einen guten Wirt, der unsere Eisenpfannen schätzt und uns dafür Essen, Trinken und Unterkunft spendiert. Seid Ihr einverstanden?« Der Kapitän sah in die Runde seiner sieben Begleiter. Als er keine Gegenstimmen hörte, griff er in das Steuerruder und änderte den Kurs des Schiffes.
Wie immer, wenn sie sich bewohnten Ufern näherten, hatte der ZENTAUER seine Dampfmaschine abgeschaltet und das großes Segel gesetzt. Auch jetzt fuhr er, angetrieben nur vom frischen Nordwestwind, langsam in die breite Bucht des Duero ein.
»Wer mag das sein?«
»Nordmänner. So sehen Nordmänner aus. Groß mit Bärten und einige von ihnen haben rote Haare. Wie Nordmänner.«
»Müssen wir Meldung machen?«
»Natürlich.« Der Größere der beiden römischen Soldaten nickte, zog seinen Schwertgürtel fest und straffte seinen Körper: »Aber erst hören wir uns mal an, was die Nordmänner bei uns in Porticia wollen.«
»Ein seltsames Holz hat dieses Schiff. So glatt und dunkel.«
»Man sagt, die Nordmänner rieben das Holz ihrer Schiffe mit dem Fett riesiger Meerestiere ein«, antwortete der Große.
»Wenn es Nordmänner sind.«
»Ja, wenn es Nordmänner sind.«
»Ave, Soldaten!« Lechti Müller war als erster von Bord gesprungen und auf die beiden Soldaten zugegangen. Zwei Meter vor den Posten blieb er stehen.
»Ave, Reisende. Woher und Wohin?«, antwortete der größere Posten knapp.
»Aus dem Norden. Unser Ziel ist die iberische Küste des Mittelmeeres …, äh, des Mare Internum.«
»Ihr meint das Mare Nostrum«, wies ihn der Soldat zurecht.
»Ja gut, von mir aus auch „unser Meer“ knurrte der große, im Vergleich zu den beiden Soldaten fast schon riesige Mann auf Deutsch.
»Und was wollt Ihr hier in Porticia, Nordmann?«
»Wir sind schon einige Zeit unterwegs, Soldat. Wir brauchen wieder mal festen Boden unter unseren Füßen. Und vielleicht etwas Wein und gutes Essen.«
»Könnt Ihr bezahlen oder seid ihr …«, fragte der kleinere Soldat.
»Wir haben gute Tauschwaren, können gültige Passierscheine vorweisen …«, unterbrach sie die dröhnende Stimme des Kapitäns des ZENTAUER von der Reling her, »und wir sind harmlose Reisende!«
»Ihr könnt an Land«, entschied der größere der beiden Soldaten nach kurzem Zögern und trat zur Seite. Sein Kollege folgte ihm.
»Könnt Ihr uns eine gute Bodega und einen Platz zum Schlafen empfehlen, Soldat?« fragte der Dicke Fitti als er die beiden Römer erreicht hatte. »Ich bin etwas ausgehungert …«
»So seht Ihr aber nicht aus, Nordmann. Aber geht zu San Pedro, das große braune Haus dort hinten. Da gibt es Essen und auch einen Platz zum Schlafen.«
»Danke«, murmelte der Dicke Fitti, schulterte seinen Rucksack und winkte den anderen zu, ihm zu folgen.
San Pedro entpuppte sich als beleibter Südeuropäer, der mit seinen knapp 1,60 Meter gerade mal die Schulterhöhe des dicken Fitti erreichte. Er grinste freundlich, als die vermeintlichen Nordmänner sich an eine der beiden Tische setzten und fragte in schlechtem Latein: »Vino? Cervesa? Etwas zu essen? Könnt Ihr zahlen?«
»Wein für die Frauen und Bier für uns. Und etwas von der Gemüsesuppe, die dahinten brodelt«, antwortete der Kapitän, der sich schon beim Hereinkommen umgesehen hatte. »Und für das alles bekommst Du von uns diese Eisenpfanne hier.« Er hielt dem Herbergswirt die Pfanne hin. »“Made in Germany“, wenn Dir das etwas sagt.«
»Hä?« Der Wirt nahm die schwere Pfanne und betrachtete sie interessiert. Dann nickte er und nahm die Pfanne mir nach hinten.
Kurze Zeit später erschien er mit zwei Krügen in den Händen und goss die Becher voll, die auf dem Tisch standen.
Eine Schüssel Gemüsesuppe und einen weiteren Becher Bier später machte sich ein zufriedenes Lächeln auf den Gesichtern der Reisenden breit.
»Soweit, so lecker«, lächelte Jenny Schreiber und schob sich eine Strähne ihres blonden Haares hinter das linke Ohr. »Und wie geht es jetzt weiter? Bleiben wir ein paar Tage hier oder fahren wir sofort weiter nach Süden? Nach Gibraltar und dann die spanische Küste wieder hoch. Was wollen wir übrigens da?«
»Wie wir es ausgemacht haben. Die römische Kultur erleben und Latein lernen«, antwortete Urs Müller.
»Aber warum gerade Spanien? Das hätten wir in Italien doch viel besser gekonnt.«
»In der spanischen Provinz fallen ein paar seltsame Fremde und ein noch seltsameres Schiff nicht auf. In Rom schon! Viel zu gefährlich.«
»Und außerdem …«, setzt Hilmar Hansen zu einer weiteren Antwort an, als ein schrilles Dröhnen die Ruhe in der Bodega brutal zerriss …
»Die Schiffssirene! Unser ZENTAUER schreit um Hilfe!« schrie der Kapitän und sprang auf. Auch die anderen Mitreisenden sprangen jetzt auf und stürzten nach draußen.
»Das ist der Franz, der da ruft«, schrie Lechti Müller im Laufen. »Er hat die Wache auf dem Schiff übernommen und die Sirene ausgelöst.«
Zum Glück waren es bis zur Anlegestelle ihres Schiffes nur wenige hundert Meter und schon früh konnten sie die Gestalten im Licht des Abendrots erkennen: Soldaten mit erhobenen Kurzschwertern, die dabei waren, das Schiff zu entern! Sie wurden von dem groß gewachsene Franz Helmer erwartet, der auf dem Dach des Deckaufbaus stand. Als er seine Freunde kommen sah, griff er nach einem Gegenstand an seinem Gürtel und schleuderte ihn mitten unter die Angreifer. Er schrie: »Granate!«
Lechti begriff und rief den Anderen zu: »Schnell! Die Hände vor die Augen, Daumen auf die Ohren und wegdrehen! Schnell, schnell!«
Selbst durch die geschlossenen Augen und die vorgehaltenen Hände hatte Jenny den grellen Blitz der Blendgranate noch leuchten gesehen und das schrille und Furcht erregende Kreischen gehört. Als es endlich vorbei war, öffnete sie vorsichtig die Augen und sah die Soldaten taumeln. Einige hatten die Orientierung verloren und waren ins Wasser gefallen; andere irrten über den Steg.
»SEK-Restbestände. Ausgesondertes Zeug. War billig zu kriegen«, sagte Lechti, als sich der Lärm gelegt hatte. »Blend- und Heulgranaten. Harmlos, aber wirkungsvoll!«
Er nahm dem ersten Soldaten, der auf ihn zugetaumelt war, das Schwert aus der Hand, drehte ihm die Arme auf den Rücken und fesselte seine Hände mit einem schwarzen Kunststoffband. Mit zwei anderen Gegnern verfuhr er genauso, ehe Franz Helmer heran war und ihm half, weitere Soldaten zu entwaffnen.
»Die waren plötzlich da und wollten auf´s Schiff«, erklärte Franz Helmer kurz, während er die Römer mit Plastikbändern aneinander fesselte. Auch die beiden Soldaten, die ins Wasser gefallen waren und vom Dicken Fitti und Urs Müller herausgezogen worden waren, erhielten von ihm die gleiche Behandlung.
Franz Helmer ging vor der Reihe der gefangenen Römer auf und ab und bellte: »Wer ist Euer Anführer?« Niemand reagierte.
»Wollt Ihr noch mehr Grausamkeiten aus dem Orcus kennen lernen, Römer?« Franz streckte sich, sodass seine ganzen 192 Zentimeter zur Geltung kamen. Das reichte.
Eine Hand kroch vorsichtig nach oben und ein leises „Ich“ erklang: »Centurio Drusus. Leiter der Wach-Kohorte von Porticia.«
»Warum habe Ihr uns angegriffen?« fragte der Kapitän. »Wir haben uns ordentlich angemeldet und über Herkunft und Ziel der Reise Auskunft gegeben. Außerdem sind wir im Besitz gültiger Passierscheine für das gesamte römische Reich! Also wieso?«
»Wieso was«, fragte der Centurio zurück.
»Wieso habt Ihr uns angegriffen?«
»Kortenus und Franta, die beiden Soldaten, die Euch bei der Ankunft befragt haben. Sie haben uns von Eurem seltsamen Schiff erzählt. Da mussten wir nachsehen.«
»Das ist ein gaaaanz normales Reiseschiff von uns Nordmännern, Centurio. Nichts Besonderes! Außer dass es gewissermaßen exterritoriales Gebiet ist; quasi ein Stück Nordland. Und da gilt: Betreten verboten, Römer!«
»Ihr seid in einer Provinz des Römischen Reiches und wir sind verpflichtet, alle Schiffe zu kontrollieren …«, begann der Centurio, doch der Dicke Fitti griff in das Uniformhemd des Centurio und zog den Mann mühelos zu sich heran. Er knurrte: »Du hast nicht zugehört, Römer. Kein Fremder betritt ein Nordmann-Schiff! Nur wir Nordmänner, capisco.«
»Ja, ja. Ist ja gut«, sagte der Offizier leise. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Uns reicht´s! Wir werden Eure zweifelhafte Gastfreundschaft nicht mehr länger in Anspruch nehmen und weiterreisen. Vorher hätten wir aber gern noch ein paar Auskünfte von Euch, wenn ihr schon mal da seid.«
Der Centurio nickte resignierend: »Was wollt Ihr wissen?«
»Im Nordmannreich erzählt man sich von einer wunderschönen Stadt in Iberien. Sie soll am Ufer des Mare Internum liegen; in einer weiten Bucht«, sagte der Kapitän. »Dort soll es Märkte geben, wo wir tauschen können und Bodegas, wo wir es uns gut gehen lassen können.«
»Ihr meint bestimmt Carthago Nova. Der dortige Markt ist dem Kaiser Tiberius gewidmet und man bietet dort Dinge aus allen Provinzen des Reiches feil. Silber aus den Minen des Hinterlandes und sogar Seide aus dem fernen Indien.« antwortete der Offizier.
»Carthago Nova, das spätere Cartagena«, murmelte Urs Müller leise auf Deutsch. Laut sagte er: »Das dürfte die Stadt sein, die man uns geschildert hat. Und Tiberius ist noch immer Kaiser in Rom?«. Der Centurio nickte: »Schon seit achtzehn anni, Nordmann. Und seit drei anni regiert er allein; ohne seine Mutter.«
»Danke Centurio. Und gute Nacht!« Er wandte sich ab und ging auf das Schiff zu. Die anderen folgten ihm.
»Hey, was ist mit den Fesseln?«. rief einer der Soldaten hinter ihnen her.
» … fallen von alleine ab. Vielleicht morgen früh oder nächste Woche oder vielleicht auch gar nicht«, lachte der dicke Fitti, löste die beiden Taue, mit denen der ZENTAUER am Steg festgemacht war, ging auf das Schiff und zog die Planke hinter sich her, die das Schiff mit dem Steg verbunden hatte. Urs und Lechti setzten das Segel und der Kapitän steuerte den Schlepper aus der Bucht heraus.
Noch in Sichtweite der Küste, aber weit genug entfernt, um die Annäherung einer etwaigen römischen Strafaktion rechtzeitig zu bemerken, ließen sie den Treibanker des Schiffes zu Wasser und den Abend gemütlich ausklingen.
Nachdem die anderen schlafen gegangen waren, traf sich Urs noch mit seinem Bruder Lechti.
»Der Centurio sprach davon, dass Tiberius schon seit 18 Jahren regiere und vor drei Jahren seine Mutter und Mitregentin, sie hieß übrigens Livia, gestorben sei. Mein kleines schlaues Buch sagt, dass wir demnach das Jahr 32 n. Chr. schreiben«, sagte Urs leise und sah seinen Bruder an. »Das heißt, wir wären rechtzeitig …«
»Ja«, flüsterte Lechti Müller.
»Habt ihr noch mehr von diesen kleinen bösen Überraschungen dabei«, fragte Hanna Lechti am nächsten Morgen; der ZENTAUER hatte die Bucht von Porticia mittlerweile verlassen und Kurs Süd genommen. »Mir fiepen die Ohren noch immer.«
»Wir kennen uns mit Blend- und Heulgranaten ganz gut aus. Franz und ich waren früher beim Sondereinsatzkommando der Polizei, dem SEK. Und als SEKler wussten wir natürlich, was das Polizeipräsidium in seinen Arsenalen hat. Und mit ein klein wenig Überredungskunst …«
»Habt Ihr noch mehr dabei? Schlimmeres?«
»Noch ein bisschen was; für Notfälle. Aber gut gesichert und fest verschlossen.«
(Fortsetzung folgt)
Autor:Uwe Kirchberg aus Duisburg |
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