Fortsetzungsgeschichte: "Im Jahr des Herrn" (Zeitinsel-Saga) - Kapitel 10
10. Der Fall Obelix und andere Voyeure
Während Kapitän Hansen und seine Freunde Vorbereitungen treffen, Cartagena zu verlassen und sich auf den Weg ins Heilige Land zu machen, wenden wir uns zwei Leuten zu, die im Duisburger Norden auf dem linksrheinischen Pylon der Autobahnbrücke über den Rhein als Beobachter Dienst tun:
Vor wenigen Minuten war die Sonne aufgegangen und hatte das breite Band der 6-spurigen Autobahn in ein warmes, rotgoldenes Licht getaucht. Die Autobahn 42, die an dieser Stelle über den Rhein führte, verband die Industrieregion im Duisburger Norden mit dem linksrheinischen Wohn- und Naherholungsgebiet in Baerl.
Die beiden Beobachter in der Spitze des 67 Meter hohen westlichen Pylons der Beeckerwerther Rheinbrücke im Duisburger Norden wischten sich die Müdigkeit der Nachtschicht aus den Augen und starrten sprachlos auf das, was den beiden Beobachtern jetzt auf der nördlichen Fahrbahn entgegenkam …
Erich Vonnickel legte sein Fernglas zu Seite und sah seinen Freund Manfred Stücklen an: »Dat glaub´ste jetzt nicht, Manni. Kuck Dir dat mal an. Da hinten kommt ein Haufen Römer anmarschiert. Vorneweg drei Reiter und dahinter jede Menge Fußvolk. Wat die bloß wollen.«
»Lass mal sehen«, antwortete Manfred Stücklen und nahm das Fernglas seines Freundes.
»Tatsächlich. Hunderte von denen, vielleicht sogar Tausend oder mehr …«
»Ich geb sicherheitshalber mal Alarm«, sagte Erich Vonnickel, griff zum Funkgerät und wählte die Alarmfrequenz: »Hier Posten Nordwest II, Beeckerwerther Rheinbrücke, Erich Vonnickel spricht. Wir haben eine Beobachtung: Auf der A42 marschiert ein Haufen Römer auf die Stadt zu. Sind gleich in Höhe der Ausfahrt Baerl. Wir schätzen, dass es mehr als tausend Mann sind. So wie es aussieht, sind die bewaffnet. Ich wiederhole …«
Was Erich Vonnickel und Manfred Stücklen nicht wussten, war, dass die Alarmfrequenz der Grenzposten einen Tag vorher geändert worden war. Leider war die entsprechende Notiz aber im Wachbüro Nord liegen geblieben und hatte die Mitarbeiter der Beobachtungsstelle Nordwest II nicht erreicht.
Und so kam es, dass der Alarmruf nicht bei der Polizei und der neu aufgestellten Miliz landete, sondern bei der Verkehrszentrale von Radio Duisburg. Und weil der dort Dienst habende Redakteur von der langen Nachtschicht völlig übermüdet war, begriff er gar nicht, was er da las und in den Äther hinaus posaunte:
Vorsicht! Auf der A42 in Fahrtrichtung Kamp-Lintfort kommt Ihnen in Höhe der Ausfahrt Duisburg-Baerl ein Haufen Römer entgegen. Fahren Sie bitte äußerst rechts und überholen Sie nicht. Wir melden uns wieder, sobald die Gefahr beseitigt ist. Ich wiederhole …
Es dauerte nicht einmal 30 Minuten bis die Autobahn 42 und die Rheinbrücke voller Fahrzeuge, die in breiter Phalanx langsam über die Autobahnbrücke Richtung Baerl rollten und deren Fahrer nur ein Ziel kannten: Römer kucken!
Für die Polizei und die erst kürzlich aufgestellte Miliz, die die Radiosendung ebenfalls gehört hatten, war hingegen der „Fall Obelix“ eingetreten: Entgegen aller getroffenen Vereinbarungen und Absprachen marschierten die Römer auf die Stadt zu und sie schienen keine friedlichen Absichten zu hegen.
500 Polizisten und 2.000 frisch ausgebildete Milizsoldaten machten sich auf den Weg, ihre Heimat zu verteidigen. Sie schafften es gerade bis zur Ausfahrt Beeckerwerth - ab da versperrte eine Armada von Privatwagen jede Durchfahrt auf die Autobahnbrücke. Auch der Versuch, mit dem Einsatz von Blaulicht ein Durchkommen zu erzwingen, scheiterte; er erzeugte auf den gespannten Gesichtern der überraschend furchtlosen Autofahrer höchstens noch ein spöttisches Lächeln …
*
Die Männer der XX. Legion mit dem stolzen Namen „Valeria“ hatten ihren Standort in der Nähe des heutigen Neuss vor knapp zwei Wochen verlassen und waren auf verschlungenen Wegen bis in die Nähe des heutigen Kamp-Lintfort gelangt. Dort hatten sie in einem großen Waldstück campiert und waren im Schutz der Dunkelheit bis zum Autobahnkreuz Kamp-Lintfort vorgedrungen, wo gerade Bauarbeiten stattfanden, weswegen die elektronische Sicherung des Schutzwalls und die Kameraüberwachung teilweise ausgefallen war.
Die Legionäre hatten die Nacht abgewartet, waren über die Sperren auf die Autobahn geklettert und über die Autobahn nach Osten marschiert.
Ihr Führer, der Legat Valerius, ritt voraus; ihm folgte der mittlerweile zum Zenturio ernannte Bombasticus und ein weiterer Zenturio. Kurz vor der Brücke zügelten sie ihre Pferde und gaben das Kommando zum Stoppen. Nachdem die Soldaten der Legion angehalten hatten, ritten Valerius und Bombasticus bis zur Mitte der Brücke, wo sie auf den Oberbürgermeister und seinen Latein-Dolmetscher trafen. Valerius ergriff das Wort: »Es ist uns berichtet worden, dass das schwarze Schiff, das im vorigen Jahr den Rhenus hinuntergefahren ist, in Lusitanien einen Posten des Reiches angegriffen hat und kurz darauf beinahe eine Bireme der römischen Flotte versenkt hat. Damit sind die Bedingungen unserer Vereinbarung durch Euch gebrochen worden. «
»Kann es sein, Valerius, dass sich die Besatzung des ZENTAUER nur verteidigt hat? « fragte
der Oberbürgermeister und der Dolmetscher übersetzte.
Valerius winkte ab: »Darüber habe ich keine Informationen und das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Das Oberkommando hat entschieden, die Stadt zu besetzen und unter römischer Verwaltung zu stellen. Räumt den Übergang, damit meine Legionäre ihre Pflicht tun können! Ihr habt eine Stunde.«
*
»Wir müssen Zeit gewinnen«, sagte der stellvertretende Polizeipräsident Ullrich Wirtz nach der Rückkehr des Oberbürgermeisters und sah auf seine Armbanduhr. »Ich habe da nämlich eine Idee, wie wir das Ganze ohne Blutvergießen zu Ende bringen können.«
»Wie viel Zeit?« fragte der Oberbürgermeister, der sich mit dem stellvertretenden Polizeipräsidenten im vorderen Panzerwagen getroffen hatte.
»Bis Heute Abend.«
»Dann werde ich mal mit den Römern über eine Fristverlängerung reden. Ich denke, das bekomme ich hin. Außerdem müssen wir ja auch die Autofahrer noch irgendwie von der Brücke herunter kriegen.«
Eine halbe Stunde später kehrte der Oberbürgermeister von den erneuten Verhandlungen mit den Römern zurück und nickte Ullrich Wirtz zu: »Fristverlängerung bis Mitternacht.«
Der stellvertretende Polizeipräsident grinste und griff zu seinem Funkgerät. Er rief die Zentrale: »Egon für Egon1001. Bitte kommen.«
»Hier Egon. Was können wir für Sie tun, Herr Vizepräsident?«
»Macht Ihr mir bitte eine Überleitung ins Telefonnetz und verbindet mich mit Dr. Konrad Möller von Thyssen.«
»Machen wir, Egon1001. Einen Moment bitte.«
Nur wenige Minuten später hörte Ullrich Wirtz die Stimme seines Studienkollegen Konrad Möller im Funk: »Hallo Ulli, was kann ich für Dich tun?«
»Hallo Conny. Du hast bestimmt schon gehört, dass wir den „Fall Obelix“ haben. Ich steh hier mit unseren Leuten auf der Rheinbrücke nach Baerl und uns gegenüber stehen ein paar tausend Soldaten der XX. Legion – anscheinend wild entschlossen, nach Duisburg einzumarschieren. Wir können sie natürlich aufhalten, aber das geht nur mit großen Blutvergießen auf beiden Seiten. Ich hätte da allerdings eine Idee, wie wir das ohne Verluste über die Bühne bringen können. Dabei könntest Du mir helfen, und zwar, indem Ihr folgendes macht …«
*
Pünktlich um 21:30 Uhr bewegten sich die beiden vorderen Autos auf der mittleren Spur des wartenden Pulks nach vorn. Mit geringer Geschwindigkeit rollten sie los, bogen aber sofort nach rechts bzw. links ab und parkten an der Seite der Autobahn. Ihnen folgten die beiden nächsten Fahrzeuge, bogen ebenfalls nach rechts und links ab. Jetzt waren die PKW in der dritten Reihe soweit, dann die in der vierten Reihe, u.s.w. Gegen 21:55 Uhr hatte sich in der Mitte des Fahrzeugpulks eine Gasse gebildet, die bis nach hinten reichte, wo die Panzerwagen und Wasserwerfer von Polizei und Miliz bereits ihre schweren Motoren angeworfen hatten. Und exakt um 22:00 Uhr brach die Hölle auf …
Es war für die leitenden Ingenieure von Thyssen nicht schwierig gewesen, einen Abstich aller drei Großhochöfen des rechtsrheinisch direkt neben der Brücke liegenden Duisburger Thyssen-Werks zu organisieren.
Für Menschen, die noch nie einen Hochofenabstich gesehen hatten, sah es so aus, als brächen im Duisburger Norden zeitgleich drei Vulkane aus, aber für die abergläubischen Römer war es, als öffne sich direkt neben der Rheinbrücke die Hölle ...
Und weil sich auf der Brücke gleichzeitig alle Autos hupend in Bewegung setzten und aus ihrer Mitte große schwarze und laut dröhnende Panzer hervorschossen, hatte sich für die Römer nicht nur die Hölle geöffnet, sondern es waren auch die Geschöpfe des Orcus erschienen, um sie als Frevler zu bestrafen, weil sie es gewagt hatten, dem Schlund zu nahe zu kommen.
Valerius und Bombasticus wurden von ihren wild aufbäumenden Pferden abgeworfen, während sich die Legion hinter ihnen bereits in heilloser Auflösung befand. Die meisten Soldaten hatten ihre Waffen weggeworfen und rannten über die Autobahn zurück nach Westen - nur weg von den düsteren Flammen der Hölle und den dröhnenden und fauchenden Ungeheuern der Unterwelt.
*
Carthago Nova, Anfang Oktober im Jahr des Herrn 32:
Als sie Carthago Nova an einem spätsommerlichen Abend verließen, sprach sich das wie ein Lauffeuer in der Stadt herum und viele Bürger hatten sich am südlichen Stadttor versammelt, um sich von ihnen zu verabschieden. Viele Frauen waren darunter, denen die Ärztin Hanna bei Geburten geholfen hatte, ehemalige Legionäre mit fehlenden Körperteilen, denen der Dicke Fitti einfache Rollstühle oder gut sitzende Prothesen gebaut hatte, Köche waren da, die dankbar für die vielen neuen und gesunden Rezepturen waren und natürlich fehlten auch die Fußballer nicht, mit ihren Anhängern. Die Spieler der vier Mannschaften hatten sich etwas Besonderes ausgedacht; sie bildeten ein Spalier vor und hinter dem Stadttor, durch das ihre beiden Trainer, Urs und Lechti Müller, hoch erhobenen Hauptes schreiten und sich bei jedem Spieler mit Handschlag verabschieden konnten.
In der folgenden Nacht lagerten die acht Freunde in der Nähe der Höhle, wo sie den ZENTAUER versteckt hatten.
Kurz nach Sonnenaufgang kletterten Lechti und Franz mit dem Kapitän die Klippen hinunter, holten das Schlauchboot aus seinem Versteck und pumpten es auf. Dann ruderten die Drei in die Höhle hinein.
Für die anderen Reisenden begann jetzt das Warten, denn drinnen musste zunächst RUDI, die Dampfmaschine, angefeuert werden. Brannte das Feuer, mussten Kohlen und Wasser nachgelegt werden, damit RUDI auf Touren kam und der angekoppelte Dynamo genug Strom für die beiden Scheinwerfer liefern konnte. Ohne diese beiden Scheinwerfer, die seinerzeit während der Einfahrt in die Höhle ihren Strom noch aus den Solar-Akkus bezogen hatten, würde Kapitän Hansen große Schwierigkeiten haben, das relative große Schiff durch die engen Höhlengänge nach draußen zu bugsieren.
Doch alles klappte wie gewohnt und drei Stunden später schob sich der alte Rheinschlepper ins Freie. Die beiden Schwestern gingen zuerst an Bord, bis auf einen Sack mit handgefertigten Sandalen und Leder-Handtaschen hatten sie nur ihr persönliches Gepäck dabei. Auch Knut Haberling und Urs Müller hatten sich Sandalen anfertigen lassen, wobei Knut zusätzlich noch einen Korb voller einheimischer Gewürzpflanzen trug.
Schon mehr hatte der Dicke Fitti dabei. In seinem riesigen Rucksack hatten sich eine Menge handwerkliche Schmankerl eingefunden: Wunderschön gearbeitete Degen mit polierten Klingen, Holzbilder mit fein geschnittenen Intarsien und Silberschmuck höchster Qualität.
Das mit Abstand meiste Gepäck hatten die Brüder Urs und Lechti Müller an Bord zu schleppen. Die ehemaligen Trainer waren von ihren Spielern und deren Fans reichhaltig beschenkt worden. Zahlreiche Weinflaschen stapelten sich auf dem Felsabsatz, an den der ZENTAUER angelegt hatte, dazu getrocknete Schinken und Würste, sowie viele kleine Kränze aus Lorbeer oder frischen Blumen.
Nachdem das ganze Gepäck auf den Schlepper verladen war, kümmerten sich Franz und Lechti noch um die Säcke mit Kohlen und die großen Öl-Karaffen, die sie während ihres Aufenthalts in Carthago Nova erworben und in eine Höhle in der Nähe des Schifflagerplatzes gebracht hatten. Trotz der vom Dicken Fitti speziell für den Kohletransport gebauten Schubkarre war es für die beiden Männer eine ziemliche Plackerei; Franz und Lechti sahen danach ziemlich fertig aus, als sie sich in ihre Liegestühle fallen ließen und der ZENTAUER langsam Fahrt aufnahm.
Ein bisschen wehleidig war ihnen allen, doch besonders den beiden Müller-Brüder fiel der Abschied von ihren neu gewonnenen Freunden sichtlich schwerer, als den anderen Mitfahrern. Urs Müller winkte sogar noch zum Abschied, als der frische Wind den ZENTAUER langsam auf das offene Meer hinausschob und im Norden die Umrisse von Carthago Nova schwach im Dunst erschienen.
*
Eine Woche später:
Sie waren schnell vorangekommen. Die frischen Herbstwinde hatten den ZENTAUER bis an die Nordafrikanische Küste begleitet und durch die fast permanente Fahrt unter Segel hatten sie nicht viel von der in Carthago Nova gekauften Kohle einsetzen müssen. Auch die leistungsfähigen Solarzellen auf dem Dach der Kajüte hatten stets genug Strom geliefert, um die Bordinstrumente zu betreiben und die Batterien aufzuladen. Sogar der kleine Kühlschrank in der Kombüse lief jetzt - dank Fittis Umbaukünsten - mit solargeladenem Batteriestrom.
»Was ist eigentlich in den drei Kisten, die im vorderen Laderaum stehen. Zwei davon sind abgeschlossen und die Dritte …«
»Ist leer«, antwortete Franz auf die Frage seiner heimlichen Freundin Hanna, die neben ihm saß, während ihr Schiff an der nordafrikanischen Küste entlang segelte - außerhalb der Sichtweite etwaiger römischer Militärposten.
»In den anderen beiden Kisten sind die Gewehre und unsere besonderen Spielzeuge aus den Beständen des SEK Essen. Beide Kisten sind fest verschlossen. Wir haben aber kleine Löcher hineingebohrt, damit die Kisten bei einer eventuellen Havarie des Schiffes untergehen und ihr Inhalt schnell verrottet. Nicht dass man in 2.000 Jahren gut erhalte G36-Gewehre und Munition auf dem Grund des Mittelmeeres findet.«
»Und die dritte Kiste?«
»Ist, wie gesagt, leer.«
»Ja, das sagtest Du schon. Ich wollte fragen, was Ihr, also Lechti und Du, damit vorhabt?«
Franz Helmer zögerte mit der Antwort und war sichtlich erleichtert, als Hannas Schwester Jenny kam und sich zu ihnen setzte. Sie trug nur eine dünne Bluse über ihrem weißen Bikini und lächelte die beiden an: »Hallo Schwester, hallo Ex-Freund. Was heckt Ihr da gerade aus? Wenn ich nicht genau wüsste, dass es nicht sein kann, würde ich sagen …«
»Vergiss es, Jenny«, sagte Hanna scharf. »Zieh Dir lieber noch was über, sonst hast Du bald einen heftigen Sonnenbrand. Und der täte Deiner angeschlagenen Midlife-Haut ganz bestimmt nicht gut.«
»Ich bin gerade mal zwei Jährchen älter als Du, Schwesterherz. Und wessen Haut jünger aussieht und straffer ist, das wird …«
»Lasst es, Mädels«, unterbrach Franz den aufkommenden Zwist der Schwestern. »Ihr seht beide verteufelt gut aus …, für Euer Alter!«
Franz Helmer war klar, dass seine Bemerkung die Solidarität der Geschwister wecken und er sich ihrem Zorn aussetzen würde. Andererseits war ihm so auch die Antwort auf Hannas Frage nach der 3. Kiste erspart worden - was gut war und ein wenig Ärger lohnte. Er erhob sich, ehe in die Wut der Schwestern erreichen konnte und machte sich auf den Weg an das Heck, wo Knut Haberling eine seiner Kameras zerlegt hatte und gerade dabei war, die Objektive vom Staub zu befreien. Franz trat hinter ihn und sah ihm über die Schulter: »Interessante Kamera.«
»Einen Nikon D300S. Macht verdammt gute Bilder.«
»Ein Profi-Gerät?«
»Ja. Neben der Nikon hab ich aber noch zwei kleinere Digi-Cams dabei. Nikon Coolpix und Canon PowerShot.«
»Lechti und ich haben auch zwei Canons mit«, sagte Franz, »EOS 60 D.«
»Gute Kameras. SemiProfi-Klasse. Wollt Ihr die mit nach Jerusalem nehmen?«
»Ja. Dazu ein leichtes Tele, 70 - 200 L 2.8 und ein lichtstarkes Weitwinkel von Tamron. Und Reserveakkus, Speicherkarten und Solarstrom-Ladegeräte.«
»Die Datensicherung nur über Speicherkarten? Riskant«, sagte Knut, doch Franz Helmer lächelte: »Nein, nicht nur. Wir haben noch zwei spezielle Festplatten dabei. Neuentwicklungen für langfristige Datensicherung.«
»Und was wollt Ihr dort fotografieren? In Jerusalem?«
»Alles, was wir vor die Linse kriegen, Knut. Am ehesten natürlich …, Jesus. Wie er lebte, redete, predigte. Seine Jünger, seine Gegner. Alles, was wir gefahrlos vor die Linse kriegen. Mit Ton; dafür sind die Canons verdammt gut. Wir haben sogar zwei kleine Richtmikrophone dabei.«
Knut Haberling hob den Kopf und sah Franz Helmer fragend an: »Ich wäre verdammt gerne dabei. Die Kreuzigung life und in Farbe, ein Bericht von Knut Haberling. Könnte ich nicht doch …«
»Vergiss es!« antwortete Franz scharf.. Wenn´s schief geht, heißt es im Titel: Der letzte Bericht von Knut Haberling, mit ihm …, am Kreuz.«
»Ganz so drastisch sehe ich das nicht«, widersprach der hagere Pressevolontär, der sich um die Schlagzeile seines Lebens und den Pulitzerpreis gebracht sah, doch Franz Helmer winkte ab. Für ihn war die Diskussion damit beendet.
zwei Tage später:
Der ZENTAUER erreichte die Küste und die Hafenanlagen des alten Carthago in Nordafrika im letzten Licht des Tages. Weil sie alle zu müde für die obligatorische Anmeldeprozedur waren, legten sie nicht am Kai an, sondern ankerten sie in der Hafenbucht. Nachdem das Segel eingeholt war, legten sich schlafen. Der Käpt´n übernahm die erste Wache.
Am nächsten Morgen war Kapitän Hansen wieder einmal als erster auf den Beinen. Zusammen mit dem dicken Fitti und zwei Tassen starken Kaffees standen sie an Deck und beobachteten die Szene, die sich vor ihren Augen abspielte. Der Käpt´n setzte das Fernglas ab und sah den Dicken Fitti nachdenklich an. »Der Kai ist voller Soldaten und es kommen immer mehr hinzu.«
Fitti nahm sich das Glas und sah jetzt ebenfalls hindurch. »Könnte gut sein, dass unsere Ankunft gestern Abend einige Irritationen ausgelöst hat. Du erinnerst Dich an die beiden Posten, die ganz aufgeregt weggerannt sind, als wir in den Hafen einfuhren?«
Der Kapitän nickte stumm.
»Kann ja sein, dass unser ZENTAUER eine gewissen Berühmtheit erlangt hat«, fuhr der Dicke Fitti fort. »Vielleicht die Geschichte in Porticia oder die Sache mit dem römischen Schiff«, mutmaßte er weiter.
»Kann alles sein«, murmelte der Kapitän. »Jedenfalls scheinen die uns zu meinen.« Er zeigte auf zwei Ruderboote, auf denen jeweils 16 schwer bewaffnete Soldaten standen. »Da kommt schon die Wasserschutzpolizei von Carthago angerauscht.«
Ein Mann mit den Rangabzeichen eines Centurio, der am Bug des vorderen Bootes stand, rief sie an: »Ave Fremde! Verlasst den Hafen und segelt weiter.«
»Warum?« fragte der Kapitän. »Wir können gültige Passierscheine für das ganze römische Reich vorweisen und eine Handelserlaubnis.«
»Heute ist ein besonderer Tag. Imperator Tiberius Claudius Nero gibt sich die Ehre seiner Anwesenheit. Er und sein Gefolge werden der aufblühenden Stadt Carthago einen Besuch abstatten. Und wenn der Imperator mit der kaiserlichen Flotte in einen Hafen des römischen Reiches einfährt, darf kein anderes Schiff seinen Blick stören.«
»Tiberius besucht also die afrikanische Provinz und das vor rund 60 Jahren wieder aufgebaute Carthago. Interessant«, sagte Knut Haberling leise, der neben den Kapitän getreten war und ihn jetzt ansah: »Käpt´n, frag doch den Römer bitte, wie weit wir weg sein sollen, wenn die Flotte eintrifft.«
»Du willst Fotos machen?«
»Na klar.«
Kapitän Hansen wandte den Kopf zur Seite und sah auf das offene Meer hinaus. Er glaubte am Horizont schon die Segel der erwarteten Flotte ausmachen zu können und sprach den Centurio darauf an: »Reicht es aus, den Hafen zu verlassen oder müssen wir ganz außer Sicht sein, wenn die kaiserliche Flotte einläuft?« Er zeigte auf den Horizont: »Das könnte nämlich knapp werden.«
»Angesichts der Nähe der Flotte dürfte es ausreichend sein, wenn Ihr Euch hinter die Felsen dort zurückzieht.« Er zeigte auf eine Landzunge, die weit ins Meer hinein ragte und den Hafen im Osten begrenzte.
»Das werden wir tun, Centurio. Danke«, sagte Hansen und gab Hilmar und Lechti ein Zeichen, das Segel zu setzen. Er selbst kümmerte sich um den Anker.
Vier Stunden später schoben sich sechs römische Triremen in den Hafen, deren dreifach gestaffelten Ruderreihen das Wasser im Gleichtakt peitschten. Auf dem vordersten Schiff hatte sich ein Mann aus seinem Thronsessel erhoben, dessen kaiserliche Ausstrahlung sogar bis zu Knut Haberling drang, der sich mit seiner digitalen Spiegelreflexkamera und einem straken Teleobjektiv auf dem Felsen der Hafeneinfahrt versteckt hatte und eifrig Fotos machte. In Gedanken sah Knut schon die Schlagzeile vor seinen Augen: Kaiser Tiberius besucht die afrikanische Provinz; ein Bildbericht von Knut Haberling.
Doch ein kurzes Zupfen an seinem Hosenbein riss den Pressemann aus seinen Träumen. »Es ist besser, wenn wir jetzt so langsam verschwinden. Nicht, dass wir noch Ärger kriegen«, sagte Lechti Müller leise und wies nach hinten, wo der ZENTAUER in der Brandung dümpelte. Knut Haberling nickte, packte die Kamera in seinen Rucksack und schob sich vorsichtig zurück. Erst als ihm der Felsen wieder vollständigen Sichtschutz bot, erhob er sich und ging zum Schiff zurück.
Eine Stunde später brach der ZENTAUER auf und Kapitän Hansen setzte Kurs Osten.
(Fortsetzung folgt)
Autor:Uwe Kirchberg aus Duisburg |
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