Das Künstlerduo Gilbert & George zeigt uns seine "London Pictures"
Die Ausstellung des jüngsten Werkzyklus der britischen Künstler Gilbert & George wird am 17.3.13 um 11 Uhr im Museum MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg in Anwesenheit der Künstler eröffnet.
Rund 70 großformatige und zumeist wandfüllende Werke geben bis zum 30.6.2013 Einblick in den speziellen Blickwinkel der Künstler auf ihre Heimatstadt London.
Schon bei der Pressekonferenz wurde deutlich, dass Gilbert und George zwar zwei eigenständige freundliche ältere Herren sind, beide aber im Laufe ihres gemeinsamen Lebensweges und Arbeitsprozesses zu einer Künstlerperson zusammen geschmolzen sind - der Kunstmarke Gilbert & George.
George (geboren 1942 in Devon, England) und Gilbert ( geboren 1943 in St. Martin in Thurn, Dolomiten, Italien) hatten beide schon zuvor Kunst studiert, als sie sich 1967 bei weiteren Studien an der St. Martin's School of Art in London trafen und beschlossen, gemeinsam zu leben und zu arbeiten.
Zur Pressekonferenz erscheinen beide in dezent karierten Anzügen aus feinem Wolltuch mit grünlichem bzw. gelblichem Grundton. Die Hosen haben einen Umschlag, der auf die braunen geschnürten Lederschuhe fällt. Am Jackett steckt jeweils ein silbriger Kugelschreiber in der äußeren linken Brusttasche. Das adrette, gut gebügelte weiße Oberhemd wird jeweils von der gleichen geschmackvollen Krawatte geziert - Diagonalstreifen mit gemusterten Zwischenräumen in Blau, Rot mit Cremeweiß - "very british".
Zwei anscheinend konservative, zurückhaltend bis etwas scheu wirkende graumelierte Herren erklären mit angenehmer leiser Stimme ihr künstlerisches Schaffen.
Und dieses plakative, laut schreiende, auf Schlagzeilen reduzierte Werk steht vordergründig im genauen Gegensatz zum Erscheinungsbild des Künstlerduos.
Im Laufe von sechs Jahren haben die Künstler nach eigenem Bekunden 3.712 Zeitungsplakate eins nach dem anderen gestohlen/mitgenommen und dann damit begonnen, sie zu sortieren und thematisch zu ordnen.
Beim Sortieren der Plakatvorlagen entstehe jedes Bild "wie von selbst" - sein Thema, sein Titel und seine Größe ergeben sich aus den alphabetisch geordneten Stichwörtern und ihrer Häufigkeit.
Gilbert & George erklären jeweils abwechselnd oder als sich ergänzendes Wechselgespräch von halben Sätzen, wie ihre Heimatstadt London mit ihrer Pracht, ihren Geheimnissen und Dramen sie seit nunmehr fast fünfzig Jahren in den Bann gezogen hat.
Über die Verarbeitung zahlloser Top-Schlagzeilen aus der Werbepraxis der englischen Zeitungsverkäufer hätten sie eine tiefgreifende Bestandsaufnahme alltäglicher menschlicher Themen vorgenommen, diese ihrem humanistischen, von Gefühl und Empathie geprägten Blick unterzogen und so mit den Mitteln der Kunst einen wahren Bildepos entstehen lassen.
Gilbert & George freuen sich über die neuerdings verbreitete Praxis der Zeitungs-Gratisausgaben die aus Boxen an Bushaltestellen und Bahnhöfen in London einfach zu entnehmen sind. So würden sie heute mehr Leute als früher antreffen, sie sich während der Wartezeiten schnell über die - auch von ihnen in der Kunst aufgegriffenen - Schlagzeilen, über aktuelle Tagesereignisse informieren.
In der mit 292 Einzelarbeiten umfangreichen Ausstellung tauchen diese Schlagzeilen wieder in Werktiteln auf wie "Angel", "Attack", "Baby", "Beaten to Death", "Bomb", "Knife Murder", "Muslim", "Money Last", "School", "Sex", "Student", "Terror", "Victim", "War", "Women" bis hin zu "Yob" und "Youth".
Gilbert & George betonen, dass sie beim Entwickeln ihrer einzelnen Plakate auf den bewussten Akt des "Kunstschaffens" verzichten und stattdessen die Realität so festhalten, wie sie von den Printmedien Londons dargestellt wird - hart, verkürzt, griffig, laut - die alltägliche Explosivität der zeitgenössischen urbanen Gesellschaft.
Hier steht das Habit der beiden Künstler im scheinbaren Gegensatz zum gewählten Medium der Plakatkunst.
Neben den Schlagzeilen beschränken sich die aus einzelnen Plakaten zusammen montierten Werkstücke auf wenige andere Ausdrucksmittel: die Gestalten von Gilbert & George, deren Gesichtsausdrücke ernst und gleichzeitig verwirrt wirken, außerdem Straßen, Gardinen in Fenstern und Spiegelungen in Autoscheiben.
Die Künstler scheinen die Londoner Stadtlandschaft wie geisterhafte Beobachter zu durchdringen.
Gilbert & George erklären, sie seien zu diesen "Seelenbildern" durch die Lektüre der Schriften von Lord Dowding angeregt worden, in denen dieser den Übergang in das Leben nach dem Tode beschreibt, wie es ihm - seiner Behauptung nach - von den Seelen getöteter britischer Luftwaffenpiloten erzählt wurde.
Unten rechts findet sich in den Werkstücken jeweils ein einzelnes Plakat mit dem reliefartigen Konterfei der Queen. Gilbert & George erklären hierzu, dies sei wie eine Bestätigung, ein Siegel ihrer Arbeit. Dieses Konterfei der Queen sei auf jeder britischen Münze, sei damit täglich und überall präsent. Indem sie es in ihr Werk aufnähmen, würden sie die plakativ beschriebene Alltags-Realität zuordnen - London, die Hauptstadt mit ihren Bewohnern, die Stadt und die Untertanen der Queen.
Bei allem Schroffen der Schlagzeilen liegt jedoch hinter jedem Plakat die Wahrheit und der authentische Realismus einer menschlichen Situation, ihrer Auswirkungen und Folgen. Dies ist die Wahrheit, die Gilbert & George die "moralische Dimension" nennen, die sie in einem Motiv finden müssen, bevor sie sich damit in ihrer Kunst auseinander setzen können.
Hier kommt die Einbindung der sensiblen Künstlerseele in das gewählte Medium des Plakats zum Tragen.
Die Künstler sind während der Jahrzehnte ihrer Arbeit tief in das Herz ihrer Heimatstadt eingedrungen. Über die "London Pictures" lassen sie die Stadt, deren Stimmung und das Leben darin für sich selbst sprechen und decken gleichzeitig das menschliche Dasein als Ganzes in all seinen schönen, unergründlichen, unerklärlichen, erschreckenden und elenden Facetten auf.
Gilbert & George betonen dabei, dass sie keinesfalls wertend oder gar anklagend sein wollen. Ihre Aufgabe sei, die Realität festzuhalten. Im Sinne einer Humanistic Art würden sie hierbei auch ihre eigene Sicht auf diese Realität zeigen. Hierbei hätten sie die Hoffnung, dass der Betrachter ihre Bilder auf sich wirken lasse und an seiner eigenen Sicht überprüfe, und durch diese Denkanstöße vielleicht zu einer Neubewertung komme.
Gilbert & George, die Künstler, die seit 1971 zahlreiche internationale Ausstellungserfolge verzeichnen konnten, wurden 2011 vom New Museum in New York für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
2008 erhielten sie von der London Metropolitan University in London den Ehrenabschluss in Philosophie.
Eine in vieler Hinsicht lohnenswerte Ausstellung! Vielleicht erhalten auch Sie einige Denkanstöße über Ihr urbanes Umfeld und die psychisch-soziale Beschaffenheit unserer modernen westlichen Gesellschaften.
Autor:Dorothea Weissbach aus Oberhausen |
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