Audio-Walk auf den Spuren des Stahlarbeiterkampfes
„... und jetzt stehen wir hier draußen vor der Tür“
Zu einer ungewöhnlichen Stadtführung laden Julia Pöppich und Leon Frisch vom Duisburger KOM´MA-Theater ein. Ihr lehrreicher Hör-Spaziergang „Rheinhausen ist überall“ führt alle geschichtsinteressierten Einwohner oder Besucher Rheinhausens zu den Schauplätzen des 160 Tage währenden Arbeitskampfes, der 1987/88 über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus traurige Berühmtheit erlangte.
In eineinhalb kurzweiligen Stunden geht es vom Krupp-Platz mit der überlebensgroßen Büste von F.A. Krupp aus zunächst über die Margarethenstraße und der gleichnamigen Siedlung durch die Barbara- und Rosastraße zur Hochfelder Straße, an deren Ende mit dem ehemaligen Gasthaus „Zum Reichsadler“ einer der zentralen Kommunikationsorte des Arbeitskampfes stand. Zu den unter die Haut gehenden Klängen der Duisburger Rockband Alma Ata und der überregional bekannten Protestsängerin Fasia Jansen geht es weiter durch die Atroper Straße zum Parkplatz vor dem ehemaligen Verwaltungsgebäude des Krupp-Werkes, in deren Räumlichkeiten die Ärztin Bahar Tekin ihre Praxis mit Erinnerungsstücken an das Werk und den Arbeitskampf eingerichtet hat. Vorbei an der Menage (einer Art Kantine) des Hüttenwerkes, in denen der Arbeitskampf maßgeblich organisiert wurde, führt der Gang zum emotionalen Höhepunkt, der erhalten gebliebenen Überdachung des berühmten Tor 1. Passend zum hier komponierten Song „Rheinhausen, du darfst nicht untergehn“ von Gunter Gabriel stellt sich spätestens an diesem Ort unweigerlich ein Gänsehauteffekt ein. War das Tor doch während des gesamten Arbeitskampfes rund um die Uhr von einer Mahnwache besetzt, und man kann sich leibhaftig vorstellen, wie die Teilnehmer sich lediglich an drei brennenden Feuertonnen erwärmen konnten. Dahinter beginnt als Zeugnis des Strukturwandels das logport-Areal, ein modernes Logistik-Zentrum, das seit 1999 auf dem Gelände des ehemaligen Hüttenwerkes entsteht. An der Unterführung der davor verlaufenden Bahnstrecke prangt der sichtlich in die Jahre gekommene Spruch
Wer kämpft
kann verlieren
Wer nicht kämpft
hat schon verloren
Auch ein Zeugnis des Arbeitskampfes? Zurück durch die Atroper Straße und die Hochfelder Straße führt der Weg zur Bäckerei und Konditorei Schwietz, welche die Teilnehmer an den Mahnwachen vor dem Tor und im Stadtgebiet mit Brötchen und Kaffee versorgt hat. Am Rheinufer an der Eisenbahnbrücke schließlich endet der begleitete Spaziergang mit einem Blick auf die 1988 besetzte und seither ihren Namen tragenden „Brücke der Solidarität“. Anschließend geht es über einen Waldweg und die Margarethenstraße zurück zum Startplatz.
Pöppich und Frisch schreiben in ihrem Begleitflyer, daß der Spaziergang bei Licht und trockenem Wetter am meisten Spaß mache. Das mag sicherlich so sein, aber da der Arbeitskampf ab November ausgefochten wurde, schafft tristes, schmuddeliges Herbstwetter eine viel realitätsnähere Atmosphäre. Nicht mehr zeitgemäß hingegen der Verweis auf die Parkmöglichkeiten in der Nähe des Krupp-Platzes. Von der jüngeren, an nachhaltiges Denken und klimaschonendes Handeln gewohnten Generation von Kulturschaffenden hätte man eher Hinweise auf die gute Erreichbarkeit des Schauplatzes mit öffentlichen Verkehrsmitteln erwartet. Vom bequem per Bahn zu erreichenden Haltepunkt Rheinhausen-Ost sind es bis zum Krupp-Platz gerade mal knappe 800 Meter, die fußläufig in zehn Minuten zurückgelegt werden können. Neben den nervigen *-Sternchen sind das aber auch schon die einzigen Kritikpunkte an dem ansonsten rundum gelungenen Konzept. Die Wegbeschreibung ist gut verständlich und präzise, auch Ortsunkundige können sich nicht verlaufen. Zeitlich perfekt abgestimmt und angepaßt an eine eher moderate Geschwindigkeit werden die erläuternden Informationen von Pöppich und Frisch vor Ort immer wieder aufgelockert mit historischen Originalaufnahmen wie dem erbarmungswürdigen Auftritt eines Dr. Cromme oder der flammenden Rede des damaligen Betriebsleiters Helmut Laakmann. Die Erinnerungen der Zeitzeugen Ingrid Lenders aus der Fraueninitiative und dem Gewerkschafter Theo Steegmann sorgen zusammen mit atmosphärischen Geräuscheinspielungen und den schon erwähnten Protestsongs für ein intensives Nachempfinden des damaligen Zeitgeists.
Ob je wieder diese beispiellose Welle von Anteilnahme und Unterstützung in Städten „in Deutschland, in denen Menschen um ihre Arbeit bangen und um ihre Arbeit kämpfen“, erreicht werden kann wie in diesem größten und längsten Arbeitskampf der Nachkriegsgeschichte, erscheint in der Betrachtung der stark veränderten Verhältnisse zur Arbeit und zur Solidarität innerhalb der letzten Jahrzehnte mehr als fraglich. Umso wichtiger, daß mit diesem Projekt die Erinnerung an die Möglichkeiten des vielfältigen und kreativen Widerstandes gegen die Willkür in Wirtschaft und Politik wachgehalten werden.
Unter https://www.kommatheater.de/audiowalk-rheinhausen-ist-ueberall kann die Datei gegen einen Kostenbeitrag von 5,- € auf ein mobiles oder anderes Endgerät heruntergeladen werden. Somit ist für den Hör-Spaziergang keine Internetverbindung nötig. Alle weiteren Informationen finden sich auf der Homepage des KOM´MA-Theaters.
Autor:Knut-Olaf Müller aus Emmerich am Rhein |
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