Können wir mit philosophischen Theorien die Welt retten ?

Im Café Philosophique, Düsseldorf, wurde heute über Nietzsches Nihilismus diskutiert und hier speziell die Frage „Ist die anthropozentrische Idiosynkrasie Hybris oder ist sie angemessen ?“ Mit anderen Worten, soll der übersensible Mensch, der sich im Zentrum der Welt sieht, sich die Erde untertan machen ? Was ist die Stellung des Menschen in der Welt ? Was ist das Maß des Menschen bezüglich der Welt ? Oder setzt die Welt dem Menschen das Maß ?

Angesichts der wachsenden Klimakatastrophe, Umweltschäden und der sich ausweitenden Kriege auf dem blauen Planeten sind solche Fragen von höchster Bedeutung. Der Mensch hat seine inneren Bedürfnisse und Ansprüche – aber sein Lehrmeister ist die Umwelt. Und zwischen diesem „Innen“ und „Außen“ befindet sich der Mensch und ist dabei nicht selten in einem großen Konflikt. Die inneren Bedürfnisse können z.B. darauf fokussiert sein, möglichst bequem und warm zu wohnen. Dazu bedarf es einer enormen Bereitstellung von Energie, die mittlerweile in fast allen Ländern über Atomkraft hergestellt wird. Die äußere Welt hingegen nimmt die atomare Verseuchung ziemlich übel, wenn es zu solchen Störfällen kommt, wie in Fukushima oder in Tschernobyl.

Der höchste Wert im Nihilismus ist der Kampf aller gegen alle. Frei nach dem Darwin'schen Prinzip wird hierbei immer der Stärkere überleben. Nach diesen Prinzipien funktioniert mittlerweile die Welt in fast allen Bereichen. Es beginnt in der Schule, wo mittlerweile ein nie dagewesenes Gewaltpotential zu verzeichnen ist – alle schlagen auf einen, nehmen es per Video auf und stellen es ins Internet. Der Ehrenkodex „immer nur einen gegen einen“ ist schon lange durchbrochen. Wir alle kennen die Bilder aus U-Bahn-Videoaufnahmen, wo mehrere junge Männer mit brutaler Gewalt wehrlose Leute tot treten oder ihnen dauerhafte schwere Schäden zufügen.

Die Macht der Männer über die Frauen darf hierbei auch nicht unerwähnt bleiben. In vielen Teilen der Welt ist häusliche Gewalt gegenüber den Frauen an der Tagesordnung. Die sexuelle Ausbeutung der Frau gipfelt in Menschenraub und Menschenhandel - die Sklaverei auf dieser Welt ist keinesfalls überwunden. Kinder schuften in vielen Teilen der Welt unter starker Bewachung und erfahren die schlimmsten Repressalien, wenn sie versuchen, sich dagegen aufzulehnen.

Kriege werden schnell beschlossen und ohne lange Vorankündigungen finden Luftwaffenangriffe statt ohne Kriegserklärung, wie im Fall Lybien zu sehen ist. Natürlich wird mir jetzt der Kritiker dieser Zeilen verdeutlichen wollen, das es wichtig war, den Diktator Ghadafi zu eliminieren, wei er es doch verdient habe. Und genau diese Argumentation ist schon Ausdruck des idiosynkratischen Menschen, der sich im Zentrum seiner Welt sieht – er will bestimmen, was geschieht und wenn er meint, es müsse Krieg gegen ein Land geführt werden, weil er sich dafür ein Motiv zurecht gelegt hat, dann hat das auch bitte zu geschehen.

Das der Mensch das Maß aller Dinge sei, ist ein Abklatsch des christlichen Weltbildes. Diese Theorie berücksichtigt in keiner Weise die Natur, nimmt keine Rücksicht auf Tiere und Pflanzen und erst recht nicht auf die Gewinnung von Nahrungsmitteln. Nahrung ist mittlerweile zu einem weltweiten Spekulationsgut geworden, die Börsen bestimmen den Preis. Tiere verenden elendig in ihrem eigenen Dreck – die Folge: Hühnergrippe, Rinderwahn, Schweinepest und Fische, die durchsetzt sind von Maden. Weil eben der Mensch das Maß aller Dinge ist – und nicht die Natur.

Diese anthropologische Sichtweise erfuhr bei Descartes eine Wende. Er postulierte, das die Welt existiere als Bild des Menschen. Gott sei ein von ihm erschaffenes Konstrukt, um ihn vor dem Wahnsinn zu bewahren. Das ist doch eine gute Idee. Ich schaffe mir ein höheres Wesen, gestehe ihm zu, mir Gebote und Verbote aufzuerlegen und danach funktioniere ich dann in einer bestimmten Stuktur – bis der Tod uns scheidet.
Die Grundlage von Descartes' Sittlichkeitslehre sind die Leidenschaften, Neigungen und Triebe, die sowohl körperlich als auch geistiger Natur sind. Die Seele betrachtet Descartes als etwas, deren höchste Eigenschaft die Willensfreiheit ist. Aufgabe der Seele ist es, die Leidenschaften durch den Willen einzuschränken und mit Freiheit zu leiten.
Hier sind wir sehr nahe an den buddhistischen Sichtweisen von der anzustrebenden Leere im Geist, die uns von Leiden befreit.
Im Gegensatz zu den genannten Strömungen der europäischen Philosophie steht die Philosophie der Naturvölker – hier wird der Mensch betrachtet als Teil der Natur, die ihn ernährt und schützt und die man niemals provozieren darf. In Shanghai wurde in ein riesiges Hochhaus eigens ein Loch mit eingebaut, damit die auf dem gegenüberliegenden Berg wohnenden Berggeister weiterhin durch dieses Loch auf das Meer schauen können.

Wir können also nach diesen Ausführungen festhalten, das anthroprozentrische Standpunkt Hybris ist und sollten wieder lernen, nicht den Menschen als Maß aller Dinge zu betrachten, sondern die Natur als das Maß aller Dinge akzeptieren lernen.

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Karin Michaeli aus Düsseldorf

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20 Kommentare

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Karin Michaeli aus Düsseldorf
am 13.03.2012 um 22:38

Die Tiere sind in vielerlei Hinsicht klüger als die Menschen. Wir würden gut daran tun, uns wesentlich mehr an der Natur zu orientieren und dem Gewinnstreben einen Riegel vorzuschieben.
Das wurde ansatzweise in der franz. Revolution versucht. Einer der geistigen Urväter dieser Revolution war Jean-Jacques Rousseau
Nach seiner Ansicht befand sich die Menschheit ursprünglich in einem glücklichen, natürlichen Urzustand , aus dem sie durch einen fragwürdigen wissenschaftlichen und sozialen Fortschritt ins Verderben gefallen sei. Rousseau wollte indes nicht „zurück zur Natur“, wie ihm fälschlich unterstellt wurde, sondern nur die Besinnung auf die ursprüngliche, wahre Freiheit, Unschuld und Tugend. Die im Verlauf der Entwicklung verlorengegangene natürliche Gleichheit der Menschen wollte Rousseau durch die freie Vereinbarung aller (in einem Gesellschaftsvertrag, französisch „contrat social“) ersetzt wissen.

Ein guter Ansatz von Rousseau - dennoch ist nicht zu leugnen, das trotz diesem meisterhaften gesellschaftlichen Vertrag in der frz. Revolution doch sehr viele Köpfe rollten.

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ANA´ stasia Tell aus Essen
am 21.03.2012 um 08:14

@Peter Neppel
"Das Problem der Philosophie ist es einfach, dass sie sich selbst genügt: sie ist zu kompliziert formuliert. "

denke ich auch, leider

@ BeaTE Eierle
"Sicher nicht, aber wie ich schon heute im Cafe Philo versuchte zu verdeutlichen, setzt es ein Bewusstsein voraus, mich als Mensch in einem übergeordnetem Ordnungssystem zu verstehen und die innewohnenden Gesetzmäßigkeiten zu akzeptieren, zu achten und zu pflegen zum Wohle aller. Diese Haltung setzt eine Verantwortung in Gang, wenn ich den Mut aufbringe mich dieser zu stellen."

so denke auch ich...

@Karin
"Damit das menschliche Miteinander funktioniert, bedarf es einer bestimmten Ethik. Diese Ethik wird von Menschen formuliert - u.a. auch von Philosophen."

ja... verstehe ich, glaube ich auch dran´...

und weiter sagst Du treffend erklärt...:"
Im Religionsunterricht wurden uns Kindern die zehn Gebote "eingedroschen" - sie haben allerdings in dieser Formulierung nicht viel genützt. Das Unbewußte erkennt das Wort "nicht" nicht an. (Denken Sie nicht an einen lila Elefanten - und schups ist der Dickhäuter schon da !) In jedem der 10 Gebote ist da Wort "nicht" enthalten..."

genau!
so VERSTEHT es auch ein "Anti-Philosoph"
und sooo denke ich auch...
und ja, der Mensch ist klug, manchmal sogar lieb- und liebenswert, clever und ab und an weise...
aber leider nicht GENUG und nicht "flächendeckend" und eben auch nicht immer, oder zumindest so häufig, dass es eben NICHT mehr allzu´oft und intensiv zu diesen schrecklichen (mächtigen) Gewaltszenen weltweit kommt
...
ist das aber nicht doch nur ein "frommer" philosophischer Wunsch???

Wie soll die heutige Welt DAS "begreifen" und "ändern"
und wieder MIT der Natur leben...

???

Ich allein bin da überfragt, überfordert...

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Heinz Pelzer aus Essen-Ruhr
am 12.04.2012 um 19:47

Hallo Karin,
die Frage, ob die Menschen mit philosophischen Theorien die Welt retten können, müsste erweitert werden:
Kann die Menschheit nicht mit, sondern trotz der vielen philosophischen Theorien, die sie bisher hervorgebracht haben, die Welt retten und somit sich selber? Liegt es überhaupt in ihrem Naturzustand sich und damit die Umwelt zu retten?
Der Philosoph Peter Sloterdijk hat einmal gesagt, dass der Mensch Katastrophen erst dann wirklich begreift, wenn sie unabwendbar vor einem stehen. Hätte er recht, so ist zu vermuten, dass der Mensch gar kein Katastrophenverhinderer, sondern viel eher ein begnadeter Reparateur ist. Ist sein genetisches Programm so angelegt, dass er erst immer das gesamte Porzellan zerschlagen muß, bevor er philosophische Theorien aufstellt, die ihm helfen die Scherben wieder zusammenzufügen? Ist das sein wirklicher Naturzustand? Die Geschichte der Kriege scheint das zu beweisen. Somit stellen philosophische Theorien nur notwendige, aber keine hinreichende Bedingungen zur Rettung der Menschheit dar.

Fairerweise müssen wir aber fragen: Wo würde die Menschheit heute stehen, wenn es die großen Philosophen wie Rene Descartes, Thomas Hobbes, John Locke, Jean Rousseau oder Kant um nur einige zu nennen, nicht gegeben hätte? Ohne ihre Theorien hätten wir heute keinen modernen Staat, wäre die Gewaltenteilung ein Fremdwort. Die Aufklärung hätte nicht stattgefunden.
Dies alles haben wir Philosophen und ihren Theorien zu verdanken. Ohne sie gäbe es auf dem Markt der Ideen niemanden, der die richtigen Fragen stellt. Umgesetzt wird natürlich nicht alles, aber das Wenige bringt uns weiter, stellt uns eine Weile auf Schultern von geistigen Riesen. Ob sie uns retten? Wer weiß? Aber mehr können wir nicht verlangen.