Appell an UNESCO-KOMMISSION: Kein Kulturerbe für Brieftaubenwesel

Unser Brief mit einer bunter Bilderdokumentation von verletzten, fast verhungerten oder tot auf gefundenen Brieftauben ist diese Woche nach Bonn gegangen: 

Stadttaubenprojekt Wesel-Hamm e.V.

c/o Silja Meyer-Suchsland, Henningstege 15, 46485 Wesel

Deutsche UNESCO-Kommission
Herrn Generalsekretär Dr. Roland Bernecker

Colmantstraße 15
53115 Bonn

Wesel, den 13.09.2018

Keine Aufnahme des Brieftaubenwesens/Brieftaubensports als „immaterielles Kulturerbe“

Sehr geehrte Herr Dr. Bernecker,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Wulf,
sehr geehrte Damen und Herren,

unbegreiflich ist für mich als Leiterin und Gründerin des Stadttaubenprojektes Wesel die Überlegung, das Brieftaubenwesen als Kulturerbe von Deutschland aufzunehmen.

Eine tierquälerische „Tradition“ unter Landesschutz zu stellen ist angesichts der folgenden bekannten Abläufe im Brieftaubenwesen blanker Hohn gegen uns ehrenamtlich tätige Personen sowie gegen die betroffenen Tiere als Lebewesen:

Seit Jahrzehnten kämpften sogenannte Stadttaubenprojekte bundesweit durch die Errichtung von Stadttaubenhäusern gegen die Flut von Nachkommen entflogener Brieftauben an, um das Elend von Stadttauben sowie den wirtschaftlichen Schaden, den Taubenkot in Städten anrichtet, zu mindern.

Ich habe seit 2010 bis heute ehrenamtlich drei große Stadttaubenhäuser in Wesel durch Spenden auf den Weg gebracht. Diese werden seit dieser Zeit von geschwächten Brieftauben in Not in letztem Moment aufgesucht. Die Zahl an Zulauf liegt seitdem bei über 200 Tieren pro Jahr in drei Häusern.

-2-

F a k t i s t , d a s s

...zu spät zum Heimatschlag zurück kehrende Brieftauben durch den Züchter getötet werden, ohne dass ein Grund nach dem Tierschutzgesetz vorliegen würde und ohne erlernte Ausbildung zur Tötung eines Tieres.

... keine Brieftaube im Heimatschlag älter wird als max. 3 bis 4 Jahre, dann wird sie durch den Züchter getötet, weil sie keinen Nutzen mehr bringt.

...unzählige Brieftauben jedes Jahr auf unsinnigen Wettflügen schwer verunglücken, von Bürgern gefunden und von Mitarbeiterin aus den Stadttaubenprojekten bzw. privaten „Päpplerstellen“ mit viel Aufwand und Kosten gesund gepflegt werden.

...vor Wettflügen Brieftauben in Dunkelhaltung ausharren müssen, Paare getrennt werden, Kunsteier mit Insekten zum Summen bestückt werden, damit aufgelassene Brieftauben schneller zum Heimatschlag zurück fliegen.

… über 90 % der Züchter ihre Brieftaube nicht wie durch den Verband verpflichtend vorgeschrieben beim Finder abholen. Dies mit solchen Begründungen: „Ich bin zu alt und nicht mehr mobil“; „Ich will das Tier nicht mehr. Was soll ich mit dem noch? Werfen Sie das in die Tonne“. „Ich habe kein Interesse mehr an dem Tier mehr, reißen Sie der den Kopf ab“ usw.

…. auffällig erkrankte Brieftauben durch ihre Züchter aus dem Bestand heraus genommen und getötet werden, ohne eine Behandlung zu erfahren.

… auf unsinnigen Jungtaubenflügen 2/3 der Jungtiere den Heimatschlag nicht wieder finden und auf der Strecke bleiben.

… jährlich bundesweit Tausende gestrandeter Brieftauben bis zum Verlust des Bewusstseins das Gefühl des Verhungerns und Verdurstens miterleben müssen, weil sie in Gebieten herunter gehen, in denen sie nicht gefunden werden.

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F a k t i s t , d a s s

… (vom Aussterben bedrohte) Insekten lebend in Kunsteierhälften verschlossen werden, um auf diese Weise durch ihr verzweifeltes Brummen den Elterntieren zu suggerieren, dass das Küken bald schlüpfen werde, wodurch sich bei der aufgelassenen Brieftaube der Druck erhöhen soll, möglichst schnell in den Heimatschlag zurück zu fliegen.

… bewusst an diesem Tag nicht/schlecht gefütterte Brieftauben bei den Wettflügen aufgelassen werden, damit sie schneller zum Heimatschlag und zur sicheren Futterquelle zurück fliegen.

… die Aufgabe bzw. Auflösung eines Brieftaubenschlages (durch Alter, Krankheit des Züchters) die zwingende Folge hat, dass sein gesamter Bestand an gesunden Tieren durch ihn getötet wird. Züchterkollegen haben kein Interesse, fremde Tauben zu übernehmen. Das grundlose Töten von Wirbeltieren (zudem noch durch unqualifizierte Privatpersonen) ist nach dem Tierschutzgesetz verboten und strafbar. In der Regel wird dabei ohne Betäubung der Kopf abgeschlagen oder Rumpfbereich und Kopf auseinander gerissen.

… in der Vergangenheit bundesweit Stadttauben als Nachkommen der Brieftauben vergiftet, abgeschossen oder eingefangen und getötet wurden, um sie los zu werden, parallel aber der Irrsinn des Weiterheranzüchtens von Küken nach Lust und Laune durch die Züchter ungebremst weitergeht.

… Stadttauben in den Städten Nachkommen gestrandeter Brieftauben sind, die sich dort vermehren und zu Ärger und Belastung für Bürger, Stadtverwaltungen usw. führen. Alleine München besitzt geschätzte 30.000 Stadttauben, die alle Nachkommen dieser Brieftauben sind.

… der Deutsche Brieftaubenverband in Essen sowie der Großteil seiner Mitglieder bis heute den Zusammenhang zwischen Brieftauben und der Stadttaubenschwemme in den Städten leugnet.

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F a k t i s t w e i t e r, d a s s

… die Züchter gerne den Greifvogel als Grund anführen, warum ihre Tauben nicht von den Wettflügen nach Hause gekommen sind; dies ist aufgrund stark sinkender Greifvogelbestände bundesweit nicht der Grund und wird zu Unrecht angeführt.

… Wettflüge und Trainingsflüge trotz bekannter schlechter Wetterlagen (Sturmwarnungen, starke Hitzeperioden) durchgeführt werden und ein Ausbleiben der Tiere billigend in Kauf genommen wird.

… deutsche Brieftauben nach Wettflügen in EU-Ländern dort im Landesinnern auf der Strecke bleiben und keine Chance haben auf eine Rückführung.

… es nach sich häufenden Aussagen von Aussteigern aus dem Brieftaubensport vielen an Wettflügen teilnehmenden Züchtern auf - wenn auch kleinste - Gewinnsummen ankommt, weshalb sie ihre Tiere zur Auflassung anmelden. Um Liebe und Fürsorge für die Tiere würde es schon lange nicht mehr gehen.

...Stadttaubenprojekte täglich (Montag bis Sonntag, an allen Feiertagen) durch das in der Regel ehrenamtliche Betreiben von Stadttaubenhäusern plus Notfallversorgung von Brieftauben enorme Arbeit leisten, um der Stadttaubenschwemme als Folge des „Brieftaubensports“ in ihrer Stadt Herr zu werden.

Wir erhielten seit 2010 alleine für Wesel bis heute nachweislich dokumentierte 600 Telefonanrufe verzweifelter Bürger, die Brieftauben gefunden hatten. Diese Tiere sind entweder schwerst abgemagert - viele davon waren nicht mehr zu retten - oder verletzt, sodass ein Tierarztbesuch durch uns notwendig wird.

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Anlässlich dieser nur beispielhaft aufgezählten Abläufe im Brieftaubenwesen würde ich gerne wissen, wie Sie mit gutem Gewissen und vor allem aufgrund von Tatsachenerkenntnissen Sie Ihre Entscheidung zugunsten einer Einstufung als Kulturerbe treffen wollen.

Bereits die Jury für NRW (Ministerium für Kultur und Wissenschaft) hat insbesondere den „Distanzflug“ als Auswahlkriterium für die Aufnahme in die Landesliste gewürdigt und dürfte damit in vorwerfbarer Weise nicht berücksichtigt haben, dass alle großen Tierschutzverbände in Deutschland bereits seit Jahren mit guten Gründen die Abschaffung von Taubenwettflügen fordern.

PETA Deutschland stellte Mitte 2018 Strafanzeige gegen verschiedene Veranstalter von Brieftauben-Wettflügen (insbesondere Ruhr.2017-Flug Essen). Sie wirft den Veranstaltern vor, Tauben bei den Wettflügen bewusst erhebliche und länger anhaltende Leiden zuzuführen und den Tod einer beträchtlichen Anzahl an Tieren billigend in Kauf zu nehmen. Viele der Tiere sterben während der langen Flüge an Flüssigkeitsmangel, Hunger, Erschöpfung oder Verletzungen.

Wie kann man nach alledem ernsthaft zu dem Ergebnis kommen, hier müsse ein Tatbestand als „Kulturerbe“ geschützt werden?

Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Tierquälerei als Kulturerbe gefeiert und hochgehalten wird.

Wir appellieren daher eingehend an Ihren Sachverstand und bitten Sie, von einer Entscheidung zur Aufnahme als immaterielles Kulturerbe abzusehen.

Einer Stellungnahme blicke ich in absehbarer Zeit entgegen und bedanke mich bereits im Voraus dafür.

Mit freundlichen Grüßen,

Silja Meyer-Suchsland

Anlagen

Autor:

Silja Meyer-Suchsland aus Wesel

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