Über den Wert einer Ausbildung im Handwerk
Sebastian Borgmann: "Man muss sich mittlerweile als Betrieb beim Auszubildenden bewerben"
Sebastian Borgmann geht mit der Zeit. Als Geschäftsführer eines bekannten Weseler Familienunternehmens (Sanitär, Heizung, Klima) weiß er um aktuelle Erfordernisse. Und um die Nöte in zahlreichen Berufen, denen man früher gerne "goldenen Boden" zusprach.
Internetaffine Kunden, Oldschool-Fans, Azubis (vor und nach der Einstellung) - Borgmann holt sie alle ab. Mit gehaltvollen Posts, gut gemachten Videos und wirkungsvollen Aktionen, die er gern bei Facebook postet. Dem Beobachter seiner Aktivitäten wird schnell klar: Hier geht einer die Sache mit Herzblut an. Kein Wunder, der Name verpflichtet!
Und wie sieht Sebastian Borgmann seine "Branche" und die entsprechende Innung aufgestellt? Wo entdeckt ein Kenner wir er Positiva und Defizite eines Berufssektors. Wir stellen ihm einige Fragen ...
dibo: Moin Herr Borgmann, bitte stellen Sie sich kurz unserer Leserschaft vor!
Borgmann: Ich bin 40 Jahre alt und wohne in Wesel, bin verheiratet und habe zwei Söhne (6 und 4). Ich habe eine Ausbildung zum Informatikkaufmann absolviert, anschließend noch Wirtschaftsinformatik studiert und bin jetzt seit vier Jahren Geschäftsführer des Familienunternehmens. In meiner Freizeit verbringe ich Zeit mit Familie und Freunden oder treibe Sport (Crossfit und Rennrad fahren).
dibo: Wenn man Ihre Posts sieht, gewinnt man den Eindruck, die Beteiligten sind zufrieden. Ist das so?
Borgmann: Das hoffe ich doch! Wir haben in meinen vier Jahren hier das Unternehmen komplett auf links gedreht und uns ganz stark der Optimierung der Abläufe gewidmet. Dabei wollen wir mithilfe der Digitalisierung den Arbeitsalltag für alle Mitarbeiter erleichtern, ohne diese technisch zu überfordern. Das hat dazu geführt, dass alle Mitarbeiter aktiv an dem Prozess teilnehmen und die Wandlung mitgestalten. Das Ergebnis spiegelt sich dann auch in den Beiträgen auf Social Media wider.
dibo: Sehen Sie Ihre Branche und das Handwerk insgesamt gut aufgestellt?
Borgmann: Sagen wir mal so, die Branche hat noch Luft nach oben. Viele Betriebe im Handwerk haben mit dem Tagesgeschäft so viel zu tun, dass Sie schlichtweg nicht die Zeit haben, sich um die Weiterentwicklung des Unternehmens zu kümmern. Dadurch verlieren manche Betriebe immer mehr den Anschluss und verpassen wichtige Entwicklungsschritte, die eine Entlastung mit sich bringen würden. Außerdem ist man so nicht so attraktiv für neue Mitarbeiter, weil der Arbeitsmarkt hart umkämpft ist.
dibo: Warum ist es so schwer, Ausbildungsplätze zu besetzen?
Borgmann: Weil man sich mittlerweile als Betrieb beim Auszubildenden bewerben muss. Dazu gehört, eine vernünftige Außendarstellung zu haben. Viele Betriebe sind auf Facebook und Instagram nicht unterwegs, die Internetseiten sind veraltet. Das alles nehmen potenzielle Bewerber wahr. Da haben Konzerne einen klaren Wettbewerbsvorteil, da Sie über entsprechende Ressourcen verfügen, um sich besser am Arbeitsmarkt positionieren zu können.
dibo: Geht’s heute nicht mehr ohne Social-Media?
Borgmann: Nein, definitiv nicht mehr. Über Social Media kann ich potenziellen Mitarbeitern und Kunden einen tiefen Einblick in unser Unternehmen gewähren. Ich bin dadurch präsent und habe zumindest die Chance, bei der Berufswahl berücksichtigt zu werden. Menschen arbeiten für Menschen. In einem Video bekomme ich ein besseres Gefühl, wie das Unternehmen tickt, als auf einem Werbeflyer.
dibo: Nicht nur Azubis machen Fehler, sondern auch die Betriebe und die Innung. Worin bestehen diese beispielsweise?
Borgmann: Klappern gehört zum Handwerk, doch leider klappern viel zu wenige Unternehmen bei der Mitarbeiterwerbung. Soll heißen, ich muss meine Vorteile gegenüber anderen Berufszweigen klarer aufzeigen und auch präsentieren, wie cool ein Job im Handwerk ist. Dann muss ich mich fragen, ob ich einen Bewerbungsprozess habe, der funktioniert. Melde ich mich bei den Bewerbern zurück oder lasse ich sie sechs Monate im Dunkeln, wie der Stand der Bewerbung ist?
dibo: Machen Konkurrenten ohne Meisterbrief den regionalen Handwerksunternehmen das Leben schwer?
Borgmann: Das mag in einigen wenigen Branchen zutreffen, bei uns ist dies nicht der Fall. Wir arbeiten in hochsensiblen Bereichen, wie Gasleitungen oder Trinkwasserversorgung. Wer hier fahrlässig handelt, gefährdet Menschenleben. Daher dürfen in unserem Gewerk gar keine Unternehmen tätig sein, die nicht über die entsprechende Qualifikation verfügen.
dibo: Wie sieht’s aus mit der Kombination einer handwerklichen Ausbildung mit einem Studium – geht das?
Borgmann: Wir planen dies für die Zukunft. Bei uns würde die Westfälische Hochschule Gelsenkirchen ein entsprechendes Studium anbieten. Wir müssen noch die genauen Rahmenbedingungen abstimmen und werden dann auch ein duales Studium anbieten können.
dibo: Mal ganz ehrlich: Wie glauben Sie, wie ist die Wahrnehmung der Handwerksgilde in der Öffentlichkeit?
Borgmann: Ich denke, jeder hat in den letzten Jahren erfahren müssen, wie wichtig das Handwerk ist und wie lange mittlerweile auf einen Handwerker gewartet werden muss. In unserer Branche werden wir in den nächsten zwanzig Jahren einen riesigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten. Dafür benötigen wir zwingend junge Menschen, die Lust auf den Beruf haben und die auch die Chancen der Branche erkennen.
dibo: Auch Unternehmen im Kreis Wesel müssen auf Preissteigerungen wegen des Ukraine-Krieges reagieren. Bis an welchen Punkt kann man die Schraube weiterdrehen?
Borgmann: Zuallererst: wir drehen an gar keiner Schraube. Wir versuchen, die Preise so stabil wie möglich zu halten. Aber auch wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, dass seit knapp zwei Jahren mit permanenten Preissteigerungen konfrontiert wird. Diese Steigerungen müssen wir an den Kunden weitergeben. Wenn wir das nicht müssten, würde es ja bedeuten, dass wir entweder nicht kalkulieren können oder die vorherigen Angebote so dermaßen überteuert waren, dass wir die Preissteigerungen um mehr als 20 Prozent mal eben so mit unserer Marge abfangen könnten.
dibo: Wie erklären Sie dem Kunden, dass der Bau eines Sechs-Quadratmeter-Bades runde 10.000 Euro kostet?
Borgmann: Mit Transparenz. Der Kunde bekommt von uns eine Schätzung, wie lange wir für die Arbeiten benötigen werden. Dazu gibt es einen Stundenverrechnungssatz. Hinzu kommt die Badeinrichtung. Hier hat der Kunde es ein Stück weit selbst in der Hand, in welchem Preissegment er sich. Wir legen mit dem Kunden zusammen das Budget für die Einrichtung fest und helfen ihm bei der Suche nach preisgünstigeren Alternativen, die trotzdem unseren Qualitätsanspruch erfüllen und die wir ruhigen Gewissens beim Kunden verbauen würden.
dibo: Wie lautet Ihr sehnlichster Wunsch im Arbeitsleben?
Borgmann: Das wir mit unseren jungen Mitarbeitern die nächsten Schritte in ihrer Entwicklung bestreiten und sich daraus eine schlagkräftige Truppe entwickelt, die die Herausforderungen der Zukunft meistern können. Wir waren, sind und bleiben ein Ausbildungsbetrieb, der seinen Fokus auf den eigenen Nachwuchs legt.
dibo: Lieber Herr Borgmann, bedanke mich für das interessante Gespräch!
Borgmann: Der Dank geht zurück an Sie!
Autor:Dirk Bohlen aus Hamminkeln |
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