Kindheit am Niederrhein - Der Sonderling
Wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, habe ich manchmal einen seltsamen Flashback ... dann kommt es mir so vor, als wäre alles rosarot gewesen, muckelig und irgendwie .... perfekt ....
Neben meinem Geburtshaus lebte noch in den 70er Jahren ein seltsamer, älterer Mann mit dem Namen Karl Hirt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er jemals etwas anderes getragen hatte, als einen knielangen, verwaschen blauen Kittel, eine Baskenmütze auf dem Kopf und schwarze Gummistiefel, selbst im Sommer wenn es warm war. Er saß oft in unserer Küche und Mama gab ihm dann eine Tasse Kaffee und sie redeten ein bisschen.
Sein Haus war mit abstand das verfallenste im ganzen Dorf, der Hof war eine Abstellkammer für allerlei sonderbaren Gerätschaften, die auf der blanken, fast schwarzen Erde standen. Dort auf dem Hof stand auch ein Schuppen in dem Karl seine Bienen züchtete und mit dem Honig seine bescheidene Rente ein wenig aufzubessern versuchte.
Die Türen seines Hauses standen immer weit offen, aber unsere Mutter hatte uns streng verboten dort hinein zu gehen. Weil dieser Mann so ein Sonderling war, brannte es uns Kindern fürchterlich unter den Nägeln es trotzdem einmal zu wagen. Meine damalige beste Freundin Nicole war viel mutiger als ich und so war sie es die vorschlug doch einfach mal hinein zu gehen. "Er ist am anderen Ende vom Dorf und kommt so schnell nicht wieder!", sagte Nicole. "Jetzt oder nie!"
Ich hatte solchen schiss und wollte ausserdem nicht ungehorsam sein, aber Nicole meinte ich wäre immer so feige und solle doch einfach mal mutiger werden.
Nach einer halben oder dreiviertel Stunde Überredung hatte sie mich schließlich so weit. Ich weis heute noch, wie mein Herz bis zum Hals geschlagen hat, als ich durch die verbotene Tür trat. Schemenhaft habe ich noch die weissen Schränke mit dem abgeblätterten Lack und den grau-blauen Lenoleumboden vor Augen. Es kam mir von innen viel größer vor als man von aussen hätte vermuten können. Da stand ein grüner, selbst für damalige Verhältnisse altmodischer Sessel dort, alles war irgendwie wüst und ungepflegt und der Karl tat mir leid, dass er so leben musste und dass er dort ganz alleine leben musste.
Nicole und ich sahen uns eine weile um und wir überlegten, ob wir nicht auch mal in die Schränke schauen sollten, aber wir ließen es dann doch lieber bleiben. Es schien gar nicht so schlimm zu sein, doch gerade als ich mich ein wenig beruhigt hatte, kam von irgendwo ein lautes Geräusch und ich nahm die Beine in die Hand und rannte aus der Tür hinaus.
Nur wenige Jahre später verstarb Karl Hirt. Da er keine Nachkommen hatte, wurde das Haus abgerissen und heute steht dort ein großes, modernes Haus. Nichts in ganz Drevenack erinnert mehr an den seltsamen, alten Kautz ausser sein Grabstein auf dem Friedhof!
Möge er in Frieden ruhen ...
Autor:Imke Schüring aus Wesel |
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