Mensch mit Down Syndrom
Björn, die "special edition"
Björn Kamps ist ein erfolgreicher Judoka. Dabei wollte er vor Jahren gar nicht Kampfsport betreiben, sondern viel lieber Fußball spielen. Aber keiner der Weseler Vereine nahm ihn auf - weil Björn das Down-Syndrom hat.
"Das zum Thema Inklusion im Sport", sagt Björns Mutter Stefanie. Sie stellt das sachlich fest, in ihrer Stimme liegt keine Bitterkeit. Im folgenden Gespräch mit Mutter und Sohn wird immer wieder deutlich, dass Björn im Alltag regelmäßig ausgegrenzt wird. Nicht, weil er sich durch sein Verhalten disqualifiziert, sondern offensichtlich nur, weil er anders ist. "Unsere Gesellschaft ist noch nicht bereit für Andersartigkeit", konstatiert Stefanie.
Überraschung nach der Geburt
Aber der Reihe nach. Björn ist das mittlere von drei Kindern und lebt mit seiner Familie in Wesel. Seine beiden Brüder sind gesund und auch die Schwangerschaft mit Björn verlief "völlig unauffällig und problemlos", erinnert sich die Mutter. Dann kam der Kaiserschnitt. "Die Hebamme hielt mir Björn für einen kurzen Moment hin. Ich sah seine Nasenwurzel und wusste: Das Kind hat das Down-Syndrom. Damit komme ich klar", schildert Stefanie den Moment nach der Entbindung. Sie hatte zuvor schon bei der Lebenshilfe beruflich Freizeiten begleitet, der Umgang mit Menschen mit Down-Syndrom war ihr nicht fremd.
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Mehr Artikel über Björn:
-> Deutsche Meisterschaften im ID Judo in Neubrandenburg
-> Welt-Down-Syndrom-Tag
-> Sportnacht Wesel mit Auszeichnung für Björn
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"Talker" hilft ihm bei der Kommunikation
Während wir reden, sitzt Björn neben uns am Tisch, sein Tablet in der Hand. Manchmal wirft er ein "Hör auf, Mama" ein, wenn ihm eine Schilderung nicht behagt. Dann schaut er peinlich berührt nach unten und windet sich auf seinem Stuhl. Ich stelle ihm Fragen, die er meist mit einem Lächeln und einer Ein-Wort-Antwort beantwortet. Er kann sich nicht so gut ausdrücken. Früher hat ihn das frustriert, aber heute weiß er sich zu helfen. Auf seinem Tablet ist ein so genannter "Talker" installiert. Mit dessen Hilfe kann Björn Sätze bilden und das Gerät spricht diese dann aus. Seit er den hat, geht er auch alleine einkaufen - "natürlich", wie er mit Nachdruck sagt.
Praktikum im Supermarkt
Der 16-Jährige hat in den Osterferien ein Praktikum in einem Lebensmittelmarkt absolviert. Kollegen und Kunden hat Björn dabei als "nett" erlebt. Er war für das Einräumen der Regale zuständig. "Björn lernt anders. Es dauert länger, er braucht mehr Begleitung und Anleitung", beschreibt seine Mutter. Aber es hat geklappt. Jetzt arbeitet die Familie weiter daran, Björn auf möglichst selbstständige Füße zu stellen. "Ziel ist, dass er einen Job im ersten Arbeitsmarkt bekommt. Da war das Praktikum ein vielversprechender Anfang", sagt seine Mutter. Er soll in ein paar Jahren seinen Lebensunterhalt selbst verdienen und in ein betreutes Wohnen ziehen. Die lange Erzählung seiner Mutter langweilt Björn. Er setzt die Kopfhörer auf, schaltet Musik an und beginnt Luftgitarre zu spielen. Meine Aufmerksamkeit, gepaart mit einem freudigen Lächeln, beflügeln ihn: Sein Grinsen wird breiter, seine Gitarrengriffe wilder. Björn genießt das Rampenlicht.
Schwieriger Start ins Leben
Vor 16 Jahren, kurz nach seiner Geburt, sah das alles noch nicht danach aus. In den ersten sechs Monaten seines Lebens musste Björn am Darm und Herzen operiert werden - beides typische Komplikationen, die bei Kindern mit Down-Syndrom gehäuft auftreten. Vor der Herz-OP hat Mama Stefanie sich von ihrem Sohn verabschiedet. Und als das Telefon nach nur vier statt der mindestens angesetzten sechs Stunden klingelte, reichte sie ihrem Mann das Handy mit den Worten "Björn ist tot". Aber der kleine Kämpfer war quietschfidel. Wie zum Beweis läuft Björn auf sein Zimmer und holt ein Fotoalbum, in dem alte Bilder von den Strapazen zeugen. "Darf ich deine Landkarte zeigen?", fragt Stefanie ihren Sohn. Der nickt und lupft sein T-Shirt. Mehrere Narben am Oberkörper sind geblieben. Fast wirkt Björn ein bisschen stolz.
Deutscher Vizemeister im ID-Judo
Björn geht auf eine Förderschule, ist großer Fußballfan und erfolgreicher Judoka. Aktuell ist er Landesmeister im Einzel und in der Mannschaft sowie deutscher Vizemeister im ID-Judo, Wettkampfklasse III. ID steht für "intellectual disability“ und beschreibt die Judovariante für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Einmal im Monat fährt die Familie ihn zum Kadertraining nach Leverkusen. Björn hat schon viel Turniererfahrung, war unter anderem bei den Special Olympics in Berlin am Start. Wie es für ihn sei, auf den Turnieren, frage ich ihn. "Turniere sind easybeasy", antwortet Björn und grinst. Stolz zeigt er mir seine Medaillen und den "Esel", den er als zweitplatzierter Sportler des Jahres in Wesel überreicht bekommen hat. Womit wir wieder beim Thema Inklusion angekommen sind.
Keine Chance in Fußballvereinen
Björn hatte keine freie Wahl, was seine Sportart betrifft. Die Trainer der Fußballvereine, mit denen Stefanie vor ein paar Jahren gesprochen hat, trauten sich ein Mannschaftsmitglied mit Down-Syndrom nicht zu. Die Judo-Trainerin hingegen ist Förderschullehrerin und hat selbst ein Kind mit Beeinträchtigung. Sie gab Björn die Chance - und er ergriff sie. Vor wenigen Tagen hat der junge Mann seinen orangenen Gürtel bekommen.
Veeh-Harfe statt Schlagzeug
Ein weiterer Traum von Björn ist Schlagzeug spielen lernen. Bislang scheiterte die Umsetzung an der Suche nach einem Musiklehrer, der ihn unterrichtet. Und so spielt der 16-Jährige die Veeh-Harfe. Das ist ein spezielles Instrument, das Menschen mit Beeinträchtigung autodidaktisch lernen können. Klar, dass Björn sich nicht lange bitten lässt und mir eine kleine Darbietung seines Könnens zeigt. Wie passend, zupft er Beethovens "Ode an die Freude".
"Björns Leben ist wertvoll"
Bis heute spielt Björn gerne Fußball - "mein Hobby", wie er sagt, und sammelt Fanartikel. Bestimmt zehn Schals legt er sich um den Hals und posiert damit, bevor er sie auf dem Wohnzimmerboden ausbreitet und mir erklärt, welcher Schal zu welcher Mannschaft gehört. Zwischenzeitlich legt er sich in das gebildete Quadrat aus Fanschals, schweigt und genießt. "Ich habe immer den Eindruck, dass Björns Leben wertvoll ist", sagt seine Mutter.
Freunde im Grundschulalter
In Corona-Zeiten haben die Kinder der Nachbarschaft oft draußen gespielt. Björn ist voll etabliert in der Gruppe der Grundschüler. Didaktisch sind sie in etwa auf dem gleichen Stand. "Wenn Björn dabei ist, dürfen die anderen bis zum Kiosk laufen", erzählt seine Mutter. "Die Kinder helfen Björn beim Bezahlen und er sorgt dafür, dass sie die Straße richtig und sicher überqueren."
Viel Diskriminierung erlebt
Von früher weiß sie anderes zu berichten: Kinder, die aufgefordert wurden, nicht mit Björn auf dem Spielplatz zu spielen, denn der sei "doof". Im Babybecken im Schwimmbad hat eine andere Mutter gefragt, ob "man dieses Ding da nicht aus dem Becken entfernen könne?" Oder eine Ärztin, die Björn notfallmäßig im Urlaub behandelte und fragte, ob "das nicht zu verhindern gewesen sei", womit sie nicht auf die Krankheit, sondern auf das Kind abzielte.
Und auch das nähere Umfeld reagierte unterschiedlich auf das Kind mit Handicap. "Im Freundeskreis haben wir stark ausgesiebt", erinnert sich Stefanie, die Björn gern liebevoll als ihre "special edition" bezeichnet. Der wiederum nennt seine Mutter im Gegenzug "Die beste Mama der EU" und drückt sie fest an sich.
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