Corona und seine Auswirkung auf die Abläufe in einer Tierarztpraxis / Interview mit Christian Mandischer
"Realistisch ist, dass es ein 'Business as usual' in den nächsten Monaten nicht geben wird."

Dr. med. vet. Christian Mandischer
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Die Welt ist eine andere, seit die Verbreitung des Coronavirus behördliche Auflagen zur unvermeidbaren Grundlage des öffentlichen Lebens macht. An die gebotenen Einschränkungen beim Einkaufen oder beim Arztbesuch haben sich die allermeisten gewöhnt.

Doch was ist eigentlich mit unseren Tieren? Ist deren medizinische Versorgung gewährleistet? Haus- und Nutztiere werden nach Unfällen oder im Krankheitsfalle von Veterinären behandelt. Wie hat sich die Situation für sie und ihre Patienten durch Corona verändert? Antworten auf unsere Fragen hat Dr. med. vet. Christian Mandischer (Tierarztpraxis an der Güterstraße, Hamminkeln).

Dibo: Herr Mandischer, haben Sie mehr oder eher weniger Arbeit seit Mitte März?
Christian Mandischer: Wir haben, zur Vermeidung von Kontakten, einige Routinebesuche eingeschränkt, sowie planbare Operationen und andere planbare Tätigkeiten, wenn möglich, erstmal nach hinten geschoben. Insofern haben wir zur Zeit vor Ort auf den landwirtschaftlichen Betrieben und auch in der Kleintierpraxis weniger zu tun. Dafür hat sich der organisatorische Aufwand deutlich erhöht.

Dibo: Was konkret hat sich bei ihrer täglichen Arbeit geändert?
Christian Mandischer: Wir haben schon Anfang März eine personelle Trennung der verschiedenen Arbeitsbereiche durchgeführt. Die Tierärzte in der Nutztierpraxis betreten die Praxisräume nicht mehr. Der Innendienst ist in Teams eingeteilt, die sich nicht begegnen und mittags tauschen. Die benötigten Materialien, Medikamente und Impfstoffe werden für die Tierärzte in der Fahrpraxis vom Innendienst bereitgestellt und durch den entsprechenden Tierarzt ohne Kontakt abgeholt. In unserem Labor sind die Mitarbeiterinnen ebenfalls in zwei Teams eingeteilt, die tageweise wechseln. Die Kleintierpraxis wird durch ein weiteres separates Team sichergestellt. Besprechungen finden regelmäßig über Telefonkonferenzen statt. Auf den landwirtschaftlichen Betrieben versuchen wir, wo möglich, ohne Landwirt den Betriebsdurchgang durchzuführen und dann alles Weitere telefonisch zu klären. Ansonsten arbeiten wir mit Abstand zum Besitzer und, weil dies nicht immer möglich ist, mit Schutzkleidung. In der Kleintierpraxis können die Patientenbesitzer ihr Tier im Moment leider nicht bei der Behandlung begleiten. Sie geben ihren Liebling in der Schleuse am Eingang der Praxis ab, unser Praxisteam übernimmt ihn und kümmert sich liebevoll um die Behandlung. Die Besprechung mit den Besitzern findet mit dem nötigen Abstand über ein Fenster statt. Wir sind sehr zuversichtlich, durch die genannten Maßnahmen den Praxisbetrieb sicherstellen zu können.

Dibo: Machen die Besitzer Ihrer Patienten gut mit?
Christian Mandischer: Seitens der Besitzer treffen wir auf ein hohes Maß an Verständnis und haben bisher keine Probleme bei der Umsetzung der Maßnahmen. Ich denke, alle haben ein großes Interesse daran, dass die Praxis ordentlich weiterarbeiten kann.

Dibo: Kommt es zu Problemen bei der Versorgung von Tieren, deren Besitzer erkrankt sind?
Christian Mandischer: Wir betreuen sehr viele landwirtschaftliche Betriebe vor allem im Bereich Rind, Schwein und Geflügel, aber auch Schafe, Ziegen, Lamas und Alpakas. Bisher ist es unseres Wissens nirgendwo zu Versorgungsproblemen der Tiere gekommen, wenn es bei deren Besitzern zu einer Erkrankung kam. Und hier bei uns auf dem Land funktioniert die Nachbarschaftshilfe noch gut.

Dibo: Können sich Tiere mit dem Coronavirus infizieren und es auf den Menschen übertragen?
Christian Mandischer: Es gibt bisher keinen Hinweis auf eine mögliche Infektion von Schweinen, Hühnern und anderen bei uns üblichen Nutztieren mit dem Coronavirus. Bei einigen Hauskatzen und zwei Hunden in Belgien und Asien, die engen Kontakt zu an Covid-19 erkrankten Personen hatten, wurde das Virus nachgewiesen. Zudem wird von einem Tiger in einem New Yorker Zoo berichtet, der sich wahrscheinlich bei einem Pfleger angesteckt hat. In wissenschaftlichen Studien aus China und auch Deutschland ließen sich Katzen und Frettchen infizieren. Ich möchte aber deutlich machen, dass zum jetzigen Zeitpunkt davon auszugehen ist, dass Haustiere bei der Übertragung von SARS-CoV-2 keine Rolle spielen. Bisher gibt es keinen bekannten Fall, bei welchem das Virus von einem Haustier auf den Menschen übertragen wurde. Es gibt also keinen Grund, sein Haustier fernzuhalten oder gar abzugeben. Ich rate aber auch hier zur selbstverständlichen Hygiene, sprich regelmäßigem Händewaschen und auch generell zu keinem engen Kontakt mit dem Gesicht.

Dibo: Gehen wir mal vom „Worst Case“ aus: Einige Ihrer systemrelevanten Kolleg(inn)en erkranken, die Praxis muss schließen. Rutscht dann die hiesige Tierwelt ab ins Chaos?
Christian Mandischer: Durch die von uns ergriffenen Maßnahmen ist es sehr unwahrscheinlich, dass gleichzeitig alle Kollegen und Kolleginnen ausfallen. Des Weiteren wurden die im Nutztierbereich und in der veterinärmedizinischen Grund- und Notfallversorgung von Kleintieren tätigen Tierärzte und Tiermedizinischen Fachangestellten seitens des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft als systemrelevant eingestuft. Wir sind uns deshalb sicher, eine Schließung der Praxis vermeiden und damit die Versorgung unserer Patienten sicherstellen zu können.

Dibo: Sie haben als Tiermediziner relativ viele Schulungen und Fortbildungen. Wie sieht‘s da mit der Jahresplanung aus?
Christian Mandischer: Ich gehe davon aus, dass dieses Jahr sehr wenige bis gar keine Veranstaltungen vor Ort stattfinden. Die Kapazitäten bezüglich Onlineseminaren und Webinaren werden aber zur Zeit massiv erhöht, wodurch eine Weiterbildung auch ohne Treffen stattfinden kann. Mir fehlt allerdings dabei der persönliche Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen aus den anderen Praxen.

Dibo: Für welchen Zeitpunkt wünschen Sie sich, dass die Dinge (arbeitstechnisch) wieder laufen wie früher – und wann glauben Sie, tritt der tatsächlich ein?
Christian Mandischer: Am liebsten gestern. Realistisch ist aber wohl, dass es ein „Business as usual“ in den nächsten Monaten nicht geben wird.

Dibo: Recht herzlichen Dank fürs Gespräch!
Christian Mandischer: Gerne. Ich danke Ihnen.

Dr. med. vet. Christian Mandischer
Dass man sich über eine infizierte Katze ansteckt, ist ziemlich unwahrscheinlich.  | Foto: Archiv
Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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