Die ersten 100 Amtstage - Interview mit Ingo Brohl
Von Arbeitseffizienz im Dienstwagen, familiären Wurfduellen und Impftermin-Problemlösungen
So schnell geht das: Ingo Brohl, der neue Landrat des Kreises Wesel seit dem 27. September 2020, ist bereits seit rund 100 Tagen im Amt - etwas weniger, wenn man seine offizielle Vereidigung als Fixpunkt nimmt. Traditionell ein Anlass für lokale und regionale Medien, um ein erstes Resümee zu bitten.
Der Chef der Kreisverwaltung (und der Kreispolizei) entsprach dieser Bitte bereitwillig. Lesen Sie hier die Antworten des Landrats auf unsere zehn Fragen.
Das Interview
dibo: Lieber Herr Brohl, wie oft hatten Sie seit September 2020 einen Basketball in der Hand?
Ingo Brohl: "Tatsächlich habe ich es vor dem Lockdown noch mal mit den Kindern am Wochenende auf den Freiplatz geschafft. Zudem hat unser Sohn zu Weihnachten einen kleinen Korb fürs Kinderzimmer bekommen, wo wir schon mal ein Wurfduell machen. Ansonsten geht es uns wie vielen allen anderen Familien auch: Die Freizeit- und Sportmöglichkeiten sind stark eingeschränkt. Zudem ist meine Zeit für die Familie schon knapper geworden."
dibo: Haben Sie seit Ihrem Amtsantritt Fehler gemacht?
Ingo Brohl: "Ich kann keine großen Fehler erkennen. Aber ich sage nicht nur, dass ich kritikfähig bin, ich bin es auch. Also, wenn es etwas gibt, dann gerne bei mir melden. Und ansonsten gilt - das habe ich auch im Sport gelernt - ein guter Umgang mit Fehlern: Fehler registrieren, analysieren und besser machen!"
dibo: Im Kommunal-Wahlkampf hatten Sie angekündigt, die Polizei zu stärken und im Bereich der Wirtschaftsförderung etwas zu ändern. Was genau haben Sie diesbezüglich schon angestoßen?
Ingo Brohl: "Die Wirtschaftsförderung ist, wie angekündigt, seit Januar direkt in meinem Zuständigkeitsbereich.
Auch als Behördenleiter der Polizei wird mir gespiegelt, dass ich mich sehr aktiv einbringe und die Wahrnehmung in der Polizei gut ist. Beispielsweise habe ich ein wöchentliches Jour Fixe mit dem Abteilungsleiter Polizei, dem Kreisdirektor und mir eingeführt. Der Austausch ist gut, so dass ich auch die Belange und Sichtweisen mit in andere Gremien nehmen kann.
Ich führe gerne über Gespräche und persönliche Kontakte. Dies ist in der Corona-Situation schon schwerer. So habe ich aus Pandemiegründen das Kennenlernen der Wachen ausgesetzt."
dibo: Beschreiben Sie bitte, welche Inhalte Ihrer Arbeit Sie überrascht haben und was eher so eintrat, wie Sie es zuvor eingeschätzt hatten?
Ingo Brohl: "Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich sowohl bei der Kreisverwaltung als auch bei der Kreispolizeibehörde auf eine sehr gut aufgestellte Kreisverwaltung und Polizei treffen werde. Nach rund 100 Tagen im Amt kann ich sagen, dass ich das richtig eingeschätzt habe.
Wirklich überrascht haben mich zwei Dinge: Der Landrat ist die einzige Person bei der Kreisverwaltung, die mit roter Farbe schreiben darf. Da habe ich mich am Anfang ein wenig wie mein Lateinlehrer bei der Klassenarbeit gefühlt. Auch, dass ich nun einen Fahrer habe, war gewöhnungsbedürftig. Schnell hat sich aber gezeigt: Der Wagen ist mein rollendes Arbeitszimmer, von dem aus ich effizient arbeiten kann."
dibo: Die Lösung welcher aktuellen politischen Problemlage/n halten Sie für die vordringlichste/n?
Ingo Brohl: "Insgesamt mache ich mir schon Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und neben den gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie werden uns die wirtschaftlichen und damit verbundenen finanziellen Folgen noch sehr lange beschäftigen.
Wenn unser Ministerpräsident von einem Modernisierungsjahrzehnt für Deutschland spricht, will ich dies gerne auf den Kreis Wesel herunterbrechen und ein paar Beispiele nennen, wo es in den nächsten Jahren zukunftsweisende Entwicklungen geben wird und geben muss: Die hohen Investitionen im dreistelligen Millionenbereich in kreiseigene Berufsschulen stärken die Ausbildung im Kreis Wesel und damit auch den Mittelstand, eine Wasserstoffstrategie ist bereits in Arbeit, die Weiterentwicklung des Hafenprojekts Deltaport, der Breitbandausbau und die Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung. Aber auch die Zukunft der regionalen Lebensmittelerzeugung und damit die Zukunft des ländlichen Raums werden wir gemeinsam erarbeiten und absichern müssen. Zudem möchte ich, dass der Kreis Wesel ein aktiver Bestandteil der Olympiabewerbung Rhein Ruhr City 2032 ist, weil auch diese Bewerbung unter anderem ein Treiber für Veränderung sein kann, beispielsweise im Bereich Mobilität."
dibo: Ihr Vorgänger hatte bereits öffentlichen Ärger deswegen und auch Sie wurden angefeindet, weil Sie das Landratsbüro mit (zwei) neuen Referenten besetzten. Was fällt Ihnen zur Sache ein?
Ingo Brohl: "Nach 16 Jahren hat es einen Wechsel an der Spitze des Kreises Wesel gegeben. 16 Jahre lang konnte mein Vorgänger die Verwaltung in seinem Sinne organisieren. Ich trage nun die Verantwortung; unter anderem für mehr als 2.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Kreisverwaltung und der Polizei. Meine Grundhaltung, dass ich all diesen Menschen mit Vertrauen begegne und den Status quo kennen lernen will, ist bislang sehr gut aufgenommen worden. Auch meine These, dass ich auf eine sehr gut aufgestellte Kreisverwaltung und Polizei treffen werde, kann ich nach drei Monaten nur unterstreichen. Dennoch halte ich es als neuer Landrat für angebracht, dass ich eine erfahrene Beamtin und einen erfahrenen Beamten im Rahmen des bestehenden Stellenplans in der besonderen Position der Persönlichen Referenten zum Kreis Wesel „mitgebracht“ habe."
dibo: Bitte kommentieren Sie die Startphase und den zu erwartenden Fortgang der Corona-Impfungen im Kreis Wesel und im Impfzentrum (Niederrheinhalle).
Ingo Brohl: "Ich möchte erstmal an den Anfang stellen, dass wir alle überhaupt froh sein können, dass es in so kurzer Zeit gelungen ist, Impfstoffe zu entwickeln. Bei den Alten- und Pflegeheimen hat es am Anfang in der Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung ordentlich geruckelt. Dann haben wir als Kreisverwaltung einige Aufgaben aus deren Zuständigkeitsbereich übernommen und im Zusammenspiel mit der Ärztlichen Leitung sind wir wirklich, mit Ausnahme der landesweiten Aussetzung von Impfstofflieferungen, sehr gut vorangekommen. Gerade bei infizierten Menschen in Alten- und Pflegeheimen ist die Sterblichkeit am Virus ja erschreckend hoch. Diese Personengruppe ist dann nach der zweiten Impfung besser geschützt.
Die landesweite Terminvergabe, das Zusammenbrechen der Hotline und der Internetseite, hat zu viel Frust geführt. Abhängig von der Impfstofflieferung und -menge hoffe ich, dass jetzt zeitnah auch jede und jeder Überachtzigjährige eine Terminvereinbarung vornehmen kann. Das Terminmanagement für das Impfzentrum im Kreis Wesel liegt ausschließlich bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Der Kreis Wesel hat darauf keinen Einfluss und auch keine Zugriffsmöglichkeiten auf die Terminvergabe. Die Probleme wurden durch den Kreis bereits gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein mit dem Ziel, eine Lösung herbeizuführen, angesprochen.
Auch wenn ich mich weiterhin sehr vehement beim Land für mindestens einen zweiten Impfstandort im Kreis Wesel einsetze, weil dies sicherlich vieles verbessern und erleichtern würde, hoffe ich, dass viele Menschen jetzt zeitnah in der Niederrheinhalle geimpft werden können und wir damit Stück für Stück aus der Pandemie herauskommen.
Alles wird davon abhängen, wieviel und welchen Impfstoff wir in Zukunft zu Verfügung haben. Ist dieser leichter in der Handhabung als der Biontech, hoffe ich darauf, dass dann auch in den Hausarztpraxen geimpft werden kann und dann auch nicht mehr mobile Menschen zu Hause geimpft werden können."
dibo: Abseits von Corona: Haben sich Dinge in Ihrem Privatleben verändert, seit Sie Landrat sind?
Ingo Brohl: "Natürlich haben sich Dinge im Leben unserer Familie verändert. Aber es ist alles im grünen Bereich und ansonsten ist Privates dann eben auch privat."
dibo: Mal drauflos gesponnen: Morgen erhalten Sie die Nachricht, das Land NRW überweist dem Kreis Wesel 50 Millionen Euro – zu verwenden im Vermögenshaushalt. Wohin würden Sie das Geld gern fließen sehen?
Ingo Brohl: "Auch wenn es leider dazu nicht kommen wird, spiele ich den Gedanken gerne mal mit durch. Ich komme aus der Stadt- und Gemeindepolitik und bin nach wie vor davon überzeugt, dass in den Städten und Gemeinden am nächsten und besten Entscheidungen getroffen werden können, dort aber leider oftmals das Geld dazu fehlt. Daher würde ich 25 Millionen Euro an die dreizehn Städte und Gemeinden im Kreis Wesel aufteilen.
Zum Glück sind größere Investitionen in die kreiseigenen Berufsschulen schon vorgesehen. Ich würde mir aber mal 5 Millionen Euro für Maßnahmen in Bestandsgebäuden der Förder- und Berufsschulen reservieren.
10 Millionen Euro würde ich in die nachhaltige Sanierung und Modernisierung der Verwaltungsgebäude und Digitalisierung der Kreisverwaltung investieren, um ggfs. Betriebskosten zu senken, mehr Bürgerservice und schnellere Prozesse durch Digitalisierung zu erreichen und als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.Die übrigen 10 Millionen Euro würde ich in den Sparstrumpf packen, auch um die Auswirkungen der Corona-Pandemie abzufedern."
dibo: Bitte richten Sie einen Appell an die Bürger/innen des Kreises!
Ingo Brohl: "Als Gesellschaft befinden wir uns nun schon seit fast einem Jahr im Ausnahmezustand. Das hat uns alle viel Kraft gekostet. Und auch wenn uns nun wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen, bitte ich alle Mitbürgerinnen und Mitbürger darum, auch weiterhin diszipliniert die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Halten wir auch weiterhin – auf Abstand - zusammen!"
Autor:Dirk Bohlen aus Hamminkeln |
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